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3 8. JAHRGANG

G E N D

1 933 / NR. 30

Bold

Seltsames Trio

_ o®

IDIIIE SEKRETÄRIN

Peter Pieter, der prosperierende Autor von
fünfhundert Kurzgeschichten und dreiundfünfzig
Romanen (zu erwähnen. „Mord durch das
Schlüsselloch", „Das Geheimnis der Schnür-
senkel"), maß seinen Kollegen Silvester Kärg-
lich, den weithin unbekannten Verfasser des
Gedichtbandes „Ballungen" („ . . . eine aner-
kennenswerte Leistung...", Bückeburger Kurier),
mit einem mitleidigen Blick.

„Meine Sekretärin", sagte Peter Pieter,
„schreibt fünfzig Worte in der Minute nach
Diktat. Seit ich zur Methode des direkten
Diktats in die Maschine übergegangen bin, er-
spare ich nachweisbar hundert Arbeitsstunden
im Jahr, bei einer täglichen DurchschnittSpro-
duktion von dreißig Maschinenschreibseiten.
Meine Sekretärin-"

bind dieses Wort faßte Wurzel in Silvester
Kärglichs Träumen.

*

Sie war schlank, blond und bekam sechzig
Pfennig die Stunde.

Sie begann ihre Tätigkeit damit, daß sie
einen Lippenstift zog und längere Zelt vor ihrem
Taschenspiegel andächtige Handlungen verübte.
Nach Beendigung dieses sakralen Aktes spendete
sie Silvester Kärglich einen nachsichtig-aufmun-
ternden Blick, der zu besagen schien, daß sie
nun bereit sei, zu den nebensächlicheren Dingen
überzugehen.

Von Wilhelm Weldin

Silvester Kärglich ergriff das unvollendete
Manuskript seiner letzten Novelle, räusperte
sich und begann zu diktieren:

„Egon schlug die Tür hinter sich zu und
sagte: ,'Ha! Ha! Ha!*... haben Sie ,Ha!
Ha! %aVr

„Ha! Ha! Ha!" wiederholte die Sekretärin.
„Ja, ich danke. Bitte weiter...?"

„Aeh..." sagte Silvester Kärglich und
räusperte sich. „Aeh ..."

„Bitte?"

„Oh — nichts."

Pause.

„Aeh ..." begann Silvester Kärglich noch-
mals und verstummte hoffnungslos.

l)sc Mutter

Mandelkern und süßer Kuchen der Welt
schmecken mir schal,
Weil meine Mutter Brote bäckt aus reifem

Korn.

Ich will heim zu meiner guten Mutter

gehn —

ln allen Erdendingen weiß sie wohl zu

raten,

Und doch spiegeln im Auge
Ihr himmlische Dinge sich nur.

Mara Gräfin zu Dohna

Es war aus.

An jener Stelle feines Hirnes, wo eben noch
ein schemenhaftes Gebilde einleitend „Ha! Ha!
Ha!" gesagt hatte, war plötzlich ein Loch. DaS
schemenhafte Gebilde sagte nicht mehr „Ha!
Ha! Ha!", es sagte überhaupt nichts, es war
einfach verschwunden. Nur eine ungeheure weiße
Fläche war mehr da, über die Wortbänder
liefen, monoton, wie die Schrift einer Licht-
reklame: Graue Augen — blonde Haare —
graue Augen — blonde Haare — graue Augen
— blonde Haare — graue Au —-

„Ja ...?" mahnte eine angenehme Stimme
mit leisem Tadel.

Silvester Kärglich fand den Blick seiner
Sekretärin fragend auf sich gerichtet. Die Licht-
reklame in seinem Hirn blieb stecken und ver-
losch. blnd jäh begann sein Hirn wieder anzu-
springen, nur war es seltsamer Weise, wie bei
einer alten, verrosteten Maschine, ein ganz
falscher Teil, der auf einmal zu arbeiten begann.
Ein DerS gebar sich in einer Ganglienzelle und
begann irritierend in seinem Hirn zu kreisen:
„Ich bin eine Schreibmaschinentype und wippe,
wippe, wippe, wippe."

„Idiotisch!" fuhr er auf.

„Ha! Ha! Ha! Idiotisch!" wiederholte die
Sekretärin und begann zu tippen. „Ausrufungs-
zeichen. Bitte weiter ...?"

Ihre Worte waren ins Leere gesprochen.

466
Register
Bold (Bolt): Seltsames Trio
Wilhelm Weldin: Die Sekretärin
Mara Gräfin Dohna: Der Mutter
 
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