DOI Heft:
Nr. 4
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.6777#0054
J
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38. JAHRGANG
G
E
N
D
1 9 3 3 / N R. 4
F .
Weidmannsheil!
Heinrich Kley
In meinem schwalbennestkühn an den Fels
geklebten ligurischen Seefahrerneft gibt es —
au^cr zahlreichen Grammophonen, die aus
allen Ecken und Winkeln die neuesten kanadi-
schen und argentinischen Schlager schmettern
— auch ein Radio, „la radio“ genannt, femi-
ninum. („QiBarum ist das Radio weiblich?"
fragt in einem italienischen Witzblatt der kleine
Beppiuo. — „Weil es nicht still sein kann",
antwortet der Papa.) DaS Radio gehört dem
Besitzer einer kleinen Kneipe, nicht weit vom
Kai, und schreit vom Hellen NIorgen bis in
die tiefe Nacht ununterbrochen auf den Markt-
platz, die Promenade, das weite Meer hinaus,
Bon «D | s. i p Kalenter
was in Mailand, Genua, Florenz, Rom und
Neapel in es hineingeschrien wird: Kurszettel,
Arien, Steckbriefe, Puccini-Opern. Die sturm-
erprobte alte Ersilia, die gegenüber einen Ge-
müsestand hielt, mußte nach vier Wochen der
Nervenheilanstalt in Pisa eingeliefert werden.
Die Anwohner, mächtige Seebären und saftige
Fischweiber, ihre muskulösen Söhne und
strammen Töchter inbegriffen, suchen gegen das
Radio aufzukommen, indem sie noch lauter als
sonst sich zurufen, ausschimpfen, anlachen, viel-
deutige Geschichten erzählen — und sie taten
eS schon vordem nicht leise. Ähnlich die Gäste
des radiospendenden Wirtes. Sie brüllen, dröh-
nen, johlen das Radio einfach nieder, während
sie Karten spielen, sich schäkernde Püffe zwischen
die Rippen geben und Rotwein vergießen.
In meinem schwalbennestkühn (siehe oben!)
. . . gibt es auch eine Anzahl Ortsdeppen:
Krücke, den mutigen Seefahrer; Cesro, den
Dummen vom Berge; Birribici, den Leichen-
wäscher; Rubaruori, den Herzensdieb; Americo,
das Mädchen für alles. Americo ist die liebens-
würdigste dieser etwas abseitigen und sich teils
durch körperliche, teils geistige Mängel abheben-
den Erscheinungen: ein junger Mann von unge-
fähr 19 Jahren, schlanker Figur, mit fanatisch
irren, engstehenden Augen, harmlos kindlichem,
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Weidmannsheil!
Heinrich Kley
In meinem schwalbennestkühn an den Fels
geklebten ligurischen Seefahrerneft gibt es —
au^cr zahlreichen Grammophonen, die aus
allen Ecken und Winkeln die neuesten kanadi-
schen und argentinischen Schlager schmettern
— auch ein Radio, „la radio“ genannt, femi-
ninum. („QiBarum ist das Radio weiblich?"
fragt in einem italienischen Witzblatt der kleine
Beppiuo. — „Weil es nicht still sein kann",
antwortet der Papa.) DaS Radio gehört dem
Besitzer einer kleinen Kneipe, nicht weit vom
Kai, und schreit vom Hellen NIorgen bis in
die tiefe Nacht ununterbrochen auf den Markt-
platz, die Promenade, das weite Meer hinaus,
Bon «D | s. i p Kalenter
was in Mailand, Genua, Florenz, Rom und
Neapel in es hineingeschrien wird: Kurszettel,
Arien, Steckbriefe, Puccini-Opern. Die sturm-
erprobte alte Ersilia, die gegenüber einen Ge-
müsestand hielt, mußte nach vier Wochen der
Nervenheilanstalt in Pisa eingeliefert werden.
Die Anwohner, mächtige Seebären und saftige
Fischweiber, ihre muskulösen Söhne und
strammen Töchter inbegriffen, suchen gegen das
Radio aufzukommen, indem sie noch lauter als
sonst sich zurufen, ausschimpfen, anlachen, viel-
deutige Geschichten erzählen — und sie taten
eS schon vordem nicht leise. Ähnlich die Gäste
des radiospendenden Wirtes. Sie brüllen, dröh-
nen, johlen das Radio einfach nieder, während
sie Karten spielen, sich schäkernde Püffe zwischen
die Rippen geben und Rotwein vergießen.
In meinem schwalbennestkühn (siehe oben!)
. . . gibt es auch eine Anzahl Ortsdeppen:
Krücke, den mutigen Seefahrer; Cesro, den
Dummen vom Berge; Birribici, den Leichen-
wäscher; Rubaruori, den Herzensdieb; Americo,
das Mädchen für alles. Americo ist die liebens-
würdigste dieser etwas abseitigen und sich teils
durch körperliche, teils geistige Mängel abheben-
den Erscheinungen: ein junger Mann von unge-
fähr 19 Jahren, schlanker Figur, mit fanatisch
irren, engstehenden Augen, harmlos kindlichem,
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