A
J U G
38. JAHRGANG
END
1 9 3 3 NR. 14
Man spricht von bösen alten Weibern, unt)
es ist gar nicht so schlimm. Diese Alte aber war
wirklich bös. Wenn sie endlich unter die Erde
käme, wäre es gut!
Hundertmal in ihrem jungen Leben, viel zu
ost in ihrem jungen Leben, hat sich das Mäd-
chen Paula, knirschend in Verzweiflung, das
gesagt, weinend vor Haß, mit den Fäusten
hilflos gegen die Wand und den eigenen Schädel
trommelnd.
Böse war die Alte manchmal nur um der
Bosheit willen, und immer häufiger. Fiel der
Topf mit Milch um, weil die schlechter werden-
den Augen den Raum falsch sahen — oder
kippte sie den Topf absichtlich, damit eS Arbeit
. M. FREY
DAS GIFT
gab, eine Minute bevor Paula zu ihrer Ver-
abredung mit dem Franz gehen wollte? Oh,
die Augen waren gar nicht schlecht, sie ver-
folgten genau den Säuberungsvorgang: Milch
fei doch fettig, was ihr einfiele, kaltes Wäger
zu nehmen, erst müsse das Wasser, mit dem
aufzuwischen sei, heiß gemacht werden, nur
keine eilige Schlamperei! — Warum war
immer wieder Asche aus dem Ofen gerieselt?
Wie kam eS, daß alle Nähte an den Vor-
hängen, den Kleidern, den Handtüchern auf-
gingen, und daß man endlos zu flicken hatte?
Wodurch verstopfte sich der Ausguß, wer brach
Leisten von Möbelstücken ab und befahl, man
müsse sie timständlich anleimen; brachen sie von
selbst? Wer pflegte höhnisch zu sagen: „Wenn
man mich einstmals beerben will, dann muß
man auch ein bißchen was für mich tun wollen,
ineine feine Nichte Paula!"
Sie wollte ja gar nichts erben, bloß atmen
können, und nicht ersticken in Groll und Er-
niedrigung. Wie war das? Ging denn so
Vieles guer — mit rechten Dingen sozusagen?
War eine laufende Kette lästiger Zufälle denk-
bar? Es nicht zu wissen, war fast das
Ouälendste. Die Alte war vorsichtig und
schlau. Hexenhafte Bosheiten schienen ihr der
liebste Zeitvertreib zu sein. Sie war gar nicht
so gebrechlich, schwerhörig oder halb blind. Sie
nahm sich in acht bei ihren.Gemeinheiten, spielte
3. M a 9 o n
Der Anreiz
Bei Sechstagerennen soll, um besondere Geschwindigkeiten zu erzielen, in Zukunft
der oben abgebildete Apparat angewendet werden, der den Fahrern während des
Rennens ständig einen echten Hundertmarkschein vor Augen hält!
210
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38. JAHRGANG
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Man spricht von bösen alten Weibern, unt)
es ist gar nicht so schlimm. Diese Alte aber war
wirklich bös. Wenn sie endlich unter die Erde
käme, wäre es gut!
Hundertmal in ihrem jungen Leben, viel zu
ost in ihrem jungen Leben, hat sich das Mäd-
chen Paula, knirschend in Verzweiflung, das
gesagt, weinend vor Haß, mit den Fäusten
hilflos gegen die Wand und den eigenen Schädel
trommelnd.
Böse war die Alte manchmal nur um der
Bosheit willen, und immer häufiger. Fiel der
Topf mit Milch um, weil die schlechter werden-
den Augen den Raum falsch sahen — oder
kippte sie den Topf absichtlich, damit eS Arbeit
. M. FREY
DAS GIFT
gab, eine Minute bevor Paula zu ihrer Ver-
abredung mit dem Franz gehen wollte? Oh,
die Augen waren gar nicht schlecht, sie ver-
folgten genau den Säuberungsvorgang: Milch
fei doch fettig, was ihr einfiele, kaltes Wäger
zu nehmen, erst müsse das Wasser, mit dem
aufzuwischen sei, heiß gemacht werden, nur
keine eilige Schlamperei! — Warum war
immer wieder Asche aus dem Ofen gerieselt?
Wie kam eS, daß alle Nähte an den Vor-
hängen, den Kleidern, den Handtüchern auf-
gingen, und daß man endlos zu flicken hatte?
Wodurch verstopfte sich der Ausguß, wer brach
Leisten von Möbelstücken ab und befahl, man
müsse sie timständlich anleimen; brachen sie von
selbst? Wer pflegte höhnisch zu sagen: „Wenn
man mich einstmals beerben will, dann muß
man auch ein bißchen was für mich tun wollen,
ineine feine Nichte Paula!"
Sie wollte ja gar nichts erben, bloß atmen
können, und nicht ersticken in Groll und Er-
niedrigung. Wie war das? Ging denn so
Vieles guer — mit rechten Dingen sozusagen?
War eine laufende Kette lästiger Zufälle denk-
bar? Es nicht zu wissen, war fast das
Ouälendste. Die Alte war vorsichtig und
schlau. Hexenhafte Bosheiten schienen ihr der
liebste Zeitvertreib zu sein. Sie war gar nicht
so gebrechlich, schwerhörig oder halb blind. Sie
nahm sich in acht bei ihren.Gemeinheiten, spielte
3. M a 9 o n
Der Anreiz
Bei Sechstagerennen soll, um besondere Geschwindigkeiten zu erzielen, in Zukunft
der oben abgebildete Apparat angewendet werden, der den Fahrern während des
Rennens ständig einen echten Hundertmarkschein vor Augen hält!
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