J u
3 8. JAHRGANG
G E N D
1 9 3 3 /NR. 3
Von K li r t Ekhtei IN
Der Flieger Haller kletterte aus dein Flug-
zeug. Händeklatschen empfing ihn. Er hatte
über eine halbe Stunde den Flugplatz über-
flogen und dabei so waghalsige Kunststückchen
vollführt, so halsbrecherische Loopings, Schlei-
fen und Kurven gemacht, daß wir nicht umhin
konnten, seinen Mut bewundernd anzuerkennen.
Später saßen wir in dem kleinen Restaurant,
das zum Flugplatz gehörte, beim Tee und
einer fragte ihn, ob er denn keine Angst hätte,
wenn er da oben in mörderischem Wirbel her-
umtollte.
„Angst?" lächelte Haller. „Beim Fliegen
habe ich keine Angst."
„Sie scheinen dieses Gefühl überhaupt nicht
311 kennen?"
Rudolf K ries ch
„Doch. Einmal in meinem Leben habe ich
wahnsinnige Angst gehabt."
„Wollen Sie uns nicht erzählen, wie das
war?"
„Warum nicht", erwiderte Haller und steckte
sich eine Zigarette an. „Es hat allerdings
nichts mit dem Fliegen zu tun. Ich war da-
mals noch wesentlich jünger als heute, zwanzig
Jahre alt. Ich hatte von meinem zusammen-
gesparten Geld eine Reise nach Italien ge-
macht, ganz allein. Als letzte Stadt vor der
Heimfahrt hatte ich mir Venedig ausersehen.
Ich wohnte in einem kleinen Hotel direkt neben
der Rialtobrücke. Es war ganz furchtbar.
Mein Zimmer lag nach hinten hinaus, direkt
über einer engen Gaste. Ging ein Mensch hier
durch, so dröhnten seine Schritte in vielfachen:
Echo bis in mein Zimmer, wie Kanonenschüsse.
Der Widerhall dieser Schritte hielt mich die
ganze Nacht wach. Immer, wenn ich gerade
am Einschlafen war, trappte wieder jemand
durch die Gaste und ich wurde hell wach. Am
nächsten Vormittag beschwerte ich mich beim
Wirt. Er zuckte die Achseln und meinte, das
sei in Venedig nun einmal so. Er könne mir
jedoch ein ranz ruhiges Zimmer in einem Pri-
vathause vermitteln, wenn ich auf ungestörten
Schlaf Wert legte. Ich legte. Er gab mir
einen Jungen mit, der mich durch winklige,
handtuchschmale Gäßchen führte bis zu einen:
massiv aussehenden Hause. „Ecco", sagte der
Junge und ließ mich stehen. Ich klingelte.
Kleiner Lichtblick
„Das neue Jahr wird gut, ich glaube, ich bekomme 7ne selbständige Stellung, — die Krawatte kann ich mir schon
allein binden!,f
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3 8. JAHRGANG
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Von K li r t Ekhtei IN
Der Flieger Haller kletterte aus dein Flug-
zeug. Händeklatschen empfing ihn. Er hatte
über eine halbe Stunde den Flugplatz über-
flogen und dabei so waghalsige Kunststückchen
vollführt, so halsbrecherische Loopings, Schlei-
fen und Kurven gemacht, daß wir nicht umhin
konnten, seinen Mut bewundernd anzuerkennen.
Später saßen wir in dem kleinen Restaurant,
das zum Flugplatz gehörte, beim Tee und
einer fragte ihn, ob er denn keine Angst hätte,
wenn er da oben in mörderischem Wirbel her-
umtollte.
„Angst?" lächelte Haller. „Beim Fliegen
habe ich keine Angst."
„Sie scheinen dieses Gefühl überhaupt nicht
311 kennen?"
Rudolf K ries ch
„Doch. Einmal in meinem Leben habe ich
wahnsinnige Angst gehabt."
„Wollen Sie uns nicht erzählen, wie das
war?"
„Warum nicht", erwiderte Haller und steckte
sich eine Zigarette an. „Es hat allerdings
nichts mit dem Fliegen zu tun. Ich war da-
mals noch wesentlich jünger als heute, zwanzig
Jahre alt. Ich hatte von meinem zusammen-
gesparten Geld eine Reise nach Italien ge-
macht, ganz allein. Als letzte Stadt vor der
Heimfahrt hatte ich mir Venedig ausersehen.
Ich wohnte in einem kleinen Hotel direkt neben
der Rialtobrücke. Es war ganz furchtbar.
Mein Zimmer lag nach hinten hinaus, direkt
über einer engen Gaste. Ging ein Mensch hier
durch, so dröhnten seine Schritte in vielfachen:
Echo bis in mein Zimmer, wie Kanonenschüsse.
Der Widerhall dieser Schritte hielt mich die
ganze Nacht wach. Immer, wenn ich gerade
am Einschlafen war, trappte wieder jemand
durch die Gaste und ich wurde hell wach. Am
nächsten Vormittag beschwerte ich mich beim
Wirt. Er zuckte die Achseln und meinte, das
sei in Venedig nun einmal so. Er könne mir
jedoch ein ranz ruhiges Zimmer in einem Pri-
vathause vermitteln, wenn ich auf ungestörten
Schlaf Wert legte. Ich legte. Er gab mir
einen Jungen mit, der mich durch winklige,
handtuchschmale Gäßchen führte bis zu einen:
massiv aussehenden Hause. „Ecco", sagte der
Junge und ließ mich stehen. Ich klingelte.
Kleiner Lichtblick
„Das neue Jahr wird gut, ich glaube, ich bekomme 7ne selbständige Stellung, — die Krawatte kann ich mir schon
allein binden!,f
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