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Die schweigsamen Gebrüder Sass —

Der Traum des Uniersuchungsrichiers oder: Das peinliche Vevh

Morgenhymne

(Akuter Daseinskrise entsprechend)

Verdammtes Bell, in dem ich seufzend liege
(und solo wie seit Wochen nun zumeist),
in dem ich morgens mich nie munter kriege
(wobei das „morgens“ 12 Uhr mittags heißt), —

verdammtes Belt, gestellt an grünlich-graue,
schon lange nicht mehr neu geslrichne Wand,
verdammtes Bett, von dem ich auswärts schaue
in meine Bude, karg wie braches Land/ —:

Da steht kein Frühstückslisch mit weißer Decke,
mit Brötchen, [risch vom Bäcker hergebracht,
da ist, wenn ich die Arme noch so recke,
mir weder Tee noch Kaffee zugedaclil.

Da hängt mein Hemd, schon reichlich angehabt,
lahm überm Stuhl und vogelscheuchl mich an.

Da schielt die Uhr, die immer weiter trabt
und gegen Leerlauf doch nichts machen kann.

Da liegen drei, vier doofe Manuskripte
wie altes Laub, verstreut auf trägen Teich.

Wenn ich sie kurzweg aus dem Fenster kippte,
dann wär ich ohne sie genau so reich.

Da ist ein reizendes Menü serviert
aus Sockenhaltern, Unterzeug, Krawalle.

Und all der Krempel lut, als ob er spürt,
daß ich schon gestern keinen Pfennig hatte, —

Verdammtes Bett, in dem ich Tag für Tag
die Zeit verliege und die Zeit vertag, —
verehrtes Bett, sei du allein gepriesen
als Tank der Wurschtigkeit in allen Krisen.

Walther F. G. Lierke

Der R u n d f u n k v o rt r a g

D o n Hans R j e b a u

I.

„Alsa 11m 21 Uhu 10 spreche ich in Bern", sagt Alfred. „Venn du
meinen Dortrag mit anhören willst, mußt du den großen Knopf auf Hi
stellen, die Rückkoppelung zurückdrehen und mit dem Sperrkreisknopf
die Nebensender ausschalten."

„Unmöglich", seufzte Frau Anita, „zwei Stunden lang habe ich ver-
sucht, mich mit dem Radioapparat vertraut zu machen. Es geht nicht."

„Aber liebes Kind", lächelte Alfred, „da du mich nun einmal unter
allen llmständen im Lautsprecher hören willst, werden deine Intelligenz
und deine Energie doch auSreichen, um —"

„Nteine Intelligenz und meine Energie", unterbrach Frau Anita,
„beziehen sich eben auf andere Dinge als auf Radioapparate."

II.

„Ich habe Peter Bescheid gegeben", sagte Alfred, „Peter wird
morgen um neun Uhr zu dir kommen, den Apparat anstellen und dann
könnt ihr meinen Bortrag zusammen hören."

„ Peter?" hob Frau Anita den Kopf. „Ein so hübscher Junge? Um
neun llbr abends? Und tvaS werden die Leute dazu sagen?"

„Der Zweck heiligt die Mittel", lächelt Alfred, „llnd ivas die Leute
sagen, ist mir vollkommen gleichgültig."

III.

„Nun?" fragte Alfred, als er seine Frau umarmt hatte. „Vie
war s? Zst Peter dageioesen?"

„Natürlich", nickte Frau Anita.

„Und hat er Basel gefunden?"

„Sofort", sagte Frau Anita. „Zhr Männer seid uns doch in Dingen
praktischer Intelligenz überlegen."

„Möglich", murmelte Alfred, „und wie war es weiter?"

„Vie soll es weiter gewesen sein?" zuckte Frau Anita die Achsel.
„Vir haben jedes Vort deines Bortrages verstanden. Es ivar wunder-
voll."

Alfred schwieg.

„VaS machst du für ein merkwürdiges Gesicht?" fuhr Frau Anita
fort. „Hast du etwa von einem Bortrag rein sozialpolitischen ZnhaltS
noch mehr Begeisterung bei deinen Hörern erwartet?"

„O nein", sagte Alfred. „Ich habe, loenn ich aufrichtig sein )oll,
roeit loeniger Begeisterung erwartet für einen Bortrag, der infolge
besonderer Umstände auf unbestimmte Zeit verschoben ist."

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Register
Hans Riebau: Der Rundfunkvortrag
Walther C. F. Lierke: Morgenhymne
Erich Wilke: Die schweigsamen Gebrüder Sass
 
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