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TIEINOIR UMD YIE1NUS

VON FRED THURM

Gustav Vanleyden wußte nur, daß eine Se-
kunde, nachdem ein sechster Sinn, der manchen
Menschen eigen ist, ihm das unbestimmbare Ge-
fühl einer drohenden Gefahr vermittelt hatte,
eine leise Stimme dicht an seinem Ohr ertönte.

„Schwindel!" sagte diese Stimme. „Alles
Schwindel!"

Gustav Vanleyden fuhr herum und sah in
das Gesicht jenes smarten jungen Amerikaners,
der ihm schon die ganze Zeit auf seiner nächt-
lichen Wanderung über das menschenleere
Achterdeck der „Satrapia" gefolgt war.

„Mein Name ist Gould", sagte der junge
Amerikaner, als er Vanleydens Überraschung
bemerkte. „Francis Gould . . . Ich habe Sie
in „Tosca" gehört und zweimal in der
„Toten Stadt"'. . ."

Vanleyden verneigte sich kühl. „Sie haben
mich also erkannt?" fragte er ausweichend.

„Wer kennt den weltberühmten Teno Gustav
Vanleyden nicht?" lächelte der Mann, der sich
Gould nannte, unbefangen.

„Ich glaube, ich habe Sie vorhin nicht
recht verstanden . . . Sie sagten etwas von
einem Schwindel . . ."

Der Fremde sah Vanleyden einen Augen-
blick forschend an, dann wies er zum leuch-
tenden Sternhimmel empor. „Schwindel!"
wiederholte er lakonisch.

Verwehte Jazzrhythmen klangen über das
Deck, seltsam zerrissen, gespenstig in den Lüf-
ten aufgeteilt. Ruhig und stetig zog die
„Satrapia" ihre Bahn durch das matt fluores-
zierende Meer, über das der Mond einen
schmalen, blaßgoldenen Schleier gebreitet hatte.
Verstohlen blickte Vanleyden über das Achter-
deck: kein Mensch war in Sicht.

„Möchten Sie mir nicht sagen, was Sie
eigentlich von mir wünschen?" fragte der
Tenor nervös.

„Ich brauche Ihre Unterstützung."

„Ach so . . . ich verstehe . . . Mit welchem
Betrag kann ich mich von Ihren Belästigungen
freikaufen?"

Die Liebenswürdigkeit des Fremden schien
unerschütterlich. „Sie irren, verehrter Herr
Danlevden", sagte er verbindlich. „Ich brauche
nur Ihre moralische Unterstützung. Ich will
Kraft Ihrer Autorität die Menschheit von
einem Wahn befreien . . . ich möchte geradezu
sagen, von dem größten Schwindel des Jahr-
hunderts. Wenn Sie mir diese Unterstützung
verweigern, würde ich allerdings zu meinem
lebhaften Bedauern gezwungen sein, Sie zu
meinen Feinden zu zählen und dann — —"

Ein stählernes Blinken im weißen Mond-
licht. Ein gedämpfter Einschlag. Drei Milli-
meter neben VanlevdenS Kopf zitterte ein
Dolch im Holz des MasteS, an dem der Tenor
gelehnt hatte.

Der Fremde zog vorsichtig den Dolch aus
dem Mast, wischte bedächtig ein paar Holz-
splitter von der funkelnden Klinge und lächelte.

Wieder wies er zum strahlenden Nachthim-
mel empor. „Kennen Sie das Geheimnis der
Sterne?" fragte er.

Der smarte junge Mann sah plötzlich

schwärmerisch aus. „Einmal dachte ich", be-
gann er versonnen, „daß die Sterne die See-
len kleiner Kinder seien . . . heute weiß ich
die Wahrheit: der Sternhimmel ist ein ameri-
kanischer Reklamebluff. Ich bin Astronom. Ich
muß es wissen! Sehen Sie diesen rötlichgelben
Stern? Es ist die Venus. Auf ihr baut sich
meine Theorie auf. Sie glauben, die Venus fei
ein Planet? Verzeihen Sie, wenn ich über so
viel Naivität lache! Wissen Sie, was die
Venus wirklich ist — ein Produkt der ameri-
kanischen Industrie!"

Vanleyden wischte sich den kalten Schweiß
von der Stirn. „Ihre Theorie ist geradezu . . .
faszinierend", stammelte er.

Francis Gould lachte wie ein kleines Kind,
dein man ein Spielzeug schenkt. „Nun, habe
ich nicht recht? Ich wußte es doch! Sie sind
mein Freund und Helfer, Herr Vanleyden.
Kommen Sie mit mir in die Bar, ich will
Ihnen meine Berechnungen zeigen."

Vanleyden fühlte sich freundschaftlich unter

den Arm gefaßt, doch dieser Griff war stäh-
lern, so stählern wie die blitzende Klinge jenes
Dolches . . . der Tenor schauderte.

Ein Steward grüßte den berühmten Sän-
ger .. . ganz nahe stand der Mann, ein Wort
hätte genügt und diese Seeleute haben stramme
Fäuste . . . Da fühlte Vanleyden den stäh-
lernen Griff an seinem Arm enger werden ...
Unmöglich.

Francis Gould suchte einen stillen Platz und
forderte Vanleyden zum Sitzen auf. Darf ich
Ihnen einen Cocktail kommen lassen."

„Nein, danke."

„Wie Sie wünschen!"

Francis Gould zündete sich ruhig eine Ziga-
rette an, dann zog er ein Paar wirr bekritzelte
Zettel aus einem kleinen, in Leder gebundenen
Notizbuch.

„Dieser Zettel löst das Geheimnis der Welt-
rätsel. Lesen Sie die Formel!"

„R -b Mond — 16 PS", las Vanleyden.
„x = r + (Venus—Jupiter) x (16 PS
+ 12,969.999)."

„Das ist doch klar, nicht wahr? Sie ver-
stehen jetzt?"

„Vollkommen", bestätigte Vanleyden und
fuhr mit der zitternden Hand über die feuchte
Stirn.

Francis Gould legte einen sauberen weißen
Bogen auf den Tisch. Dann zog er eine Füll-
feder aus der Tasche, schraubte sie bedächtig
auf und reichte sie Vanleyden. „Ich denke,
nachdem Sie diese unwiderlegliche Formel ge-
sehen haben, werden Sie sich nicht mehr scheuen,
meine' Theorie' zu bestätigen. Wollen Sie
schreiben, was ich Ihnen diktiere?"

„Ich bin bereit."

„Schreiben Sie also: ,Jch fühle mich aus

freien Stücken dazu gedrängt, aller Welt zu
verkünden, daß die „Venus" das raffinierteste
Produkt der amerikanischen Industrie ist. Sie ist
der leuchtendste Stern am Himmel der ameri-
kanischen Prosperity — Gustav Vanleyden.
„Ist das alles?"

„Alles. Sie berechtigen mich, diese Zeilen zu
veröffentlichen und von ihnen jeden Gebrauch zu
machen, der mir zweckdienlich erscheint?^
„Machen Sie damit, was Sie wollen/

„Ich danke Ihnen", sagte Francis Gould
lächelnd und verwahrte den Bogen sorgfältig

J. Macon

Teilung

„Nun Hilde, wie ging denn deine Scheidung aus?“

„Danke, ich bekam die Einrichtung, mein Mann das Kind
und der Rechtsanwalt unser Geld!“

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Index
Julius Macon: Teilung
Fred Thurm: Tenor und Venus
 
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