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38. JAHRGANG
GEN
Illustrierte Sprichwörter:
II.
„Aus der Luft gegriffen/“
erg jur ICC
Don Wilhelm Weldin
D
933 / NR. 6
Odoaker (blau, blond und Meteorologe) ertränkte seine Zigarette
in der Teetasse und warf den Zucker in den Aschenbecher.
„Es ist kalt", sagte er, tiesstnnig in den Tee blickend. „Ausgesprochen
kalt, Daisy."
„Was... der Tee?" fuhr Daisy aus abwegigen Gedanken auf,
fischte vorsichtig den trübselig treibenden Zigarettenstummel aus der Tee-
taste und ersetzte ihn durch den Zucker, den sie der Aschenschale entnahm.
"3°^ spreche von den polaren Kaltluftmassen", sagte Odoaker, „die
derzeit aus den Regionen des achtzigsten Breitegrades in unsere Gegenden
eindringen und durch Vereisung in den Luftschichten über 3000 Meter
Höhe die dort kondensierten Wasserdämpfe in Schnee verwandeln, ein
Phänomen, das in seiner sichtbaren Erscheinungsform dem Laien als
Winter bekannt ist, da-"
„Odoaker!" unterbrach Daisy mit jenem girrenden Unterton, der auch
angehende Meteorologen zeitweilig in Menschen verwandeln kann.
„Ja, Daisy?"
„Ich habe eine große Bitte an dich."
„So?"
„Eine ganz große Bitte."
„Ah?"
„Odoaker ..." sagte Daisy und fuhr mit den Fingern zärtlich durch
des Genannten Haar. „Ich habe einen unerhörten Gelegenheitskauf in
Aussicht. Etwas noch nie Dagewesenes. Etwas überhaupt noch nicht
Dagewesenes. Emen Nerz für 100 Mark! Für sage und schreibe
100 Mark! Du, ein Nerz... so waS Schönes hast du noch nicht ge-
sehen. Und fast gar nicht getragen! Und sooo billig! Es ist einfach nicht
zu glauben und doch ist es so. Der Nerz gehört nämlich einer Freundin
eines Freundes der Kusine des Onkels des Mannes meiner Schwester,
die ihn dringendst verkaufen muß, weil ihr Freund Pleite gemacht hat.
Für 100 Mark, Odoaker! Einfach verschleudert! Darf man eine solche
Gelegenheit fahren lassen? Man darf eS nicht, Odoaker! Es wäre eine
Sünde. Geradezu eine Sünde ... Nicht...?"
Odoaker nestelte nervös an einem Knopf seines Sakkos, riß ihn zer-
streut ab und steckte ihn in seine Tabatiere.
„Es sei, Daisy", sagte er schwach und tastete nach seiner Brieftasche.
*
Teddy (lieb, nett und unbedeutend) machte einen tiefen Zug auS
seiner Zigarette, wippte mokant mit der rechten Augenbraue und be-
gann den neuesten Witz zu erzählen.
„Paß' auf, Daisy: da treffen sich Meier und Müller. Und da sagte
der Müller dem Meier-"
An diesem Punkt mußte Teddy so herzlich über seinen eigenen Witz
lachen, daß er die Pointe nicht mehr herausbrachte.
„Also-" gurgelte er nach einer halben Minute.
„Teddy!" unterbrach ihn Daisy mit jenem girrenden Unterton, der
auch pathologische Witzeerzähler dazu bringen kann, eine Pointe fallen
zu lassen. (Fortsetzung Seite 84)
82
38. JAHRGANG
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Illustrierte Sprichwörter:
II.
„Aus der Luft gegriffen/“
erg jur ICC
Don Wilhelm Weldin
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Odoaker (blau, blond und Meteorologe) ertränkte seine Zigarette
in der Teetasse und warf den Zucker in den Aschenbecher.
„Es ist kalt", sagte er, tiesstnnig in den Tee blickend. „Ausgesprochen
kalt, Daisy."
„Was... der Tee?" fuhr Daisy aus abwegigen Gedanken auf,
fischte vorsichtig den trübselig treibenden Zigarettenstummel aus der Tee-
taste und ersetzte ihn durch den Zucker, den sie der Aschenschale entnahm.
"3°^ spreche von den polaren Kaltluftmassen", sagte Odoaker, „die
derzeit aus den Regionen des achtzigsten Breitegrades in unsere Gegenden
eindringen und durch Vereisung in den Luftschichten über 3000 Meter
Höhe die dort kondensierten Wasserdämpfe in Schnee verwandeln, ein
Phänomen, das in seiner sichtbaren Erscheinungsform dem Laien als
Winter bekannt ist, da-"
„Odoaker!" unterbrach Daisy mit jenem girrenden Unterton, der auch
angehende Meteorologen zeitweilig in Menschen verwandeln kann.
„Ja, Daisy?"
„Ich habe eine große Bitte an dich."
„So?"
„Eine ganz große Bitte."
„Ah?"
„Odoaker ..." sagte Daisy und fuhr mit den Fingern zärtlich durch
des Genannten Haar. „Ich habe einen unerhörten Gelegenheitskauf in
Aussicht. Etwas noch nie Dagewesenes. Etwas überhaupt noch nicht
Dagewesenes. Emen Nerz für 100 Mark! Für sage und schreibe
100 Mark! Du, ein Nerz... so waS Schönes hast du noch nicht ge-
sehen. Und fast gar nicht getragen! Und sooo billig! Es ist einfach nicht
zu glauben und doch ist es so. Der Nerz gehört nämlich einer Freundin
eines Freundes der Kusine des Onkels des Mannes meiner Schwester,
die ihn dringendst verkaufen muß, weil ihr Freund Pleite gemacht hat.
Für 100 Mark, Odoaker! Einfach verschleudert! Darf man eine solche
Gelegenheit fahren lassen? Man darf eS nicht, Odoaker! Es wäre eine
Sünde. Geradezu eine Sünde ... Nicht...?"
Odoaker nestelte nervös an einem Knopf seines Sakkos, riß ihn zer-
streut ab und steckte ihn in seine Tabatiere.
„Es sei, Daisy", sagte er schwach und tastete nach seiner Brieftasche.
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Teddy (lieb, nett und unbedeutend) machte einen tiefen Zug auS
seiner Zigarette, wippte mokant mit der rechten Augenbraue und be-
gann den neuesten Witz zu erzählen.
„Paß' auf, Daisy: da treffen sich Meier und Müller. Und da sagte
der Müller dem Meier-"
An diesem Punkt mußte Teddy so herzlich über seinen eigenen Witz
lachen, daß er die Pointe nicht mehr herausbrachte.
„Also-" gurgelte er nach einer halben Minute.
„Teddy!" unterbrach ihn Daisy mit jenem girrenden Unterton, der
auch pathologische Witzeerzähler dazu bringen kann, eine Pointe fallen
zu lassen. (Fortsetzung Seite 84)
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