Heimkehr von der Weide
DAS STÄNDCHEN
Andreas Borz wurde von den Klängen einer
Zigeunerkapelle, die unter seinem Fenster daS
schmachtende Lied spielte:
„Ich bin verliebt, ach, schöne Frau,
In dich bin ich verliebt..."
aus dem besten Schlas geweckt.
Er begann zu überlegen: außer ihnen wohnte
nur noch der Oberstleutnant, ein alter Jung-
geselle, in dem Hause, dies Ständchen konnte
daher niemand anderein als seiner Gattin gel-
ten, die hier im zweiten Bett neben ihm schlief
und bei den Klängen der Musik eben erwachte.
„Wach rasch aus", sagte Andreas Borz zu
seiner Frau. „Es wird dir ein Ständchen dar-
gebracht."
Aus seiner Stimme klang unterdrückter
Ärger.
Die Frau rieb sich den Schlaf aus den
Augen.
„Mir ein Ständchen? Das kann nicht
sein."
„Nachdem eö sehr unwahrscheinlich ist, daß
das Ständchen dem Oberstleutnant gilt, die
Miisikanten aber hier unter unserem Fenster
spielen, kann dieses nur für dich bestimmt sein",
stellte der Gatte rauhen Tones fest. „Geh'
ans Fenster und sieh nach, was unten los ist?"
„Mich interessiert eS nicht", verteidigte sich
die Frau.
Don Emmerich H a l a s z
„Dann werde ich selbst Nachsehen", sagte
der Mann mit erhobener Stimme. „Denn mich
interessiert es fürwahr sehr, wer dieser unver-
schämte Kerl sein mag, der meiner Frau ein
LiebeSgeständnis zu machen wagt. Dieser
Berenyi war mir schon immer verdächtig. Wo-
zu kommt er so oft in unser HauS, wie? Sollte
wirklich er dieses Ständchen veranstaltet haben,
dann werde ich schon wissen, was ich zu tun
habe!"
„Aber, was fällt dir ein", beschwichtigte ihn
die Frau. „Mich kümmert der Berenyi nicht,
er selbst aber hat wahrlich andere Sorgen, als
Ständchen zu veranstalten."
Heimlich aber dachte sie:
„Dieser Berenyi wird doch nicht den Ver-
stand verloren haben, sich mit einem Ständchen
zu verraten? Bisher ist alles so glatt gegan-
gen, es hat noch niemand bemerkt, wenn ich
nach Eintritt der Dunkelheit zu ihm ins HauS
gehuscht bin. Nur jetzt soll eS kein Unglück
geben!" Dann wieder überlegte sie voll Angst:
„Wenn er es aber dennoch ist? Vielleicht
bat er irgendwo gezecht und hat nun im trun-
kenen Zustand alle Vorsicht vergessen."
Inzwischen war der Gatte anS Fenster ge-
treten und spähte aus die Straße hinunter.
„Es ist finster", sagte er ärgerlich, „ich kann
nur die Umrisse der Zigeunerkapelle sehen. Ich
werde aber der Sache schon aus den Grund
gehen!"
Er öffnete das Fenster und rief hinunter:
„Hallo, Primas, kommen Sie sofort zu mir
heraus, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!"
„Ich komme schon, gnädiger Herr, ich
komme schon", war sogleich die Antwort zu '
vernehmen.
„Nun, jetzt werde ich alles erfahren", drohte
der Mann.
„Und wenn tatsächlich Berenyi das Ständ-
chen bestellt haben sollte", meinte die Frau
mit erzwungenem Gleichmut, „ich würde daran
nichts Anstößiges finden. Ein Ständchen muß
doch nicht unbedingt als ein LiebeSgeständnis
gewertet werden, eS kann ja auch ein Zeichen
von Ehrerbietung sein, eine liebe Aufmerksam-
keit, wie ein Kartengruß auS einer fernen
Gegend..."
,So?" meinte der Mann höhnisch. „Eine
liebe Aufmerksamkeit? Du entschuldigst dich
schon im vorhinein. Ein Kartengruß? O
nein, das hier ist schon ein richtiger Liebes-
brief!"
Jetzt trat der Zigeunerprimas ein, und hin-
ter ihm noch drei Mann seiner Kapelle.
„Sagen Sie mir auf der Stelle, wer dieses
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DAS STÄNDCHEN
Andreas Borz wurde von den Klängen einer
Zigeunerkapelle, die unter seinem Fenster daS
schmachtende Lied spielte:
„Ich bin verliebt, ach, schöne Frau,
In dich bin ich verliebt..."
aus dem besten Schlas geweckt.
Er begann zu überlegen: außer ihnen wohnte
nur noch der Oberstleutnant, ein alter Jung-
geselle, in dem Hause, dies Ständchen konnte
daher niemand anderein als seiner Gattin gel-
ten, die hier im zweiten Bett neben ihm schlief
und bei den Klängen der Musik eben erwachte.
„Wach rasch aus", sagte Andreas Borz zu
seiner Frau. „Es wird dir ein Ständchen dar-
gebracht."
Aus seiner Stimme klang unterdrückter
Ärger.
Die Frau rieb sich den Schlaf aus den
Augen.
„Mir ein Ständchen? Das kann nicht
sein."
„Nachdem eö sehr unwahrscheinlich ist, daß
das Ständchen dem Oberstleutnant gilt, die
Miisikanten aber hier unter unserem Fenster
spielen, kann dieses nur für dich bestimmt sein",
stellte der Gatte rauhen Tones fest. „Geh'
ans Fenster und sieh nach, was unten los ist?"
„Mich interessiert eS nicht", verteidigte sich
die Frau.
Don Emmerich H a l a s z
„Dann werde ich selbst Nachsehen", sagte
der Mann mit erhobener Stimme. „Denn mich
interessiert es fürwahr sehr, wer dieser unver-
schämte Kerl sein mag, der meiner Frau ein
LiebeSgeständnis zu machen wagt. Dieser
Berenyi war mir schon immer verdächtig. Wo-
zu kommt er so oft in unser HauS, wie? Sollte
wirklich er dieses Ständchen veranstaltet haben,
dann werde ich schon wissen, was ich zu tun
habe!"
„Aber, was fällt dir ein", beschwichtigte ihn
die Frau. „Mich kümmert der Berenyi nicht,
er selbst aber hat wahrlich andere Sorgen, als
Ständchen zu veranstalten."
Heimlich aber dachte sie:
„Dieser Berenyi wird doch nicht den Ver-
stand verloren haben, sich mit einem Ständchen
zu verraten? Bisher ist alles so glatt gegan-
gen, es hat noch niemand bemerkt, wenn ich
nach Eintritt der Dunkelheit zu ihm ins HauS
gehuscht bin. Nur jetzt soll eS kein Unglück
geben!" Dann wieder überlegte sie voll Angst:
„Wenn er es aber dennoch ist? Vielleicht
bat er irgendwo gezecht und hat nun im trun-
kenen Zustand alle Vorsicht vergessen."
Inzwischen war der Gatte anS Fenster ge-
treten und spähte aus die Straße hinunter.
„Es ist finster", sagte er ärgerlich, „ich kann
nur die Umrisse der Zigeunerkapelle sehen. Ich
werde aber der Sache schon aus den Grund
gehen!"
Er öffnete das Fenster und rief hinunter:
„Hallo, Primas, kommen Sie sofort zu mir
heraus, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!"
„Ich komme schon, gnädiger Herr, ich
komme schon", war sogleich die Antwort zu '
vernehmen.
„Nun, jetzt werde ich alles erfahren", drohte
der Mann.
„Und wenn tatsächlich Berenyi das Ständ-
chen bestellt haben sollte", meinte die Frau
mit erzwungenem Gleichmut, „ich würde daran
nichts Anstößiges finden. Ein Ständchen muß
doch nicht unbedingt als ein LiebeSgeständnis
gewertet werden, eS kann ja auch ein Zeichen
von Ehrerbietung sein, eine liebe Aufmerksam-
keit, wie ein Kartengruß auS einer fernen
Gegend..."
,So?" meinte der Mann höhnisch. „Eine
liebe Aufmerksamkeit? Du entschuldigst dich
schon im vorhinein. Ein Kartengruß? O
nein, das hier ist schon ein richtiger Liebes-
brief!"
Jetzt trat der Zigeunerprimas ein, und hin-
ter ihm noch drei Mann seiner Kapelle.
„Sagen Sie mir auf der Stelle, wer dieses
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