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J U G E

3 8. JAHRGANG

Die Forell

Marktbetrieb! — Gemüse, -Obst, Diktualien,
Fleisch, Fische, alles, was die Hausfrau
braucht und was sie Var allem billig einkaufen
lvill, ist in grasten Mengen zu haben. Es
gibt keine Not an Maren. — Unaufhaltsam
drängen die Menschen durch die langen Gänge,
an deren Seiten, links und rechts, die vielen
Verkaufsstände stehen. Mit unheimlich ernster
Miene fragen die besorgten Hausfrauen nach
dem Preis und nach der Dualität der Ware.
Hier handelt eS sich um Pfennige; manchmal
um den Bruchteil eines Pfennigs. Auf diesen
Märkten ist kein LuxuS, keine bessere Auf-
machung zu bezahlen. Hier treffen der Wert deS
Geldes und der Wert der Ware am plattesten
aufeinander.

Doch nicht nur Frauen und Mädchen,
Köchinnen und Dienstmädchen gehen die langen
Marktreihen ab, sondern auch Männer. Män-
ner, die einkaufen und solche, die schauen, mit
einer gewissen Übung schauen, als wären sie
Detektive. Mittlerweile sind eS aber nur
Arbeitslose, ergo solche, die Arbeit suchen. Denn
hin und wieder kommt es doch vor, dast ein
Verkäufer oder auch Käufer eine Arbeitshilfe
für einige Minuten, oder wenn eS gut geht, für
einige Viertelstunden braucht, bind dann gibt eS
ein „Trinkgeld" in Naturalien oder gar in
barer Münze. Auf alle Fälle aber etwas zu
essen für den Arbeitslosen und -für seine
Familie.

Guter diesen arbeitslosen Zuschauern, oder
besser gesagt, arbeitsuchenden ümschauern befin-
det sich auch Christian Winkler, von Beruf
Schreiner. Aber solange in den Versatzämtern
und Leihanstalten die herrlichsten Wohnungsein-
richtungen zu Spottpreisen zu kaufen sind, steht
es mit seinem Gewerbe nicht gut. Man merkt
dem Christian übrigens den Beruf schon an
seinen Händen an. Seine Finger zeigen jene
charakteristischen Verkrümmungen, wie man sie
sonst selten bei einem Gewerbe findet, wie eben
bei dem Holzverarbeitenden.

Mit noch einigen Arbeitslosen steht Christian
vor einer Fischbude. Auch Käuferinnen stehen
davor und mustern mit kritischen Blicken die
Ware und die Preistafel. See^'sche, in Stücke
zerschnitten, liegen auf Eisklötzen. Die Juni-
sonne strahlt eben lustig und warm. Dadurch
sind die Blicke der fürsorguchen Hausfrauen
besonders kritisch. Aber rechts vom Verkaufs-
stand steht ein großer Bottich mit lebenden
Karpfen. Träge stehen diese feisten und fetten
Fische eng aneinander und übereinander und
glotzen mit ihren großen Augen unentwegt auf
einen Fleck. Nur das hastige Schließen und

Novelle von Rudolf M oosleitner

-Öffnen des Mauls, das beim Öffnen jedesmal
zu einem großen, runden Loch wird und die
Arbeit der Kiemen zeugen von Leben. Mit
schwer asthmaleidenden Menschen könnte man
diese trägen Fische vergleichen.

Im Bottich zur linken Seite geht eS schon
bedeutend lebhafter zu. Hunderte von schlanken,
getupften Forellen schießen durcheinander.
Immer unruhig, ängstlich, immer in Bewe-
gung. Wie sie eS im klaren, raschfließenden
Bach gewohnt sind: immer bereit zu flüchten,
wenn von irgendwoher Gefahr droht. Sie
lassen sich nicht so leicht fangen, wie die phleg-
matischen Karpfen, aber hin und wieder kommt
im Wasser ein gar vorzüglicher Leckerbissen
geschwommen und siehe da, das Fischlein ist
gefangen. Mit betrügerischer List fängt eS der
Mensch. Muß aber dafür oft viel Zeit dar-
auf verwenden. Dadurch wird daS Fischlein
teuer. Drei Mark und zwanzig Pfennig daS
Pfund, steht auf der Tafel.

Christian liest dies auf der Preistafel mit
leichtem Erschauern. Mein Gott, denkt er,
drei Mark zwanzig für ein Pfund. Wieviele
Forellen können daS schon sein? Eine oder
zwei. Für diesen Betrag bekomme ich ja vier
Pfund Rindfleisch. Fleisch für eine ganze
Woche. Na ja, „Forellen gebacken und Fo-
rellen blau gesotten mit Butter und Kartoffeln",

Am Kai O. Nücke!

N D

1 9 33 / NR. 42

so steht es im Kochbuch seiner Frau. Aber
dieses Kochbuch ist ausdrücklich nur für den
besseren Haushalt. Seine Frau hat das Koch-
buch zur Hochzeit geschenkt bekommen und
hebt eS immer noch auf. Vielleicht kann sie
es doch noch einmal gebrauchen, meint sie
immer. Am Ende gar für Forellen, blau ge-
sotten mit Butter und Kartoffeln.

Da fällt dem Christian auch das Sprüchlein
vom Schnepfendreck ein: „Wer Geld hat, ißt
den Schnepfendreck, wer keinS hat, läßt
die. .." und so weiter. Nun, er muß bei dem
Forellengericht auch die Forellen und die
Butter weglassen, ünd waS übrig bleibt, füllt
wohl den Magen, hält aber nicht an.

Richtig, nun fällt dem Christian auch wieder
ein, warum er eigentlich hier vor dem Fisch-
stand so ausdauernd steht. So mag vielleicht
auch der Angler stundenlang ruhig gestanden
haben, bis er eines der Fischlein fing. Der
Christian will aber keinen Fisch fangen. Er
könnte einen so teueren Fisch nicht einmal
essen; der Bissen würde ihm im Halse stecken
bleiben.' Vier Pfund Rindfleisch könnte er
dafür haben. Nein, was er will, ist folgendes:
Er denkt sich so: Vielleicht kaufen heute recht
viele Hausfrauen lebende Karpfen und Fo-
rellen, so daß die Fischhändlerin mit dem
Töten und AuSnehmen der Fische allein nicht
mehr zuwege kommt. Die Händlerin muß ihn
ja schon kennen; er ist doch schon öfters hier
gestanden und hat noch nie etwas gekauft. Sie
muß ihm ja die Arbeitslosigkeit anmerken.
Vielleicht sagt sie heute: „Sie, Herr, wenn
Sie Zeit haben, helfen Sie mir doch Fische
abschlagen und ausnehmen. Ich geb' Ihnen
ein gutes Trinkgeld." blnd er würde darauf
sagen, indem er seine Jacke auSzieht und
sich die Hemdärmeln aufstülpt: „Nur her mit
den Fischen." Dann würde er die Fische aus
den Bottichen nehmen, bald einen Karpfen
bald eine Forelle und mit einem Hieb
er sie töten, nicht mit zwei oder
die Händlerin macht. Die Karpfen
dann rasch entschuppen lind au. ^
ja, zuerst muß er sie aber aufschneidei..
hat doch schon oft zugesehen, wie eS die Händ
lerin macht. WaS diese kann, kann er doch
auch.

Bis jetzt hat sie ihn freilich noch nie dazu
brauchen können. Die Leute kaufen eben viel
zu wenig Karpfen und Forellen.

So steht der Christian bald beim Karpfen-
bottich und bald beim Forellenbottich. Ab-
wechselnd sieht er auf die Fische und denkt
sich aus, wie er einen derselben am besten

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Register
Rudolf Moosleitner: Die Forelle
Otto Nückel: Am Kai
 
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