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38. JAHRGANG

Xief zurückgebaut im Vorgarten, grau, alt-
modisch im Stil, stand die Villa am Kai; ein
Bau, einfach wie viele, nicht gerade vernach-
lässigt, aber auch keineswegs liebhaberhaft ge-
pflegt — kein Augenziel für Passanten, die
eher die hastigen Blicke dem ewig-schönen Strom
zuwandten, der mit grün-blauen Wellen lang-
sam dem Meer zutrieb.

Der Baron von B., der hier wohnte, glich
seinem HauS getreu. Er war lang und hager,
ging ein wenig gebeugt, trug gute Kleidung,
ohne ein Dandy zu fein und bevorzugte die
Farbe Grau, die zu Haar und Haut vorzüglich
stand. Er war ein Mann von etwa fünfzig
Jahren, ein Mann, dem man sein Alter wohl
ansah, dem es aber durch eine Gemessenheit
der Lebensführung geglückt war, seinem Körper

as

er

Von Hermann Linden

eine erstaunlich zähe Elastizität zu erhalten.
Die kühle Gelassenheit des Gesichtes, das nie-
mals Stürme der Leidenschaft erschüttert
hatten, unterbrach etwas seltsam: Die Augen-
brauen. Dicht, stark und schwarz saßen sie
über den grauen Augen, die dadurch etwas
Stetig-Drohendes im Ausdruck hatten.

Der Baron von B. galt als Menschenfeind.
Man behauptete eS lediglich darum, weil der
Baron selten in Gesellschaften ging. In Wahr-
heit war der Baron einer jener alten reichen
Junggesellen, die mehr Müdigkeit als Haß
auf die Wege der Einsamkeit treibt. Jedoch
war der Baron großzügig gegen seine Be-
dienten und die Sammler der öffentlichen
Wohlfahrt gingen nie ohne Spende von seiner
Xür — eine Großzügigkeit, die vielleicht weni-

N D

1933 / NR.35

ger einer wirklichen Güte entspringen mochte,
als einer konventionellen Noblesse.

Der Baron war einer der reichsten Männer
des Landes, aber er war kein Snob, der seinen
Reichtum zur Schau trägt, jedoch war er wie
alle Reichen darauf bedacht, seinen Besitz nicht
nur zu erhalten, sondern auch zu vermehren.
In einer benachbarten Stadt gehörten dem
Baron verschiedene große Fabriken und mehrere
Straßen mit sämtlichen Häusern. Jeden Nach-
mittag fuhr er hinüber in die kleine Stadt
und widmete sich der Verwaltung seines
Besitzes.

Auffällige Passionen hatte der Baron nicht
— wenigstens wußte man nichts und er war
nicht der Mann, der von den Erlebnissen seiner
Reisen erzählte, wenn er zurückkam, obwohl

J. Ma?on

„Kehren wir doch um, hier gibts ja keine Läden mehr!“

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Julius Macon: Zeichnung ohne Titel
Hermann Linden: Das himmlische Fenster
 
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