Landschaft
Man kann einem Daker nicht das eigene Kind
vorenthalten. Die Frau, die er geheiratet, führt
einen untadeligen Lebenswandel und niemand
kann ihr die Erziehung ihres Kindes vorent-
halten. Blut hat schließlich daS älteste Herren-
recht."
Mutlos und um Jahre gealtert kehrten die
drei nach Haufe zurück. Es kam der Donners-
tag, an dem die Stiefmutter die Hannelore
übernehmen sollte. Martin Hofer putzte das
Mädelchen ain Morgen heraus, ging dann mit
dem Kind nochmals in den Park und kämpfte
ununterbrochen mit den Dränen.
Frau Eva ging es daheim nicht besser und
manche Träne rann in das Festmahl, daS sie
zum Abschied ihres Lieblings bereitete.
Alle drei berührten mittags kaum die Spei-
sen. Auf dem Weg zur Mutter kauften sie
dem Kind eine Menge Süßigkeiten und -Obst
und beruhigten Hannelore, daß sie ja jeden
Sonntag zu Besuch kommen könne. Beim
Hause angelangt, befiel ein Schwindel die alte
Frau:
„Martin, geh du mit der Hannelore hinauf
— ich kann nicht — ich kann wirklich nicht."
— Dann küßte sie mit einer wilden Zärtlich-
keit daS Kind und murmelte unter ersticktem
Weinen:
„Geh, leb wohl, Hannelore, sei brav und
vergiß uns nicht."
Sie drohte umzusinken und es schien ihr
eine Ewigkeit, wie lange sie hier vor der Türe
warten mußte.
Endlich stand ihr Mann vor ihr und meinte
mit einer tonlosen, traurigen Stimme: „Die
Hannelore wollte mit mir zurück, sie hat ge-
jammert und geschrien und eS war schwer, ihr
begreiflich zu machen, daß sie sich in daS bln-
abänderliche fügen müsse. Es ist auch besser,
sie kommt nicht mehr zu unS; ich Hab' nichts
von den Sonntagsbesuchen gesagt."
Ein Weinkrampf durchschüttelte den Körper
der Frau. Langsam, mit gesenkten Köpfen, er-
loschenen Augen gingen sie heimwärts.
Knapp vor ihrem Hause lief ein kleines,
verwahrlostes Mädelchen auf sie zu und hob
schüchtern die schmutzigen Händchen.
„Sieh, Martin, es bettelt!"
Der Mann legte einen Silberschilling in die
kleinen Hände und daS kleine Geschöpf lachte
«ans Thoma
über daS ganze Gesicht, klnd wie der Wider-
schein der sinkenden Sonne ging ein helles
Leuchten über die beiden todtraurigen Gesichter.
„Ja, Eva, das war das erste Lachen der
Hannelore; erinnerst du dich damals im Wai-
senhaus?"
Nun tiefes Schweigen zwischen den Zweien.
„Martin, höre", begann die Frau nach einer
langen Pause mit leiser, zager Stimme, „wenn
wir wieder dorthin gingen und uns so ein
kleines Sorgenkind holten. Ein armes Ding,
das niemanden mehr hat und das uns nie-
mand nimmt..."
„Ja, Alte, glaub' mir, ich habe schon in
manchen Nächten daran gedacht..."
bind da war die Haltung der beiden sirasser,
daS Auge lichter, die Stirnen offener und das
Herz voll keimender, schüchterner Hoffnung.
„Martin, gehen wir morgen hin?"
„Ja, Eva, gleich morgen, wer weiß, wie
lange unS Gott noch das Leben schenkt, wir
dürfen keinen Tag versäumen."
Da hing sich Eva plötzlich in den Gefährten
ein lind in den Herzen beider sangen die Lerchen
ein neues Frühlingslied.
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Man kann einem Daker nicht das eigene Kind
vorenthalten. Die Frau, die er geheiratet, führt
einen untadeligen Lebenswandel und niemand
kann ihr die Erziehung ihres Kindes vorent-
halten. Blut hat schließlich daS älteste Herren-
recht."
Mutlos und um Jahre gealtert kehrten die
drei nach Haufe zurück. Es kam der Donners-
tag, an dem die Stiefmutter die Hannelore
übernehmen sollte. Martin Hofer putzte das
Mädelchen ain Morgen heraus, ging dann mit
dem Kind nochmals in den Park und kämpfte
ununterbrochen mit den Dränen.
Frau Eva ging es daheim nicht besser und
manche Träne rann in das Festmahl, daS sie
zum Abschied ihres Lieblings bereitete.
Alle drei berührten mittags kaum die Spei-
sen. Auf dem Weg zur Mutter kauften sie
dem Kind eine Menge Süßigkeiten und -Obst
und beruhigten Hannelore, daß sie ja jeden
Sonntag zu Besuch kommen könne. Beim
Hause angelangt, befiel ein Schwindel die alte
Frau:
„Martin, geh du mit der Hannelore hinauf
— ich kann nicht — ich kann wirklich nicht."
— Dann küßte sie mit einer wilden Zärtlich-
keit daS Kind und murmelte unter ersticktem
Weinen:
„Geh, leb wohl, Hannelore, sei brav und
vergiß uns nicht."
Sie drohte umzusinken und es schien ihr
eine Ewigkeit, wie lange sie hier vor der Türe
warten mußte.
Endlich stand ihr Mann vor ihr und meinte
mit einer tonlosen, traurigen Stimme: „Die
Hannelore wollte mit mir zurück, sie hat ge-
jammert und geschrien und eS war schwer, ihr
begreiflich zu machen, daß sie sich in daS bln-
abänderliche fügen müsse. Es ist auch besser,
sie kommt nicht mehr zu unS; ich Hab' nichts
von den Sonntagsbesuchen gesagt."
Ein Weinkrampf durchschüttelte den Körper
der Frau. Langsam, mit gesenkten Köpfen, er-
loschenen Augen gingen sie heimwärts.
Knapp vor ihrem Hause lief ein kleines,
verwahrlostes Mädelchen auf sie zu und hob
schüchtern die schmutzigen Händchen.
„Sieh, Martin, es bettelt!"
Der Mann legte einen Silberschilling in die
kleinen Hände und daS kleine Geschöpf lachte
«ans Thoma
über daS ganze Gesicht, klnd wie der Wider-
schein der sinkenden Sonne ging ein helles
Leuchten über die beiden todtraurigen Gesichter.
„Ja, Eva, das war das erste Lachen der
Hannelore; erinnerst du dich damals im Wai-
senhaus?"
Nun tiefes Schweigen zwischen den Zweien.
„Martin, höre", begann die Frau nach einer
langen Pause mit leiser, zager Stimme, „wenn
wir wieder dorthin gingen und uns so ein
kleines Sorgenkind holten. Ein armes Ding,
das niemanden mehr hat und das uns nie-
mand nimmt..."
„Ja, Alte, glaub' mir, ich habe schon in
manchen Nächten daran gedacht..."
bind da war die Haltung der beiden sirasser,
daS Auge lichter, die Stirnen offener und das
Herz voll keimender, schüchterner Hoffnung.
„Martin, gehen wir morgen hin?"
„Ja, Eva, gleich morgen, wer weiß, wie
lange unS Gott noch das Leben schenkt, wir
dürfen keinen Tag versäumen."
Da hing sich Eva plötzlich in den Gefährten
ein lind in den Herzen beider sangen die Lerchen
ein neues Frühlingslied.
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