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DonErw n Skranik


1933 / NR. 7

TA €.

Hans Brunner lag tief Ln die Kiffen seines Bettes zurückgelehnt. Die
Augen hatte er geschliffen — er schlief.

Die Pflegerin schlich auf den Zehenspitzen aus dem Zimmer, ging in
den Nebenraum, nahm dort ein Buch vom Tisch und begann darin
zu lesen.

Sie kam nicht weit. Die Flurglocke schrillte, man hatte sie um des
Kranken willen zwar abgedämpft, aber ein bißchen Lärm mußte sie doch
machen, sonst horte man ja nicht, wenn jemand kommen wollte.

Es war Dr. Schuhmann, der langjährige Hausarzt Brunners. Dies-
mal hatte er, verabredungsgemäß, Professor Straßer, der als der tüch-
tigste Internist der Stadt galt, mitgebracht. Der Patient war nun schon
durch zwei Wochen krank, keine wesentliche Besserling seines Befindens
festzustellen, — da schien eS dem gelviffenhaften Arzt angezeigt, einen
Spezialisten 311 Rate zu ziehen.

Brunner war durch den Glockenton aus seinem Schlummer errvacht.
Zu müde jedoch, um sogleich die Augen zu öffnen, döste er, ruhig atiliend,
weiter.

„Er schläft eben", hörte er die Pflegerin sagen. Und dann Dr. Schuh-
manns Stimme: „Sollen wir ihn wecken?"

Ein Bariton antlvortete: „Nein, nein, ich will lieber vorerst noch
einiges mit Ihnen besprechen, Herr Kollege."

HanS Brunner schlief wieder ein. Oder redeten die Arzte im Neben-
zimmer so leise miteinander, daß er nichts zu hören vermochte? Er riß
sich zusammen. War es denn schon so arg mit ihm? Konnte er nicht
einmal mehr lauschen?

Da, — jetzt vernahm er wieder Dr. Brunner: „Und lvaS glauben
Sie, Herr Professor?" — Worauf der Bariton ganz entschieden
erklärte: „Also ich gebe Ihnen mein Wort, — so traurig es auch ist, —
doch der Mann erlebt nicht mehr den morgigen Tag."

Die beiden Ärzte standen jetzt an Hans Brunners Bett. Die Pflegerin
hatte den Kranken geweckt, denn sie glaubte, er schliefe immer noch. Daß
er schon einen Teil des Gespräches vom Nebenziminer gehört, davon
verriet Brunner nichts.

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