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R. Rost

Betrachtungen zum Wintersport

Was sie für wundervolle Bogen fährt!(( — „Und ich dachte, sie könnte

nur Seitensprünge machen/“

Diele Menschen hafteten an dem Mann
darüber, der an der Ecke der Straße aus
einem schmutzigen, gelben Teppich ftand und sich
als den berühmtesten Akrabaten der Neuzeit
anprieS, aber eS blieben auch einige Gutgläu-
bige stehen und lackten dadurch andere an,
ebenfalls zuzusehen.

Es war ein außergewöhnlich langer und
magerer Mann mit kühn nach oben gedrehten
Schnurrbartspitzen und einem ausfallend ängst-
lichen Ausdruck in den Augen. Es war mehr
als die gewöhnliche Angst eines Straßenartisten
dar der Polizei, auch seine Hände schienen oft
zu zittern, aber niemand vermachte die Ursache
seines furchtsamen Benehmens zu ergründen.

Das hinderte den Artisten aber nicht, seine
Fähigkeiten immer van neuem anzupreisen? Er
sprach rasch und wiederholte immer wieder
seine Bedingung, daß er nichts varführen
würde, nicht einmal einen Handstand, bevor
nicht ein Gulden beisammen wäre.

Das erste Centstück fiel in feine Mütze, und
nun schien das Glück für den armen Kerl zu
kommen. Es war sonderbar, daß auch dies
die Angst in seinen Augen nicht verringerte,
sondern eher erhöhte.

er

nervöse

Don Tom Ruygrok

Der Ertrag war bis auf achtzig Cent ge-
stiegen, als um die Ecke ein kleiner Polizist er-
schien, und nun war eS aus mit dem Glück
des armen Akrobaten. Er tat das einzige, was
er noch tun konnte: er riß seinen schmutzigen
Teppich an sich und machte, daß er fortkam.

Er suchte sich einen anderen Stadtteil, brei-
tete dort wieder seinen Teppich aus und legte
die Mütze mit der Öffnung nach oben darauf.
Und er sprach, wieder sehr schnell und wie von
Furcht gepeitscht, über sich und seine großen
Fähigkeiten, bis abermals der kleine Polizist
erschien und sein Glück störte, diesmal bei einem
Gesamtertrag von nahezu neunzig Cent. Mit
dieser Summe, dem Teppich und der Mütze
und seiner schrecklichen Nervosität machte er
sich noch gerade rechtzeitig auf die Socken, um
an einer anderen Straßenecke sein Heil von
neuem zu versuchen.

Am Abend war der Artist todmüde, nicht
vom Arbeiten, denn dazu war eS nicht ein
einziges Mal gekommen, sondern durch daS
fortwährende Hin- und Herziehen. Er suchte
ein kleines Wirtshaus auf, in dem er Stamm-

gast zu sein schien, denn der Wirt begrüßte
ihn mit den Worten:

„Heut sind Sie der erste. Ihr Kamerad ist
noch nicht da."

Der Artist nickte müde und sagte: „Wird
schon kommen."

Er wandte kaum den Kops, als fünf Minu-
ten später der Erwartete eintrat und ihn ge-
räuschvoll begrüßte. Er ließ ihn reden und
reden, laut und lärmend, mit vielen Gebärden,
wie eS die Art seines Freundes war. Aber
plötzlich blickte er auf, der lange Artist, und
der Wortschwall seines Kameraden brach ab.
Eine Stille trat ein, die etwas Unheilvolles
hatte, und der Lange begann zu sprechen, lang-
sam und schwer, mit kaum verhaltener
Drohung in der Stimme:

„Acht Tage geht das nun so ... Ich be-
haupte nicht, daß es deine Schuld ist, denn ich
wußte auch nichts Besseres zu ersinnen, und es
schien mir auch keine schlechte Idee, daß ich
den Akrobaten und du den Polizisten spielen
solltest... Eine Uniform war nicht schwer zu
beschaffen, und du hast deinen Mann gestan-
den, acht Tage lang, wenn du in deiner Ver-
mummung ankamst... Aber so schnell wird

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Richard Rost: Betrachtungen zum Wintersport
Tom Ruygrok: Der nervöse Akrobat
 
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