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WWM


38. JAHRGANG

N

D

1 93 3 / N R. 2







MEIN 'NEUER FREUND, DER
STEUERREFERENT

Es ist nie vorauszusehen!

Da hat man alte Freunde, mit denen man
auf derselben Schulbank saß, denen inan bei den
Prüfungen getreu und falsch einsagte, mit denen
man sogar während der Griechisch stunde
— wann und wo ries Odysseus zum steben-
undzwanzigstenmal Aphrodite an? — den Plan
faßte, nach Südamerika auszuwandern und
dort eine Republik zu gründen, in der die
Frauen altgriechisch sprechen mußten. Da hat
man Freunde, von denen man später zu anti-
quarischen Bedingungen die Freundinnen ab-
nahm oder denen man die eigene überließ, wenn
wir von dritter Seite Aussicht auf neue Ge-
fährtinnen sogenannter glücklicher Stunden
hatten.

Was erlebte man nicht alles mit diesen alten
Busenfreunden?

Aber es ist nie vorauszusehen!

Nun ist plötzlich alles anders geworden.
Freund X zum Beispiel hat eine beneidenswerte
Anstellung gefunden; er ist irgendwo ein leiten-
der Direktor und verdient im Monat mehr als
der Schriftsteller im halben Jahr. .. blnd nun
ist der Freund, dem man in Süd-
amerika die schönste Frau gesucht
hätte, über Nacht kühl geworden;
er ist immer verhindert und ist
kurz und gut ein lauwarmer Mit-
mensch geworden. Wenn man ihn
aufsucht, gibt er uns eine Zigarette
und telephoniert.

Freunde telephonieren nie...

Solches schmerzt.. . bind Ln
dieser Stimmung bekommen wir
einen Brief, eine amtliche Vor-
ladung mit Strafporto! Zur
Steuerbehörde!

bind weit und breit kein Freund,
der einen jetzt tröstete und auf-
richtete! Man ist ein einsames
und verlassenes Opferlamm, das
zur Schlachtbank geschleppt wird.

Würde man nur geschleppt wer-
den! Da könnte man wenigstens
denken, man weiche dem Zwange!

So aber muß man selbst gehen;
und niemand ist nahe, der einem
auf dem Weg Freund wäre!...

Häuser, in denen Steuerbehör-
den wohnen, sind nicht anders als
jene, in denen nette Mädchen deni

Don Josef Robert Harrer

Freund ihres Bräutigams die Wange streicheln,
kind doch sind diese Häuser, in deren viertem
Stockwerk der Steuerreferent sein Messer wetzt,
unheimlich und gar nicht einladend. Das Tor
saugt uns ein, sauerstoffarme Luft umfängt
uns. Trotz schwerer Füße und obwohl das
Leben uns init starken Armen wieder zurück-
ziehen will, stehen wir im Handumdrehen vor-
der Türe 378g.

Ich schöpfe Atem, alle Lust des Stiegen-
hauseS habe ich mit diesem Atemzuge in mich
gebracht, bind dann trete ich ein.

Dort sitzt der Herr! Die Sonne scheint aus
seinen schwarzen Schnurrbart, ebenso scheint sie
aus den schwarzen Mädikopf jenes Mädchens,
das —

Aber schon entschwindet mir das Mädchen-
bild; denn Scharfrichter Steuerreferent blickt
mich an.

„Sie wünschen?"

„Ich habe eine Vorladung bekommen!"

bind ich überreiche sie. Der Herr nickt und
sagt:

„Bitte, nehmen Sie Platz!"




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Der Kritiker

Bruno Gutensohn

Ich tue es. Ich soll also sitzend hingerichtet
werden.

Der Herr mit dem sonnenbeschienenen
Schnurrbart blättert in einem Aktenurwald.
Endlich zieht er ein Blatt hervor und sagt
lächelnd:

„Ihr Einkommenbekenntnis stimmt nicht!"

Er sagt eS tatsächlich lächelnd. Ich habe noch
nie gehört, daß ein Scharfrichter lächelnd den
Kopf seines Opfers abgeschnitten hätte, bind ich
lächle auch. Wenn vor mir ein Spiegel wäre,
ich würde über mein krampfhaftes Lächeln sehr
traurig oder gar verzweifelt sein. Ich kann keine
Antwort geben. Da meint der Herr:

„Es stimmt wirklich nicht! Sie dürfen nicht
glauben, daß der Staat —"

Ich zucke zusammen. Der Staat ist aus mich
aufmerksam geworden. Der Staat ist stärker
als ich. Ich stottere:

„Ich habe mein Einkommen nach besten!
Wissen angegeben!"

„Aber, lieber Freund, das glaube ich Ihnen
aufs Wort! Ich meine nur, daß doch einiges
zu verbessern wäre!"

Er hat mich einen lieben Freund
genannt. WaS kann bei meinem
Bekenntnis falsch sein, wenn ich
sein lieber Freund bin? Meine
Brust hebt sich, meine Augen
leuchten. Der Herr, von dessen
Schnurrbart nun die Sonne Ab-
schied genommen hat, sagt:

„Sie dürfen nicht glauben, daß
der Staat von seinen Bürgern mehr
haben will, als das Recht verlangt!
Sie haben ja in Ihrem Bekenntnis
vergessen, Abzüge zu machen. Sie
sind Schriftsteller, Sie haben doch
Regien, die wir natürlich nicht ver-
steuern. Passen Sie auf!"

Ich horche, mein ganzer Körper
und meine Seele ist zu einem
großen Ohr geworden, bind in
dieses Riesenohr wandert die
Stimme des Steuerreferenten,
meines Freundes:

„Sie haben im Vorjahr 3000
Schilling verdient. Ich nehme an,
daß Sie an Briefporto 300 Schil-
ling verwendeten; diese Summe
kommt in Abzug. Es bleiben
also 2700 Schilling zu versteuern.

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Bruno Gutensohn: Der Kritiker
Josef Robert Harrer: Mein neuer Freund, der Steuerreferent
 
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