3. Fenneker
Verfolgte Unschuld
„Huch, es ist schrecklich, Lu, von Männern so verfolgt zu werden! Hoffent-
lich haben sie auch gesehen, daß wir durch den Zaun geschlüpft sind!tf
Jtacf) einer kurzen Zeit hörte ich schlürfende
Schritte, die Tür wurde ausgeschlossen lind ein
mageres, altes Männchen sah mich an. Ich
schrak zurück. Ich hatte so etwas von ab-
schreckender Häßlichkeit überhaupt noch nicht
gesehen. Das Gesicht war eingefallen, ein
struppiger Bart wucherte um das Kinn des
.Mannes und seine kleinen, eng aneinander-
stehenden Augen schielten. Ich stammelte etwas
von einem freien Zimmer. Er nickte und ließ
mich eintreten, schloß aber die Tür sofort wie-
der hinter mir zu. Wir gingen eine breite
Treppe hinauf, in eine Art Diele. Ein düsterer,
alter Raum. An den Wänden hingen gute
Bilder aus dem venezianischen Rokoko, riesige
Basen standen Ln den Ecken und ein großer
Teppich dämpfte die Schritte. Plötzlich wurde
eine Tür aufgerissen und eine Frau stürmte
herein. Sie trug einen knallroten Schlafmantel,
sah mich an und lachte mich an. Ich bekam
bald heraus, daß die beiden ein Ehepaar
waren, ein seltsames Ehepaar, wie mir schien.
Man zeigte mir ein Zimmer, und ich muß ge-
stehen, daß ich, allein gelassen, sofort das
Schloß und den Riegel untersuchte. Aber das
Licht des Tages zerstreute meine Ängste bald,
ich wusch mich, verabschiedete mich von dem
Herrn des Hauses, der mich mit einem selt-
samen lauernden Blick ansah und ging in die
Stadt. Ich kam erst nachts um zwölf zurück.
Als ich vor der dunklen Haustür stand, kam
mir zum erstenmal das ganze Unheimliche mei-
ner Lage zum Bewußtsein. Hier sollte ich also
die Nacht verbringen. Niemand wußte, daß
ich in dieses Haus ging. Auch für den Wirt,
der mir das Logis empfohlen hatte, war ich
erledigt, vergeben. Kein Mensch wußte, wo
ich mich befand. Mir gruselte. Ich klingelte
und nach kurzer Zeit schon öffnete der Alte
die Tür und ließ mich ein. Er sah in der
nächtlichen Beleuchtung noch viel unheimlicher
auS. Ich betrachtete ihn mißtrauisch und
fühlte nach meinem Taschenmesser. Eine Tür
der Diele öffnete sich eine Sekunde lang und
ich sah das lauernde Gesicht der Frau, die noch
immer ihren roten Schlafrock trug, In meinem
Zimmer angekommen, verriegelte ich sofort die
Bür und leuchtete unters Bett, durchsuchte den
Schrank und betrachtete die Wand, ob ich nicht
vielleicht eine verborgene Tür entdecken könnte.
Ich entdeckte nichts. Aber ich legte mich ziem-
lich aufgeregt ins Bett. Schöne Situation. Da
lag ich nun in einem halbzerfallenen italienischen
Palazzo und niemand in der Welt wußte etwas
davon. Es mußte ein leichtes sein, mich umzu-
bringen lind zu berauben. Das Verbrechen
würde bestimmt nie entdeckt werden. Es würde
eine Woche dauern, bis meine Angehörigen mich
als vermißt betrachten müßten. Ich war plan-
los in Italien herumgereist, eS war ganz un-
möglich, meine Spur zu finden. Mit diesen
lvenig angenehmen Gedanken beschäftigte ich
als plötzlich etwas Entsetzliches geschah.
Zch hörte einen schrillen Schrei: ,A35a55iiio!
Assassino!4 Wer Italienisch kann, weiß, daß
das „Mörder" heißt. Es überlief mich heiß
und kalt. Plötzlich wurde mit lautem Krachen
eine Tür im Hause zugeschlagen und dann war
es eine Weile still. Bis es an meine Tür pochte.
,;ch lag erstarrt wie Blei. Wie im Traum
fragte ich: ,Wer ist da?4 Die Stimme des
alten Mannes fragte: ,Hat Sie etwas gestört,
Signore?4
,Nein4, schrie ich.
Ich hörte, wie sich der Alte schlürfend wie-
der entfernte. Es dauerte lange, bis ich meine
Lähmung soweit überwunden hatte, um auf-
stehen zu können lind Licht zu machen. Ich lag
die ganze Nacht wach, von Angst zerrissen in
dem Bett und ich glaube, meine Herrschaften,
wenn Sie ehrlich sind, Ihnen wäre es auch
nicht viel anders gegangen."
Haller steckte sich eine neue Zigarette an:
„DaS war die Geschichte ineiner größten
Angst."
„Tolle Sache", sagte ich. „blnd was steckte
hinter der ganzen unheiinlichen Affäre?"
Haller lachte.
„Als der Morgen dämmerte, stand ich auf,
zog mich an und begab mich mit dem offenen
Taschenmesser in der Tasche zur Diele. Der
Alte war schon auf. Er nickte mir zu und
fragte, ob ich gut geschlafen hätte. Ich sagte
Nein und sah ihn fest an.
,Dachte ich mir's doch4, murmelte er. ,Sie
müssen schon entschuldigen, Signore. Aber ich
wußte ja gleich, daß das verdammte Radio Sie
stören würde. Wir haben uns gestern ein Hör-
spiel auS Rom angehört, ein Kriminalstück.
Meine Frau hat dabei die Tür einen Moment
offen gehabt und das wird Sie wohl gestört
haben ...*
Ich lachte fünf Minuten lang.
bind dann wohnte ich noch acht Tage in
diesem wundervollen, romantischen Palazzo
und habe darin geschlafen wie ein Gott..
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Verfolgte Unschuld
„Huch, es ist schrecklich, Lu, von Männern so verfolgt zu werden! Hoffent-
lich haben sie auch gesehen, daß wir durch den Zaun geschlüpft sind!tf
Jtacf) einer kurzen Zeit hörte ich schlürfende
Schritte, die Tür wurde ausgeschlossen lind ein
mageres, altes Männchen sah mich an. Ich
schrak zurück. Ich hatte so etwas von ab-
schreckender Häßlichkeit überhaupt noch nicht
gesehen. Das Gesicht war eingefallen, ein
struppiger Bart wucherte um das Kinn des
.Mannes und seine kleinen, eng aneinander-
stehenden Augen schielten. Ich stammelte etwas
von einem freien Zimmer. Er nickte und ließ
mich eintreten, schloß aber die Tür sofort wie-
der hinter mir zu. Wir gingen eine breite
Treppe hinauf, in eine Art Diele. Ein düsterer,
alter Raum. An den Wänden hingen gute
Bilder aus dem venezianischen Rokoko, riesige
Basen standen Ln den Ecken und ein großer
Teppich dämpfte die Schritte. Plötzlich wurde
eine Tür aufgerissen und eine Frau stürmte
herein. Sie trug einen knallroten Schlafmantel,
sah mich an und lachte mich an. Ich bekam
bald heraus, daß die beiden ein Ehepaar
waren, ein seltsames Ehepaar, wie mir schien.
Man zeigte mir ein Zimmer, und ich muß ge-
stehen, daß ich, allein gelassen, sofort das
Schloß und den Riegel untersuchte. Aber das
Licht des Tages zerstreute meine Ängste bald,
ich wusch mich, verabschiedete mich von dem
Herrn des Hauses, der mich mit einem selt-
samen lauernden Blick ansah und ging in die
Stadt. Ich kam erst nachts um zwölf zurück.
Als ich vor der dunklen Haustür stand, kam
mir zum erstenmal das ganze Unheimliche mei-
ner Lage zum Bewußtsein. Hier sollte ich also
die Nacht verbringen. Niemand wußte, daß
ich in dieses Haus ging. Auch für den Wirt,
der mir das Logis empfohlen hatte, war ich
erledigt, vergeben. Kein Mensch wußte, wo
ich mich befand. Mir gruselte. Ich klingelte
und nach kurzer Zeit schon öffnete der Alte
die Tür und ließ mich ein. Er sah in der
nächtlichen Beleuchtung noch viel unheimlicher
auS. Ich betrachtete ihn mißtrauisch und
fühlte nach meinem Taschenmesser. Eine Tür
der Diele öffnete sich eine Sekunde lang und
ich sah das lauernde Gesicht der Frau, die noch
immer ihren roten Schlafrock trug, In meinem
Zimmer angekommen, verriegelte ich sofort die
Bür und leuchtete unters Bett, durchsuchte den
Schrank und betrachtete die Wand, ob ich nicht
vielleicht eine verborgene Tür entdecken könnte.
Ich entdeckte nichts. Aber ich legte mich ziem-
lich aufgeregt ins Bett. Schöne Situation. Da
lag ich nun in einem halbzerfallenen italienischen
Palazzo und niemand in der Welt wußte etwas
davon. Es mußte ein leichtes sein, mich umzu-
bringen lind zu berauben. Das Verbrechen
würde bestimmt nie entdeckt werden. Es würde
eine Woche dauern, bis meine Angehörigen mich
als vermißt betrachten müßten. Ich war plan-
los in Italien herumgereist, eS war ganz un-
möglich, meine Spur zu finden. Mit diesen
lvenig angenehmen Gedanken beschäftigte ich
als plötzlich etwas Entsetzliches geschah.
Zch hörte einen schrillen Schrei: ,A35a55iiio!
Assassino!4 Wer Italienisch kann, weiß, daß
das „Mörder" heißt. Es überlief mich heiß
und kalt. Plötzlich wurde mit lautem Krachen
eine Tür im Hause zugeschlagen und dann war
es eine Weile still. Bis es an meine Tür pochte.
,;ch lag erstarrt wie Blei. Wie im Traum
fragte ich: ,Wer ist da?4 Die Stimme des
alten Mannes fragte: ,Hat Sie etwas gestört,
Signore?4
,Nein4, schrie ich.
Ich hörte, wie sich der Alte schlürfend wie-
der entfernte. Es dauerte lange, bis ich meine
Lähmung soweit überwunden hatte, um auf-
stehen zu können lind Licht zu machen. Ich lag
die ganze Nacht wach, von Angst zerrissen in
dem Bett und ich glaube, meine Herrschaften,
wenn Sie ehrlich sind, Ihnen wäre es auch
nicht viel anders gegangen."
Haller steckte sich eine neue Zigarette an:
„DaS war die Geschichte ineiner größten
Angst."
„Tolle Sache", sagte ich. „blnd was steckte
hinter der ganzen unheiinlichen Affäre?"
Haller lachte.
„Als der Morgen dämmerte, stand ich auf,
zog mich an und begab mich mit dem offenen
Taschenmesser in der Tasche zur Diele. Der
Alte war schon auf. Er nickte mir zu und
fragte, ob ich gut geschlafen hätte. Ich sagte
Nein und sah ihn fest an.
,Dachte ich mir's doch4, murmelte er. ,Sie
müssen schon entschuldigen, Signore. Aber ich
wußte ja gleich, daß das verdammte Radio Sie
stören würde. Wir haben uns gestern ein Hör-
spiel auS Rom angehört, ein Kriminalstück.
Meine Frau hat dabei die Tür einen Moment
offen gehabt und das wird Sie wohl gestört
haben ...*
Ich lachte fünf Minuten lang.
bind dann wohnte ich noch acht Tage in
diesem wundervollen, romantischen Palazzo
und habe darin geschlafen wie ein Gott..
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