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und küssen. Inge entzog sich ihm, er faßte sie
wieder. Dabei mußte sie den Hebel des Laut-
sprechers berührt haben, jedenfalls entströmte
ihm plötzlich der einschmeichelnde Refrain-
gesang: „Wenn du wieder in Hawai bist..."

Inges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln
— ja, sie ließ sich von ihm sogar küssen. Dann
fragte sie, auch jetzt Herrin der Situation:
„Aber eine kleine Reise werden wir dieses Jahr
doch noch machen?"

Er sagte: „Machen wir, wenn auch nicht
nach Hawai...", und stellte zwei Gläser hin,
die er füllte.

„Worauf trinken wir denn?" fragte sie und
sah ihn verliebt an wie zuvor.

„Ich denke, auf Franz Moppke", sagte er
leise und stieß mit ihr an. Dann stellte er die
Gläser zurück und sprach: „Wenn er Glück
hat, kommt er vielleicht sogar nach Hawai..."

Die Freiheit

33on Ernst Kreuder

Herr -Olm erwachte an diesem Morgen von
einem scharfen Klingeln und sagte sofort mit
schlafschwerem Munde: „Ja, ja, ich stehe ja
auf, wieviel ühr ist es denn?"

Niemand gab ihm Antwort. Das Klingeln
hörte auf. Sein Gewissen wurde schlecht, es
befahl ihm, die Augen gutwillig zu öffnen. Als
er zu sehen begann, wälzte er sich zum Bettrand
und ließ sich mit auSgestreckten Händen und
Füßen auf den kalten Teppich fallen. Hierbei

tat er sich weh, wurde böse und wach. Er
sprang auf, kein Schlaftrunkener mehr, der
durch verbotene Träume jagt, sondern ein
vierzigjähriger Beamter (Finanzkasse Land),
augenblicklich bereit, unnachsichtig und erbittert
zu sein. Das Bett seiner Frau war unberührt.
Er glaubte nicht an das Schicksal, aber er ließ
jich sogleich gänzlich von ihm verwandeln. Was
er, ungekämmt und mit dem schlechten Ge-
schmack eines schweren Abendessens im Munde,
feststellte, war dies: seine Frau war gestern
abend zu Verwandten gefahren, denn er hatte
heute seinen ersten ürlaubstag.

Verwundert es uns, daß er sogleich in die
Küche ging und den Wasserhahn ganz auf-
drehte? Jetzt würde das Wasser einmal laufen,
solange eS ihm gefiel, und es gefiel ihm lange.
Alsdann knipste er sämtliche Lampen der Dier-
zimmerwohnung an und berauschte sich schon an
dem Gedanken, die Milch stundenlang und
wieder von neuem überkochen zu lassen. Eo
drang er, bildlich, in den Keller seiner Seele ein
und befreite Schritt um Schritt gefangene, fast
verschüttete Wünsche, die bis in die frühe Kind-
heit reichten. Er feierte Auferstehung. (Er setzte
die Milch auf die Gasflamme.)

Als das Bad hergerichtet rvar, glitt er mit
dem ungekannten Glücksgefühl, Tage und
Nächte hindurch baden zu können, in die warme
Flut. Die Kognakflasche, Zigaretten und die
Morgenzeitung erwarteten ihn neben der
Wanne auf dem Klaviersessel. Überall brannte
Licht, in der Küche rauschte das befreite Wasser
und die ungehütete Milch trieb die ersten Blasen.

DaS Leben war Beruhigung, wenn man ihm

nachgab. Der Kognak schmeckte im Wasser-
besser als an Land, aber die Morgenzeitung
verlor ganz ihre gewohnte Bedeutung, so daß er
sie nach kurzer Orientierung kunstfertig zu einem
Schiffchen zusammenfaltete und mit Zigaretten-
rauch über das warme Meer blies. Die Milch
kochte zischend über und verbrannte, auö dem
Lautsprecher rann fröhliches Schallplatten-
konzert und das Wasser rauschte ungehindert
weiter. — Soweit haben sich Ihre Wünsche
erfüllt, Herr Olm. Was werden Sie nun tun?

Es ist noch vieles nachzuholen, dachte Herr-
Olm, ich kann nicht ewig im Wasser bleiben.
Er war hungrig geworden.

Um die Mittagszeit verließ er die erlöste
Wohnung. Das Wasser war abgestellt, die
Lampen gelöscht, der verbeulte Aluminiumtopf
verborgen. Er ging in den „Goldenen Hirsch"

(Fortsetzung S. 807)

Wilde Ehen

Eine sogenannte „Kameradschafts-Ehe" ist
in einer Kleinstadt in der Nähe von Posen
unter kriegerischem Knall in die Brüche ge-
gangen. Schon seit langem lebten Kamerad
und Kameradin auf gespanntem Fuße, da der
Mann häufig nachts außer dem Hause war.
Letzthin verschanzte sich die Frau mit mehreren
Scheintodpistolen hinter herabgelassenen Roll-
läden und beschoß den nächtlichen Heimkehrer.

— Früher war die „wilde Ehe" zivilisierter.

Th.

805
Register
Ernst Kreuder: Die Freiheit
Th.: Wilde Ehen
Walter Busch: Weihnachtsmarkt
 
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