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3 8. JAHRGANG

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1 933 / NR. 27

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Von Wilhelm von Wien

„Haben Sie noch nie von mir gehört?" ant-
wortete er mit einer Gegenfrage.

„Nein! Ich bin erst zwei Tage hier..."

„Ach so! Dann freilich! Gestatten Sie also
— ich bin bas Nachtgespenst."

„Das ... Nachtgespenst . . .!" hauchte Liane
verzweifelt.

„Erschrecken Sie nicht! Das klingt unheim-
licher, als ich in Wirklichkeit bin. Übrigens
bin ich persönlich an diesem Namen unschuldig.
Ich hätte sicher einen originelleren Namen für
mich erfunden. Aber man nennt mich so. blnd
gegen seine Popularität kann kein Mensch
etwas unternehmen."

Liane kämpfte mit sich, ob sie reden oder

Liane DeyerS, die in den Kurort vorauS-
geschickt worden war, um die Ankunft ihrer
Eltern zu erwarten, kehrte etwas nach zehn in
ihr Hotelzimmer zurück. Die Balkontüre stand
offen und ließ den herben, betäubenden Dust
des nächtlichen Gartens herein. Daö Mond-
licht flutete in satter Lilafärbung über den
Balkon und färbte die Möbelstücke fast theater-
haft unwirklich. Liane, die solche Stimmungen
immer ein bißchen kitschig empfand, blieb trotz-
dem mitten im Zimmer stehen und hatte Mühe,
gegen ein Gefühl ganz unbegreiflicher Rührung
anznkämpfen. Nach einer Weile begann sie
sich, ohne den Lüster anszudrehen, für die Nacht
umzukleiden.

Gerade als sie den Pyjama an-
gelegt hatte, drang vom Balkon ein
beängstigendes Geräusch her. Sie
blickte ängstlich nach der Richtung
deö einfallenden Mondscheines und
sah im nächsten Augenblü'k bereits
einen männlichen Schatten, der sich
über die Brüstung schwang. Sie
loollte anfschreien — aber da stand
der Mann schon vor ihr. Es war
eine schlanke, trainierte Gestalt, im
Smoking, mit blitzendem Hütchen
ä la Maurice Chevalier. Nur sein
Gesicht konnte sie nicht erkennen,
denn er hatte eine schwarze Maske
vor den Augen, die auch noch die
untere Partie bis zum Mund ver-
deckte. Sie sah nur ein schwarzes,
sehr gepflegtes Schnurrbärtchen,
einen herben, schmalen Mund und
ein sehr energisches Kinn.

„Schreien Sie nicht!" sagte der
Fremde mit einer sehr melodischen
Stimme, die irgendwie — absicht-
lich oder unabsichtlich — fremd an-
klang. „Schreien Sie nicht! Wenn
Eie Lust haben, sich mit mir in
Freundschaft und Ruhe zu unter-
halten, bin ich der netteste Mensch
von der Welt. Wenn Sie Skandal
schlagen, kann ich — zu meinem
größten Bedauern allerdings — sehr
unangenehm werden."

Seine Worte klangen so über-
zeugend, daß sie es tatsächlich unter-
ließ, um Hilfe zu rufen. Sie zog sich
nur etwas tiefer ins Zimmer zurück
und begnügte sich damit, den unge- Bescheidene Ansprüche

betenen Gast sprachlos anzustarren. „Aber Emil, du ißt schon wieder mit dem Messer/‘

Nach einer Weile fand Sie endlich den „Na ja, ’n bißchen Vergnügen will der Mensch im

zu einer Frage: „Wer sind Sie?" schließlich noch haben!1'

schweigen solle. Schließlich entschied sie sich
doch für die Taktik, ihn mit Worten ein biß-
chen milder zu stimmen. „Hören Sie, mein
Herr! Sie bemühen sich bei mir umsonst! Ich
bin ein junges Mädchen und besitze nichts, lvaS
Sie mir rauben könnten."

Sein Blick fiel auf den Brillantring an
ihrer linken Hand. Sein diskretes Lächeln be-
zichtigte sie scharmant einer kleinen Notlüge.
Sie sah aus ihre Hand und sagte, fast ein
wenig entschuldigend: „Na ja, Gott, dieser
Ring ... Der ist aber auch das einzige, lvaS
ich besitze."

„Sie sind so liebenswürdig, mich zu über-
schätzen, mein Fräulein. Ich begnüge mich,
wenn es sein muß, auch mit
0 8. Sauer Kleinigkeiten, übrigens ist der Ring
sehr schön und Sie tun dem Spen-
der unrecht, wenn Sie sagen, daß
Sie nichts besitzen." Er betrachtete
sie eine Weile und meinte dann:
„Sehr schade, daß Sie noch nichts
von mir gehört haben!"

„Künstlereitelkeit?" fragte sie spöt-
tisch.

„Das vielleicht auch. Aber ich bin
es in letzter Zeit geivohnt, mich nicht
erst erklären zu müssen. Das wird
nämlich auf die Dauer langweilig.
Wenn Sie schon von mir gehört
' hätten, dann wüßten Sie, daß ich
ein etwas merkwürdiges System der
V Arbeit habe."

„Sie werden sich schon dazu be-
quemen müssen, mir Ihr System zu
erklären."

„Ja also — Sie haben sich wahr-
scheinlich schon gedacht, daß eS mein
Beruf ist, nachts in die Zimmer
alleinstehender Damen einzusteigen."

„Zur Überlegung haben Sie mir
ja nicht allzuviel Zeit gelassen."

„Stimmt. Ich bin sonst kein
Dampsplaud.erer. Aber eS gehört
nun einmal zum Geschäft. Friseure
und Gentlemaneinbrecher müssen ihre
Kunden unterhalten. Sonst lang-
iveilen sie sich zu sehr."

„Sie steigen also bei alleinstehen-
den Damen ein, um sie zu berauben?"

„Nicht alle. Nur den hübschen
Frauen nehme ich die Sorge um ihre
Schmuckstücke ab. Den häßlichen
gebe ich einen Kuß."

Lehen doch „Umgekehrt!" stellte Liane richtig.

„Sie meinen natürlich, daß Eie die

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Josef Sauer: Bescheidene Ansprüche
Wilhelm v. Wien: Das Nachtgespenst
 
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