J U G
38. JAHRGANG
END
1 9 3 3 / NR. 29
Sibyll saß mit andächtiger Miene vor
ihrem Toilettetisch. Begreiflich — sie machte
sich für den Empfang bei ihrer besten Freundin
Mary zurecht. Das Wunderwerk ihrer Schön-
heit, die eine Entente eoräiule mit der Kos-
metik geschlossen hatte, war nahezu vollendet.
Es handelte sich nur mehr darum, die Lippen
zu rougieren.
Plötzlich hörte sie ein knisterndes Geräusch
hinter sich, so etwa, als ob es Kurzschluß gebe.
Sibyll wandte sich erschrocken um. Das Licht
brannte noch. Aber hinter ihr stand ein frem-
der, junger, tipptopp aussehender Mann, der
weder durch die Tür, noch durch daS Fenster
gekommen sein konnte; denn beide waren ver-
schlossen. Sie tat das, was sie im Theater oder
im Kino immer so lächerlich und altmodisch
gefunden hatte: sie schrie auf. blnd indem sie
sich weit auf die Glas-
platte ihres ToilettetifcheS
zurücklehnte, fragte sie ent-
setzt: „Wer sind Sie? Wie
kommen Sie herein? Lind
was wollen Sie hier?"
Der junge Mann lächelte
scharmant... „Ich werde
Ihnen selbstverständlich alle
drei Fragen beantworten,
gnädige Frau. Aber leider,
leider, Sie werden mir keine
einzige Antwort glauben.
Wer ich bin? Bitte, lächeln
Sie nicht zu früh: Ich bin
der Schutzengel schöner
Frauen ... Ah, Sie machen
schon ein ungläubiges Ge-
sicht! Ich habe es ja ge-
wußt!"
.. Schutzengel schöner
Frauen . . .?" wiederholte
Sibyll so ironisch, wie er eS
erwartet hatte. „Sind Sie
gekommen, um mir alte Kin-
dermärchen aufzutischen?"
Der junge Mann machte
ein bedauerndes Gesicht.
„Es ist immer das Schreck-
lichste, wenn schöne Frauen,
die doch selbst ein Märchen
der Schöpfung sind, nicht
an Märchen glauben wol-
len. So etwas gibt es,
meine Gnädigste, blnd ich
bin tatsächlich der Schutz- Pastorale
engel schöner Frauen. Seit vielen tausend
Jahren bin ich auf der Erde, um für meine
besonderen Schützlinge zu sorgen. Oder ist eS
Ihnen noch nicht ausgefallen, wie behutsam
Ihre Schritte immer gelenkt werden, wie sehr
in jedem Augenblick, in jeder Situation, für
Ihre Schönheit gesorgt ist und wie viele Bene-
fizien Sie vor anderen Geschlechtsgenossinnen
voraus haben? Glauben Sie also jetzt, daß
es einen Schutzengel schöner Frauen gibt?"
„Sie sind verrückt!" sagte Sibyll und lächelte
sogar schon ganz schwach.
Er verneigte sich. „Danke! Das habe ich
erwartet und das geht mir seit vielen tausend
Jahren schon so. Wenn man schönen Frauen
ganz uneigennützig gegenübertritt, glauben sie
immer, man sei verrückt. Ich nehme also an,
daß Sie mir jetzt die Beantwortung der zweiten
(oberbayerisch, um 1933)
Frage gütigst erlassen werden. Ein Schutzengel
braucht bekanntlich nicht Tür und Fenster, um
bei seinen Pflegebefohlenen zu erscheinen. Man
materialisiert sich eben für den Hausgebrauch
zurecht und die Sache ist erledigt."
„Wie heißen Sie?"
„Harry."
„Harry?" wiederholte sie spöttisch. „Seit
wann heißen Schutzengel Harry?"
„Seit ungefähr zehn Jahren. Früher habe
ich anders geheißen, bind noch früher ganz
anders. Oder würden Sie es lieber sehen, wenn
ich Ezechiel hieße?"
„Nein! bim Himmels willen! Dann heißen
Sie in Gottes Namen Harry! Nicht auSzu-
denken, daß ausgerechnet mein Schutzengel
Ezechiel heißt!"
„Sehen Sie! Als Ihr Schutzengel habe ich
nur ein Bestreben: mich
Ihnen angenehm zu machen.
Also, jetzt zur Frage drei:
Was ich hier will. Da Sie
mit der Institution der
Schutzengel so lvenig ver-
traut sind, liebste gnädige
Frau, so wissen Sie wahr-
scheinlich auch nicht, daß
jede schöne Dame drei
Wünsche an das Schicksal
frei hat. blnd um Ihnen
das mitzuteilen, habe ich
mich in Menschengestalt
geworfen und bin da."
Sibyll, die immer mehr
an die Seriosität ihres
Schutzengels zu glauben
begann, sagte mit einem
ehrfürchtigen Schauer:
„Drei Wünsche...? Ich
habe drei Wünsche frei?"
bind nach einer Weile
fügte sie hinzu: „Ist das
nicht ein bißchen zu wenig?"
„Sie ahnen ja gar nicht,
wieviel ein einziger kluger
Wunsch ist! blnd gar erst
drei Wünsche! Drei er-
füllte Wünsche einer schö-
nen Frau können sie unter
blmständen für die Ewig-
keit glücklich machen!
Sibyll sagte plötzlich,
ohne zu überlegen: „Ich
l.. von Horvath wünsche mir..."
450
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Sibyll saß mit andächtiger Miene vor
ihrem Toilettetisch. Begreiflich — sie machte
sich für den Empfang bei ihrer besten Freundin
Mary zurecht. Das Wunderwerk ihrer Schön-
heit, die eine Entente eoräiule mit der Kos-
metik geschlossen hatte, war nahezu vollendet.
Es handelte sich nur mehr darum, die Lippen
zu rougieren.
Plötzlich hörte sie ein knisterndes Geräusch
hinter sich, so etwa, als ob es Kurzschluß gebe.
Sibyll wandte sich erschrocken um. Das Licht
brannte noch. Aber hinter ihr stand ein frem-
der, junger, tipptopp aussehender Mann, der
weder durch die Tür, noch durch daS Fenster
gekommen sein konnte; denn beide waren ver-
schlossen. Sie tat das, was sie im Theater oder
im Kino immer so lächerlich und altmodisch
gefunden hatte: sie schrie auf. blnd indem sie
sich weit auf die Glas-
platte ihres ToilettetifcheS
zurücklehnte, fragte sie ent-
setzt: „Wer sind Sie? Wie
kommen Sie herein? Lind
was wollen Sie hier?"
Der junge Mann lächelte
scharmant... „Ich werde
Ihnen selbstverständlich alle
drei Fragen beantworten,
gnädige Frau. Aber leider,
leider, Sie werden mir keine
einzige Antwort glauben.
Wer ich bin? Bitte, lächeln
Sie nicht zu früh: Ich bin
der Schutzengel schöner
Frauen ... Ah, Sie machen
schon ein ungläubiges Ge-
sicht! Ich habe es ja ge-
wußt!"
.. Schutzengel schöner
Frauen . . .?" wiederholte
Sibyll so ironisch, wie er eS
erwartet hatte. „Sind Sie
gekommen, um mir alte Kin-
dermärchen aufzutischen?"
Der junge Mann machte
ein bedauerndes Gesicht.
„Es ist immer das Schreck-
lichste, wenn schöne Frauen,
die doch selbst ein Märchen
der Schöpfung sind, nicht
an Märchen glauben wol-
len. So etwas gibt es,
meine Gnädigste, blnd ich
bin tatsächlich der Schutz- Pastorale
engel schöner Frauen. Seit vielen tausend
Jahren bin ich auf der Erde, um für meine
besonderen Schützlinge zu sorgen. Oder ist eS
Ihnen noch nicht ausgefallen, wie behutsam
Ihre Schritte immer gelenkt werden, wie sehr
in jedem Augenblick, in jeder Situation, für
Ihre Schönheit gesorgt ist und wie viele Bene-
fizien Sie vor anderen Geschlechtsgenossinnen
voraus haben? Glauben Sie also jetzt, daß
es einen Schutzengel schöner Frauen gibt?"
„Sie sind verrückt!" sagte Sibyll und lächelte
sogar schon ganz schwach.
Er verneigte sich. „Danke! Das habe ich
erwartet und das geht mir seit vielen tausend
Jahren schon so. Wenn man schönen Frauen
ganz uneigennützig gegenübertritt, glauben sie
immer, man sei verrückt. Ich nehme also an,
daß Sie mir jetzt die Beantwortung der zweiten
(oberbayerisch, um 1933)
Frage gütigst erlassen werden. Ein Schutzengel
braucht bekanntlich nicht Tür und Fenster, um
bei seinen Pflegebefohlenen zu erscheinen. Man
materialisiert sich eben für den Hausgebrauch
zurecht und die Sache ist erledigt."
„Wie heißen Sie?"
„Harry."
„Harry?" wiederholte sie spöttisch. „Seit
wann heißen Schutzengel Harry?"
„Seit ungefähr zehn Jahren. Früher habe
ich anders geheißen, bind noch früher ganz
anders. Oder würden Sie es lieber sehen, wenn
ich Ezechiel hieße?"
„Nein! bim Himmels willen! Dann heißen
Sie in Gottes Namen Harry! Nicht auSzu-
denken, daß ausgerechnet mein Schutzengel
Ezechiel heißt!"
„Sehen Sie! Als Ihr Schutzengel habe ich
nur ein Bestreben: mich
Ihnen angenehm zu machen.
Also, jetzt zur Frage drei:
Was ich hier will. Da Sie
mit der Institution der
Schutzengel so lvenig ver-
traut sind, liebste gnädige
Frau, so wissen Sie wahr-
scheinlich auch nicht, daß
jede schöne Dame drei
Wünsche an das Schicksal
frei hat. blnd um Ihnen
das mitzuteilen, habe ich
mich in Menschengestalt
geworfen und bin da."
Sibyll, die immer mehr
an die Seriosität ihres
Schutzengels zu glauben
begann, sagte mit einem
ehrfürchtigen Schauer:
„Drei Wünsche...? Ich
habe drei Wünsche frei?"
bind nach einer Weile
fügte sie hinzu: „Ist das
nicht ein bißchen zu wenig?"
„Sie ahnen ja gar nicht,
wieviel ein einziger kluger
Wunsch ist! blnd gar erst
drei Wünsche! Drei er-
füllte Wünsche einer schö-
nen Frau können sie unter
blmständen für die Ewig-
keit glücklich machen!
Sibyll sagte plötzlich,
ohne zu überlegen: „Ich
l.. von Horvath wünsche mir..."
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