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„Aber der Sergeant hat recht", sagte ein anderer Herr, der ebenfalls
ans seinem Auto stieg, „ich habe gesehen, wie dieses Mädchen zwei
Damen angriff. Er muß sie verhaften, es ist seine Pflicht."

Der Herr im Frack war starr. „Ich sage ihm, er soll sie freilassen",
schrie er, „das genügt!"

„bind ich sage ihm, daß er sie verhaften soll, daS genügt auch!"
schrie der andere.

Petre hatte das Mädchen inzwischen gefesselt und begann sie fort-
zuzerren. „DaS sollst du büßen", schrie der Herr im Frack.

„Fürchte dich nicht, Sergeant", ries der andere, „ich werde für dich
zeugen."

Petre versuchte auch, sich nicht zu fürchten, als am nächsten Morgen

— er schlief noch —, zwei Bewaffnete kamen, die ihn fesselten und
ins Gefängnis brachten. „Ich war ein Esel", sagte er sich, „warum
mußte ich auch meinen Willen haben!"

Er wurde zuerst in ein Loch gesperrt, wo er weder sitzen, stehen
noch liegen konnte. Er hockte dort vierundzwanzig Stunden mit ge-
beugtem Kopf und hochgezogenen Armen. Als man die Tür öffnete,
war er ohnmächtig und plumpste heraus wie ein Sack. Das war der
Auftakt. Es kam zu keiner Verhandlung. Petre war bei dein Streit
sehr unwichtig, alles spielte sich auf dem Gericht ohne ihn ab.

„Hier sind zehntausend Lei", sagte der Herr, der P»^-" wohlwollte,
„der Mann ist unschuldig."

„Hier sind zwanzigtausend Lei", sagte der Herr im Frack, „der
Mann ist schuldig."

Der Beamte lächelte und strich beide Gelder ein. Es war feine ganze
Sorge, daß sich die beiden nie bei ihm oben trafen, Petre blieb in-
zwischen im Gefängnis.

,,^st der Sergeant frei?" fragte der Herr mit den zehntausend Lei.

— „Es tut mir leid", sagte der Beamte, „es muß noch verhandelt
werden, ich tue, was ich kann, aber eS geht nicht so schnell."

„Gut", sagte der Herr, „hier sind nochmals zehntausend Lei, ich frage
nach ein paar Tagen wieder nach."

„Der Hundesohn sitzt doch hoffentlich fest?" fragte der andere, „hier
jind nochmals zwanzigtausend Lei. Lassen Sie sich bitte durch nichts

(Fortsetzung Seite 46)

SCHLAFLOSE NACHT

Du liegst mal wieder naehts und schläfst nicht ein.

Die Zeit hockt dir im Hirn, statt daß sie rinnt,
und jeder Nerv scheint potenziert zu sein —

Dir ist auch seelisch quasi so verdünnt . . .

Du angelst nach dem frisch gepumpten Zeitroman.

Nach zwei, drei Seiten fängst du an zu dösen.

Es wird doch massenhaft Papier vertan!

Du kannst auch — weiß der Teufel! — gar nicht lesen . . .

Mal machst du dunkel und mal machst du wieder,
weil's doch egal ist, halbe Stunden Licht.

Du bist so müde, daß von selbst die Augenlider

so wie bet Puppen zugehn —: Schlafen kannst du nicht.

Die Nacht beliebt, dir arrogant im Ohr zu sausen.

Auch läutet’s Glocken. Doch das ist Neurasthenie.

Du kommst dir vor wie ein Geschwür aus Zwischenpausen
mit Aussicht, daß es wächst bis morgens früh . . .

Wenn sich ein Auto nähert auf der Straße,
dann horchst du anteilnehmend in die Höh.

Es freut dich schließlich in besonderm Maße:
ein Nachbar geht um 4 Uhr 20 vom W. C.

Da fällt dir ein, du sollst vielleicht am Ende
am Abend doch nicht harte Eier essen . . .

Und immer wieder haben deine Zimmerwände
die halbe blaue Blume im Dekor vergessen.

Na, blaue Blume hin und blaue Blume her,
jetzt kriegt der Morgen langsam Lust zu grauen,
jetzt weißt du es mal wieder ungefähr,
was Nerven sind, wie harte Eier sich verdauen.

Walther C. F. Lierke

Wanderer-Verkauf durch: AUTO UNION FILIALEN G m. b. H. Filiale München, Odeonsplatz 12

Fernruf 22 7 61 - 63 — Werkstätten Zennerstraße 20, Fernruf 70 9 84

Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen

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1933 / JUGEND Nr. 3
Index
Walther C. F. Lierke: Schlaflose Nacht
 
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