ist und bleibt ein Musterkind. — bind dann,
eines TageS, — da kommt plötzlich ein Tele-
gramm: „Eintreffe von New Jork morgen
mittag bei Euch, Grüße, Oheim Rüdiger." —
Das ist der fast schon sagenhafte Onkel auS
Amerika mit dem Millionenvermögen. Durch
Jahre hat man nichts mehr von ihm gehört,
jetzt ist er cinf einmal da.
bind man weiß: er ist ein alter Jung-
geselle, der nichts so sehr liebt, wie wohl-
erzogene kleine Kinder. Nun, auf Hänschen
kann man sich verlassen. Wenn er bloß so ist
wie immer, setzt ihn Onkel Rüdiger vielleicht
gar zum biniversalerben ein. blnd man könnte
daS Geld wirklich sehr gut brauchen in dieser
trostlosen Zeit.
ilnd liehe, — der Onkel kommt tatsächlich,
alles ist höchst erregt, Hänschen hat ver-
sprochen, besonders artig zu sein. Aber kaum
tritt der Onkel ein, bemerkt Hänschen, daß
der alte Mann so furchtbar ulkig seinen
Kneifer aus einer kleinen, roten Knollennase
trägt und prustet laut und johlend loS. Beim
Essen erheitert ihn wieder Onkels komische
Aussprache derart, daß er in der gleichen Form
eine Antwort gibt, und als ihn Papa deshalb
unter dem Tisch inS linke Bein zwickt, ob dieser
unerwarteten Rüge die Gabel in die Sauce
klatschen läßt, daß diese in braunen Tupfen
bis auf Onkels weiße Hemdbrust spritzt. Der
schneidet ein schiefes Gesicht, Hänschen fürchtet
neue Strafe, langt nach dem Wasserglas,
glitscht ab, wirst das Glas um, es kollert zu
Boden, zerschellt in hundert Scherben, der
Vater hebt die Hand vor Ärger, HänSchen
beginnt zu heulen, rennt davon, will sich im
Schlafzimmer unter den Betten verkriechen,
verhaspelt sich an der Decke, zieht diese mit
herab, die Polster fallen aus den Betten,
Mama springt voll Wut aus, der Onkel will
beschwichtigend eingreisen, sieht den Schemel
nicht neben dem Kamin, fällt darüber, ver-
staucht sich das Knie, bricht den Kneifer, zer-
reißt jich die Krawatte, stößt einen Fluch aus
und verläßt das Haus. Nie wieder hört man
etwas von ihm.
Ja, so etwas kann einem bei einem Kind,
vor allem: bei einem Musterkind, passieren.
Wer aber hätte gedacht, als die moderne
Technik daranging, unser Heim mit allerlei
wertvollen Errungenschaften, wie Radioappa-
raten, Telephonen, Heißwasserspeichern, Staub-
saugern, Rauchverzehrern und ähnlichen Din-
gen, von denen sich unsere Großeltern noch
nichts träumen ließen und die wir doch heute
gar nicht mehr entbehren zu können glauben,
auözustatten, wer hätte da gedacht, daß all
diese Gegenstände, diese sogenannten „toten
Dinge", auch derart starrsinnig, unfolgsam
lind unS zu beschämen geneigt sein könnten wie
Kinder? — llnb doch ist eS so.
Da kaust man sich zum Beispiel einen neuen
Radioapparat. Natürlich nicht gleich den erst-
besten, sondern man versucht lange und äußerst
gewissenhaft sämtliche erreichbaren Systeme
durch, läßt sich hundert Marken vorsühren
und greift, nach wirklich gründlichstem Stu-
dium bis zum allerletzten, doch — zum aller-
ersten zurück. Der ist aber auch prachtvoll.
Die Lautstärke ist unübertrefflich, der Ton
rein, es ist ein Kinderspiel, auch die entfern-
testen ausländischen Stationen zu bekommen,
— ein kleiner Griff: London meldet sich, —
eine leichte Drehung: ein Wiener Walzer er-
tönt, — wieder eine Antennenverstellung: die
Mailänder Scala sendet eine Verdioper, —
also: famos! Vierzehn Tage ausprobiert, nie-
mals ein Versager, dann endlich — Glanz-
vorsührung des neuen Apparates vor allen
Freunden! — Sämtliche Bekannte sitzen im
Kreis herum, erwartungsvoll sind alle Nu'enen
gespannt, schon erwärmen sich die Herzen und
Heizkörper, gleich muß die Sendung beginnen,
— aber außer einem Ouietschen, Gröhlen,
Donnern, Rasseln und Pfauchen hört man
nichts. Ncan dreht die Wählscheibe, — KönigS-
wusterhausen muß doch da sein, — nein, eS ist
nicht da. Der Apparat knaxt, stöhnt, ächzt,
aber er spricht, singt und spielt nicht. Na,
inacht nichts! Nehmen wir entfernteres AuS-
land, Paris etwa! Man dreht neuerdings:
irgendwo winseln Katzen, klagen Hunde. Ein
Schuß dröhnt. Wieder einer. Geknatter setzt ein
wie das Getacke von Maschinengewehren. Ist
in Paris plötzlich eine Revolution ausgebrochen
und wird diese per Rundfunk gesendet? —
Keine Spur, das Programm kündigt einen
Vortrag Paul DaleryS an. Ach, du lieber
Paul Valery! Wohin sprichst du? In diesen
Raum verirrt sich deine Stimme nicht! —
blnd aus Wien kommen keine Walzer, aus
Köln keine Chorgesänge, — nichts, nichts,
nichts kommt, alle Sender scheinen an Wellen-
schwund zu leiden, — man ist empört, stellt
ganz ab und die Geladenen gehen, ironisch
lächelnd, wieder heim. Allein zurückgeblieben,
nähert man sich voll Ingrimm dem Radio-
apparat, der einen derart bloßstellte, packt die
Wählscheibe, die zur Oualscheibe wurde, als
ob sie eine Menschengurgel wäre, will um-
drehen, da — horch! — Sphärenmusik er-
tönt, rein, hell, klar und himmlisch, — der
Apparat spielt wieder alle Stückchen, sängt
alle Wellen ein, bringt sämtliche Stationen,
ist ein blnikuui an Güte wie noch nie!! —
Oder, Sie kaufen sich einen Rauchverzehrer!
Er ist sehr praktisch, denn eine Wohnung, in
der mehrere Raucher beisammensitzen, gleicht
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eines TageS, — da kommt plötzlich ein Tele-
gramm: „Eintreffe von New Jork morgen
mittag bei Euch, Grüße, Oheim Rüdiger." —
Das ist der fast schon sagenhafte Onkel auS
Amerika mit dem Millionenvermögen. Durch
Jahre hat man nichts mehr von ihm gehört,
jetzt ist er cinf einmal da.
bind man weiß: er ist ein alter Jung-
geselle, der nichts so sehr liebt, wie wohl-
erzogene kleine Kinder. Nun, auf Hänschen
kann man sich verlassen. Wenn er bloß so ist
wie immer, setzt ihn Onkel Rüdiger vielleicht
gar zum biniversalerben ein. blnd man könnte
daS Geld wirklich sehr gut brauchen in dieser
trostlosen Zeit.
ilnd liehe, — der Onkel kommt tatsächlich,
alles ist höchst erregt, Hänschen hat ver-
sprochen, besonders artig zu sein. Aber kaum
tritt der Onkel ein, bemerkt Hänschen, daß
der alte Mann so furchtbar ulkig seinen
Kneifer aus einer kleinen, roten Knollennase
trägt und prustet laut und johlend loS. Beim
Essen erheitert ihn wieder Onkels komische
Aussprache derart, daß er in der gleichen Form
eine Antwort gibt, und als ihn Papa deshalb
unter dem Tisch inS linke Bein zwickt, ob dieser
unerwarteten Rüge die Gabel in die Sauce
klatschen läßt, daß diese in braunen Tupfen
bis auf Onkels weiße Hemdbrust spritzt. Der
schneidet ein schiefes Gesicht, Hänschen fürchtet
neue Strafe, langt nach dem Wasserglas,
glitscht ab, wirst das Glas um, es kollert zu
Boden, zerschellt in hundert Scherben, der
Vater hebt die Hand vor Ärger, HänSchen
beginnt zu heulen, rennt davon, will sich im
Schlafzimmer unter den Betten verkriechen,
verhaspelt sich an der Decke, zieht diese mit
herab, die Polster fallen aus den Betten,
Mama springt voll Wut aus, der Onkel will
beschwichtigend eingreisen, sieht den Schemel
nicht neben dem Kamin, fällt darüber, ver-
staucht sich das Knie, bricht den Kneifer, zer-
reißt jich die Krawatte, stößt einen Fluch aus
und verläßt das Haus. Nie wieder hört man
etwas von ihm.
Ja, so etwas kann einem bei einem Kind,
vor allem: bei einem Musterkind, passieren.
Wer aber hätte gedacht, als die moderne
Technik daranging, unser Heim mit allerlei
wertvollen Errungenschaften, wie Radioappa-
raten, Telephonen, Heißwasserspeichern, Staub-
saugern, Rauchverzehrern und ähnlichen Din-
gen, von denen sich unsere Großeltern noch
nichts träumen ließen und die wir doch heute
gar nicht mehr entbehren zu können glauben,
auözustatten, wer hätte da gedacht, daß all
diese Gegenstände, diese sogenannten „toten
Dinge", auch derart starrsinnig, unfolgsam
lind unS zu beschämen geneigt sein könnten wie
Kinder? — llnb doch ist eS so.
Da kaust man sich zum Beispiel einen neuen
Radioapparat. Natürlich nicht gleich den erst-
besten, sondern man versucht lange und äußerst
gewissenhaft sämtliche erreichbaren Systeme
durch, läßt sich hundert Marken vorsühren
und greift, nach wirklich gründlichstem Stu-
dium bis zum allerletzten, doch — zum aller-
ersten zurück. Der ist aber auch prachtvoll.
Die Lautstärke ist unübertrefflich, der Ton
rein, es ist ein Kinderspiel, auch die entfern-
testen ausländischen Stationen zu bekommen,
— ein kleiner Griff: London meldet sich, —
eine leichte Drehung: ein Wiener Walzer er-
tönt, — wieder eine Antennenverstellung: die
Mailänder Scala sendet eine Verdioper, —
also: famos! Vierzehn Tage ausprobiert, nie-
mals ein Versager, dann endlich — Glanz-
vorsührung des neuen Apparates vor allen
Freunden! — Sämtliche Bekannte sitzen im
Kreis herum, erwartungsvoll sind alle Nu'enen
gespannt, schon erwärmen sich die Herzen und
Heizkörper, gleich muß die Sendung beginnen,
— aber außer einem Ouietschen, Gröhlen,
Donnern, Rasseln und Pfauchen hört man
nichts. Ncan dreht die Wählscheibe, — KönigS-
wusterhausen muß doch da sein, — nein, eS ist
nicht da. Der Apparat knaxt, stöhnt, ächzt,
aber er spricht, singt und spielt nicht. Na,
inacht nichts! Nehmen wir entfernteres AuS-
land, Paris etwa! Man dreht neuerdings:
irgendwo winseln Katzen, klagen Hunde. Ein
Schuß dröhnt. Wieder einer. Geknatter setzt ein
wie das Getacke von Maschinengewehren. Ist
in Paris plötzlich eine Revolution ausgebrochen
und wird diese per Rundfunk gesendet? —
Keine Spur, das Programm kündigt einen
Vortrag Paul DaleryS an. Ach, du lieber
Paul Valery! Wohin sprichst du? In diesen
Raum verirrt sich deine Stimme nicht! —
blnd aus Wien kommen keine Walzer, aus
Köln keine Chorgesänge, — nichts, nichts,
nichts kommt, alle Sender scheinen an Wellen-
schwund zu leiden, — man ist empört, stellt
ganz ab und die Geladenen gehen, ironisch
lächelnd, wieder heim. Allein zurückgeblieben,
nähert man sich voll Ingrimm dem Radio-
apparat, der einen derart bloßstellte, packt die
Wählscheibe, die zur Oualscheibe wurde, als
ob sie eine Menschengurgel wäre, will um-
drehen, da — horch! — Sphärenmusik er-
tönt, rein, hell, klar und himmlisch, — der
Apparat spielt wieder alle Stückchen, sängt
alle Wellen ein, bringt sämtliche Stationen,
ist ein blnikuui an Güte wie noch nie!! —
Oder, Sie kaufen sich einen Rauchverzehrer!
Er ist sehr praktisch, denn eine Wohnung, in
der mehrere Raucher beisammensitzen, gleicht
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