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Der Zwerg

Otto Nückel

Sie haben an Papier, Tinte und Radiergummi
weitere 200 Schilling verbraucht, verbleiben also
2300 Schilling steuerpflichtig. Sie haben eine
Gemahlin ... Wie, Sie haben keine? Dann
dürfen Sie weitere 600 Schilling in Abzug
bringen; denn ohne Frau — Sie verstehen mich!
Es verbleiben also 1700 Schilling steuerpflichtig.
Als Schriftsteller brauchen Sie Bücher, Zei-
tungen; ich rechne dafür 500 Schilling; es ver-
bleiben zu versteuern 1200 Schilling. Wenn ich
andere Ausgaben abrechne wie: Abnützung der
Schreibmaschine, indirekt gezahlte Steuern,
Trinkgeld für den Herrn Geldbriefträger, für
den Beruf notwendige Ausgaben beim Studium
der Frauen, des Rennplatzes, des Kaffeehauses
und anderer Kleinigkeiten, komme ich zu dem
Schluß, daß Sie um 500 Schilling weniger
verdient haben als gar nichts; Ihr Einkommen

beträgt also ininuS 300 Schilling. Dafür aber
muß der Staat nach dem neuesten Gesetz dem
Bürger die Steuer bezahlen. Wenn ich nocb
beide Augen zudrücke, kann ich mit ruhigem
Gewissen angeben, daß Ihr tatsächliches Ein-
kommen minus 2000 Schilling beträgt. Davon
kann natürlich kein Mensch leben. Ich lasse
Ihnen also für diese 2000 Schilling — oder
sagte ich 3000? —, also für 4000 Schilling
die Staatssteuer sofort auszahlen. Das macht
genau 7^6 Schilling, 37 Groschen aus. Hier
ist die Anweisung. Sie können das Geld sofort
bei Kassa 77 beheben, blnd in Hinkunft machen
Sie Ihr Steuerbekenntnis richtig!"

Der Steuerreferent drückt meine Hand. Ich
flüstere:

„Teurer Freund! Tausend Dank!" klnd ich
gebe.

Vor Kassa 77, eben als mir der Beamte
das Geld vorzählt, bekonnne ich einen Husten-
reiz und — erwache.

Es ist heller Tag. Auf dem Tische liegt die
Vorladung zur Steuerbehörde. Letzte Mab-
nung! Wenn ich bis heute zehn blhr vormittags
nicht 20 Schilling bezahle, werde ich gepfändet.

Da wird hastig die Türe aufgerissen. Mein
Freund, von dem ich träumte, daß er Direktor
geworden sei, stürzt ins Zimmer und sagt:

„Es hat mir keine Ruhe gelassen. Als du
gestern von mir 20 Schilling ausborgen
wolltest und ich sie nicht hatte, da — kurz und
gut, ich habe nn'r eben jetzt 20 Schilling auf-
getrieben, damit du die Steuer bezahlen
kannst ... Kein Wort des Dankes! Wir sind
doch alte Freunde... Erinnerst du dich nocb,
als wir in der Griechiscbstunde ...?."

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Otto Nückel: Der Zwerg
 
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