Chinesischer Turm
3 u I ie Hahn
FRÄULEIN L. UND DER CHINESE
Es war kein Flirt und noch weniger eine Liebe: Fräulein L. und Jan
verbanden lediglich Sympathie und gemeinsame geistige Interessen.
Jan hatte Fräulein L. etwa ein halbes Jahr vorher bei einer Ein-
ladung größeren Stils kennengelernt. Seitdem schrieben sie sich. Manch-
mal sahen sie sich auch. Sie tauschten Gedanken aus über Kunst, Lite-
ratur, Religion und Weltanschauung. Und je öfter die junge Dame an
Jan schrieb, je öfter sie miteinander sprachen, desto sympathischer wurde
sie ihm.
Einmal gingen sie durch eine der verkehrsreichsten Straßen der Stadt.
Jan merkte wohl, daß so ziemlich jeder Herr, der ihnen entgegenkam,
einen mehr oder weniger intensiven Blick auf Fräulein L. warf. DaS
war weiter nicht verwunderlich. Denn Fräulein L. ist hübsch, elegant
und jung.
Plötzlich stand ein Chinese neben ihr. Sagte etwas, lächelte. Fräulein
L. sah hin, erkannte ihn. Händeschütteln, Begrüßung. Es lag eine ge-
wisse Herzlichkeit in dieser Begrüßung. Auf beiden Seiten. So schien eS
Jan wenigstens. Er wartete vor einem Schaufenster. Wer war dieser
Chinese? Woher kannte sie ihn?
Jan war neugierig. Obwohl ihn eigentlich die Bekannten von Fräu-
lein L. nichts angingen. Daß sie deren viele hat, wußte er ja. Warum
sollte nicht auch ein Chinese darunter sein?
Aber diese Herzlichkeit! Jan schielte seitwärts: Sie verabschiedeten
sich, Und wieder mit Herzlichkeit. Sonderbar!
Fräulein L. kam lachend auf Jan zu. Sie gingen weiter. Fräulein
L. begann sofort in ihrer lebhaften Art:
„Ein komischer Mensch ist das. Ich kenne diesen Gelben schon lange.
Er ist sehr klug und studiert hier im fünften Semester. Wir haben uns
eben seit Monaten zum erstenmal wiedergesehen. Er war in den Ferien
in seiner Heimatstadt Schanghai, wohin er auch nach dem Examen
zurückkehren will. Hoffentlich für immer."
„Warum hoffentlich?" unterbrach Jan erstaunt, „Sie begrüßten sich
doch so freundlich ..."
„Ja, wissen Sie, damit hat es seine Bewandtnis ..."
Sie bogen in eine ruhigere Querstraße ein, und Fräulein L. fuhr fort:
„Dieser Gelbe — was liegt schon daran, ich kann eS Ihnen ja ruhig
erzählen, Sie werden überrascht sein —: liebt mich." Sie lachte hell
auf. „Denken Sie: liebt mich! Er hat eS mir noch nicht gesagt, aber
ich weiß eS bestimmt. Er himmelt mich an, er verehrt mich."
,/Und — wenn ich fragen darf —: wie stehen Sie zu ihm?"
fragte Jan.
„Ach so, Sie meinen, ob ich ihn auch-Na, wissen Sie ...!
Wie sollte ich auf so etwas kommen!"
„Weiß er denn das?"
„Nein, er lebt in dem Wahn, ich liebte ihn genau so wie er mich. Ich
lasse ihn selbstverständlich dabei und ... und ...-Es wird dabei
nie zu etwas kommen, zu gar nichts. Sie werden das begreifen, nicht
wahr?! — Für morgen hat er mir wieder gerade vorhin feinen Besuch
angekündigt. Entzückend, ich freue mich."
Jan erwiderte nichts. Deshalb fragte ihn Fräulein L. unbefangen:
„Was haben Sie, Jan?"
„Nichts, nichts. Aber offen gestanden: ich verstehe Sie nicht recht. Sie
hoffen, wie Sie sagten, daß der Chinese nach dem Studium für immer
nach China zurückkehrt. Er liebt Sie und Sie lieben ihn nicht, bind
dabei freuen Sie sich, daß er morgen zu Ihnen will. Sonderbare
Geschichte..."
Wieder lachte Fräulein L. auf. „Aber ich bitte Sie! Da ist doch nichts
Sonderbares dabei. Sehen Sie, China, Land und Leute interessieren mich
sehr. Ich glaube, wir haben früher schon einmal flüchtig darüber ge-
sprochen. Nun erzählt mir dieser Mann viel von seiner Heimat, und
ich höre ihm gerne zu. Außerdem bringt er mir — ich habe schon eine
hübsche stattliche Sammlung — ein Buch, ein Bildchen — wissen Sie,
solche feinen Miniaturen auf ReiSpapier — auch mal eine chinesische
Base oder sonst was Östliches mit. Weil er mich liebt, regelrecht liebt.
Naiv, nicht wahr? Wenn ich ihm sagen würde, wie es in Wirklichkeit
mit mir — — — na, dann wäre eben alles aus, bestimmt. Einmal
muß er es ja merken. Ich hoffe, ich kann die Sache hinauSziehen, bis er
— bis er eben für immer fortfährt... Aber reden wir lieber von anderen
Dingen als von einem naiven Chinesen ..."
Sie redeten von anderen Dingen. Fräulein L. jedenfalls.
Die beiden gingen nebeneinander her, aber Jan kam eS vor, als sei
zwischen ihnen eine Mauer gewachsen. Eine dicke und hohe Mauer auS
hartem, kaltem GlaS.
Es war kein Flirt und noch weniger eine Liebe: Fräulein L. und Jan
verbanden lediglich Sympachie und gemeinsame geistige Interessen. Sie
tauschten Gedanken aus über Kunst, Literatur und Weltanschauung,
bind ein Zufall brachte sie auf daS Thema: Liebe. Seitdem schrieben
sie sich immer seltener und sahen sich überhaupt nicht mehr. Und je
seltener Fräulein L. an Jan schrieb, desto angenehmer war es ihm.
Denn irgendwo in der Stadt liebt ein chinesischer Student diese hübsche,
elegante, junge Dame, erzählt ihr von seiner Heimat, bringt ihr chinesische
Bücher, Bildchen, Basen und sonstwas Östliches mit — undistnaiv.
Rudolf Rentsch
Asiatisches Lächeln bei uns
DaS Psychologische Institut der Pariser Universität hat festgestellt:
daß ein unfreundliches Gesicht, das man bei irgendeiner Tätigkeit mache,
die Leistung verschlechtere, daß hingegen ein Lächeln, und sei es nur ein
gezwungenes, sie steigere.
— WaS daS Abrüstungsproblem angeht: wir lächeln. T.
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FRÄULEIN L. UND DER CHINESE
Es war kein Flirt und noch weniger eine Liebe: Fräulein L. und Jan
verbanden lediglich Sympathie und gemeinsame geistige Interessen.
Jan hatte Fräulein L. etwa ein halbes Jahr vorher bei einer Ein-
ladung größeren Stils kennengelernt. Seitdem schrieben sie sich. Manch-
mal sahen sie sich auch. Sie tauschten Gedanken aus über Kunst, Lite-
ratur, Religion und Weltanschauung. Und je öfter die junge Dame an
Jan schrieb, je öfter sie miteinander sprachen, desto sympathischer wurde
sie ihm.
Einmal gingen sie durch eine der verkehrsreichsten Straßen der Stadt.
Jan merkte wohl, daß so ziemlich jeder Herr, der ihnen entgegenkam,
einen mehr oder weniger intensiven Blick auf Fräulein L. warf. DaS
war weiter nicht verwunderlich. Denn Fräulein L. ist hübsch, elegant
und jung.
Plötzlich stand ein Chinese neben ihr. Sagte etwas, lächelte. Fräulein
L. sah hin, erkannte ihn. Händeschütteln, Begrüßung. Es lag eine ge-
wisse Herzlichkeit in dieser Begrüßung. Auf beiden Seiten. So schien eS
Jan wenigstens. Er wartete vor einem Schaufenster. Wer war dieser
Chinese? Woher kannte sie ihn?
Jan war neugierig. Obwohl ihn eigentlich die Bekannten von Fräu-
lein L. nichts angingen. Daß sie deren viele hat, wußte er ja. Warum
sollte nicht auch ein Chinese darunter sein?
Aber diese Herzlichkeit! Jan schielte seitwärts: Sie verabschiedeten
sich, Und wieder mit Herzlichkeit. Sonderbar!
Fräulein L. kam lachend auf Jan zu. Sie gingen weiter. Fräulein
L. begann sofort in ihrer lebhaften Art:
„Ein komischer Mensch ist das. Ich kenne diesen Gelben schon lange.
Er ist sehr klug und studiert hier im fünften Semester. Wir haben uns
eben seit Monaten zum erstenmal wiedergesehen. Er war in den Ferien
in seiner Heimatstadt Schanghai, wohin er auch nach dem Examen
zurückkehren will. Hoffentlich für immer."
„Warum hoffentlich?" unterbrach Jan erstaunt, „Sie begrüßten sich
doch so freundlich ..."
„Ja, wissen Sie, damit hat es seine Bewandtnis ..."
Sie bogen in eine ruhigere Querstraße ein, und Fräulein L. fuhr fort:
„Dieser Gelbe — was liegt schon daran, ich kann eS Ihnen ja ruhig
erzählen, Sie werden überrascht sein —: liebt mich." Sie lachte hell
auf. „Denken Sie: liebt mich! Er hat eS mir noch nicht gesagt, aber
ich weiß eS bestimmt. Er himmelt mich an, er verehrt mich."
,/Und — wenn ich fragen darf —: wie stehen Sie zu ihm?"
fragte Jan.
„Ach so, Sie meinen, ob ich ihn auch-Na, wissen Sie ...!
Wie sollte ich auf so etwas kommen!"
„Weiß er denn das?"
„Nein, er lebt in dem Wahn, ich liebte ihn genau so wie er mich. Ich
lasse ihn selbstverständlich dabei und ... und ...-Es wird dabei
nie zu etwas kommen, zu gar nichts. Sie werden das begreifen, nicht
wahr?! — Für morgen hat er mir wieder gerade vorhin feinen Besuch
angekündigt. Entzückend, ich freue mich."
Jan erwiderte nichts. Deshalb fragte ihn Fräulein L. unbefangen:
„Was haben Sie, Jan?"
„Nichts, nichts. Aber offen gestanden: ich verstehe Sie nicht recht. Sie
hoffen, wie Sie sagten, daß der Chinese nach dem Studium für immer
nach China zurückkehrt. Er liebt Sie und Sie lieben ihn nicht, bind
dabei freuen Sie sich, daß er morgen zu Ihnen will. Sonderbare
Geschichte..."
Wieder lachte Fräulein L. auf. „Aber ich bitte Sie! Da ist doch nichts
Sonderbares dabei. Sehen Sie, China, Land und Leute interessieren mich
sehr. Ich glaube, wir haben früher schon einmal flüchtig darüber ge-
sprochen. Nun erzählt mir dieser Mann viel von seiner Heimat, und
ich höre ihm gerne zu. Außerdem bringt er mir — ich habe schon eine
hübsche stattliche Sammlung — ein Buch, ein Bildchen — wissen Sie,
solche feinen Miniaturen auf ReiSpapier — auch mal eine chinesische
Base oder sonst was Östliches mit. Weil er mich liebt, regelrecht liebt.
Naiv, nicht wahr? Wenn ich ihm sagen würde, wie es in Wirklichkeit
mit mir — — — na, dann wäre eben alles aus, bestimmt. Einmal
muß er es ja merken. Ich hoffe, ich kann die Sache hinauSziehen, bis er
— bis er eben für immer fortfährt... Aber reden wir lieber von anderen
Dingen als von einem naiven Chinesen ..."
Sie redeten von anderen Dingen. Fräulein L. jedenfalls.
Die beiden gingen nebeneinander her, aber Jan kam eS vor, als sei
zwischen ihnen eine Mauer gewachsen. Eine dicke und hohe Mauer auS
hartem, kaltem GlaS.
Es war kein Flirt und noch weniger eine Liebe: Fräulein L. und Jan
verbanden lediglich Sympachie und gemeinsame geistige Interessen. Sie
tauschten Gedanken aus über Kunst, Literatur und Weltanschauung,
bind ein Zufall brachte sie auf daS Thema: Liebe. Seitdem schrieben
sie sich immer seltener und sahen sich überhaupt nicht mehr. Und je
seltener Fräulein L. an Jan schrieb, desto angenehmer war es ihm.
Denn irgendwo in der Stadt liebt ein chinesischer Student diese hübsche,
elegante, junge Dame, erzählt ihr von seiner Heimat, bringt ihr chinesische
Bücher, Bildchen, Basen und sonstwas Östliches mit — undistnaiv.
Rudolf Rentsch
Asiatisches Lächeln bei uns
DaS Psychologische Institut der Pariser Universität hat festgestellt:
daß ein unfreundliches Gesicht, das man bei irgendeiner Tätigkeit mache,
die Leistung verschlechtere, daß hingegen ein Lächeln, und sei es nur ein
gezwungenes, sie steigere.
— WaS daS Abrüstungsproblem angeht: wir lächeln. T.
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