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Heitere Zoologie

I.

Das Mondkalb

ein

Sie war klein, zierlich und von einer tänze-
rischen Lebhaftigkeit. Er groß und blond. Das
konnte man nicht anders sagen. Aber da war
etwas im Wege, da lag etwas zwischen ihnen ...
das heißt: eigentlich nicht, aber wenn man ihr
Verhältnis richtig betrachtete eigentlich doch.

Jedenfalls: er traf sich jeden Abend mit ihr.
Auch heute stand sie schon an der bewußten
Ecke. Klein, zierlich... siehe oben. Er, wie
immer forsch und um sie besorgt, fragte: „Wo
gehen wir hin? . .."

Sie, nur rosenrotes Spitzenmäulchen:
„Och..."

„Hm", meinte er und auf seiner Stirn lag
eine Falte, die auf dieser jungenhaften Stirn
reichlich deplaciert aussah. „Gehn wir also ..."

Sie gingen.

Er dumpf brütend, sie nur einziges Geplap-
per. Da ist es nun wieder, dachte er. Sein
Unmut krabbelte bis in die Fingerspitzen. Er
war eifersüchtig und wußte nur nicht, auf wen
oder was. Blödsinnig, daß er kein Objekt für
seine Eifersucht hatte.

„Kalt heute", sagte er brummig.

Sie sah ihn groß an: „Kalt?..."

jun.Qer / bann ver

Von Herbert Lestiboudois

,3a!"

„Na, aber..."

Er hörte gar nicht hin. „Och", hat sie wie-
der gesagt, grübelte er. Warum tut sie das?
Das muß doch einen Grund haben. SowaS
sagt man doch nicht ohne weiteres so. Jeden
Abend geht das —: immer sagt sie „och", wenn
ich sie frage wo wir hinwollen. Als ob ihr
alles gleichgültig wäre. Als ob ihr gar nichts
daran läge, wo wir zusammen sind. Sie liebt
mich nicht mehr, ich bin ihr egal, jemand ist
dazwischen.. . sonst sagt man doch nicht
„och" ...

Er biß sich zornig auf die Lippen. „Ich will
nicht mehr!" sagte er barsch. Und schwieg.

„WaaaS? ..."

„Nein!"

„Du willst nicht... ja, waS denn? . .."

„Gar nichts!"

Pause. —

Es fing an zu regnen. Er wurde noch
wütender. Sie war beleidigt. „Bring mich nach
Hause", sagte sie.

„Schön ... wie du willst", meinte er bissig.
Aber innerlich dachte er ganz anders. Sie will

mich los sein, dachte er, sie spielt nur mit mir,
sie betrügt mich, sie soll mir ...

Ssssssssst — Etwas Massiges rutschte aus
dem Asphalt scharf an ihnen vorüber: ein Auto.
Er hatte sie erschreckt umgesaßt.

„Beinahe..." sagte sie.

„Ja, beinahe. .." Schweigen. —

Dann sie: „Hast du Angst um mich gehabt?"

Er: „Doch ... sehr!"

Dann standen sie vor ihrer Haustür. Er
kämpfte sichtlich. Zögernd: „Hast du mich noch
lieb?"

„Aber du ... was fragst du? ..."

„Warum sagst du immer ,och*?"

„Jiich ... wann?"

„Vorhin."

Sie lachte. „Liebster, bist du bös?"

„Nein."

„Na, also ..."

„Na, also!!" —

Er küßte sie, wartete gewissenhaft bis sie
abgeschlossen hatte und geborgen war. Dann
ging er weiter, fast heiter und zufrieden. Bis
ihm einfiel, daß er eigentlich immer noch nicht
wußte, warum sie „och" sagte.

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Herbert Lestiboudois: Wenn ein junger Mann verliebt ist...
Bold (Bolt): Das Mondkalb
 
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