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„öch will ja nichts gesagt haben . .

Don Rudolf No osleitner

Die geistige Belegschaft des kleinen OrteS
hatte sich zu einer Gemeinschaft zusammen-
geschlossen.

Man wollte doch die geistige Gemeinschaft
pflegen, die schönen Künste nicht vernachlässigen
und selbst trachten, mit den geistigen Fort-
schritten draußen in der großen Welt nicht all-
zuweit im Hintertreffen zu dleiben.

DaS konnte man viel leichter in den vier-
trauten Wänden eines behaglichen Heimes,
als in der rauchigen Stube eines Wirtshauses.
Noch dazu war inan in einem trauten Heim
vor gemeiner Ablenkung gesichert, und, was ja
die Hauptsache war, man war — unbeob-
achtet. Denn nichts war eher imstande, die
Autorität der geistigen Größen des Ortes zu
untergraben, als das Privatleben des einzelnen,
gesehen von einem unbeteiligten Zuschauer.

Aus dieser Erwägung heraus fand wöchent-
lich eine Zusammenkunft der Gemeinschaft im
Hause eines GemeinschaftlerS statt.

Da die Zusaminenkünste nur von Herren
beschickt wurden, so hatte nur die Frau deS je-
iveiligen Gastgebers die große Ehre, mit von
der Partie sein zu dürfen, bind das war so
eine kleine binvollkommenheit, die der Gemein-
schaft anhastete. Was konnte man schon mit
der Frau des Herrn Lehrers, oder des Herrn
Försters für hochgeistige Gespräche führen?
Da war eS im Hause deS Herrn Pfarrers und
des Herrn Rechtsanwalts doch um vieles an-
genehmer. Waren doch in diesen beiden Häusern
die Gemeinschaftler vollständig unter sich. Beim
ersteren aus den gegebenen blmständen, und bei
dein anderen, weil er als eingefleischter Jung-
geselle durchs Leben lief. Die beiderseitigen
Haushälterinnen kamen als Hausfrauen im
gesellschaftlichen Sinne nicht in Betracht. Die
Haushälterin des Herrn Pfarrers war alt und
taub; hingegen war diejenige des Herrn Rechts-
anwalts nicht nur jung, sondern auch schön
und unschuldsvoll. Ja, sie lvar so schön und
unschuldsvoll, daß sie der Rechtsanwalt mög-
lichst vor den Blicken seiner Gäste verborgen
hielt, aber auch, daß ihre blnschuld vor den
manchmal etwas derben Witzen der Gemein-
schaft unberührt blieb.

So war denn wieder einmal die Reihe des
Gastgebers beim Rechtsanwalt. Alle waren sie
beisammen, um die Ereignisse der Woche in der
Gemeinde, im Staate und in der Welt zu er-
örtern. Eine geraume Spanne Zeit nahm
natürlich die Politik in Anspruch; gab es ja
doch so vieles in letzter Zeit, sich in Hitze und
Begeisterung zu reden.

Weit weniger Zeit wurde dann schon den
schönen Künsten gewidmet. Man war eben
doch schon alt und müde von des Tages
schwerer Arbeit, blnd dann stand ja noch ein
wichtiger Programmpunkt bevor: DaS Pri-
vate. Dazu mußte man sich doch seine volle
Frische und Lebendigkeit aussparen.

Auch war eS von jeher Brauch, daß zur
privaten Unterhaltung irgendein Getränk auf
den Tisch kam. DaS war ja immerhin eine
Hauptsache. Wozu hat denn unser Herrgott

die Weinberge geschaffen, mit den vielen Reben-
stöcken und den goldgelben Trauben daran?

Der Rechtsanwalt wollte nun seinen Gästen
eine besondere Freude bereiten. Da eS nämlich
gerade Juni war, und der Herrgott die Erd-
beeren in großer Zahl wachsen ließ, so beab-
sichtigte der Hausherr, eigenhändig eine Erd-
beerbowle zu brauen. Seine schöne Haushäl-
terin hatte ihm noch fürsorglich all die guten
Sachen zurechtgelegt, die man nun einmal für
eine richtige Bowle braucht. Sie mußte sich
aber dann sofort zu Bett begeben. In Anbe-
tracht ihrer Jugend; wie der Rechtsanwalt so
schön sagte.

So mußte der Hausherr selbst ans Werk
gehen. Übrigens tat er es nicht ungern, waren
doch Bowlen seine Spezialität. Aber auch die
schinachtenden und ungeduldigen Gesichter seiner
Gäste, die er während der Zubereitung beob-
achten konnte, waren ihm eine Genugtuung.
Ja, da lies jedem das Wasser im Munde zu-
sammen vom Duste des perlenden Nasses, blnd
dann noch die lange Wartezeit dazu, bis so
eine Bowle zubereitet ist, wenn die Zunge
schon ganz trocken ist vom vielen Reden über

Foto Springorum

Kein Kind soll in diesem Winter
hungern und frieren.

geistige Dinge. Endlich schöpfte ein silberner
Lössel aus der großen Schüssel, die so manchen
Liter enthielt, das köstliche Naß in die Gläser,
bind durch durstige Kehlen rann dann der
Trank, daß es nur so gluckste, blnd immer
wieder mußte der silberne Lössel seine schöp-
fende Tätigkeit verrichten. Da war eS denn
kein Wunder, daß der Inhalt in der großen
Schüssel merklich zur Neige ging, blnd je mehr
dieser zur Neige ging, um so mehr wurden die
Geister der Gemeinschaft lebendig. Jeder be-
gann seine alten Schnurren und Witze zu er-
zählen, über die immer noch gelacht wurde.
Plötzlich flog ein ganz nagelneuer Witz aus
dem Munde des Herrn Lehrers und da fiel der
gestrenge Herr Gendarmeriekommandant vor
Lachen unter den Tisch. Oben aus dem Tisch
klirrten die Gläser.

„Mein Gott", sagten sich die Herren ent-
schuldigend, „so jung kommen wir nicht mehr
zusammen; auch sind wir, was ja die Haupt-
sache ist, ganz unter uns. Wir tun ja auch
weiter nichts, als die großen und kleinen
Sorgen der Woche im Magen etwas über-
schwemmen."

Diese Entschuldigung genügte. So nahm der
heitere Abend endlich sein Ende und die Herren
gingen, so gut eS möglich war, wieder als ge-
strenge Bürger und Honoratioren des kleinen
Ortes nach Hause.-

Als aber am nächsten Morgen die schöne
Wirtschafterin des Rechtsanwaltes die Bowlen-
schüssel und die dazugehörigen Gläser weg-
räumen wollte, vermißte sie den großen, schwe-
ren, silbernen Bowlenlössel. Sie erstattete natür-
lich sofort ihrem Brotherrn darüber Bericht.

„Das ist ein Witz, den sich nur der Förster
erlaubt haben kann", sagte der Rechtsanwalt
in salomonischer Weisheit, „nur der kann den
Bowlenlössel mitgenommen haben."

Sofort jetzte er sich an den Schreibtisch und
schrieb einen Brief folgenden Inhalts: „Mein
lieber Freund! Ich will ja nichts gesagt haben,
doch wenn Du gestern abend nicht bei mir ge-
wesen wärest, so wäre mein silberner Bowlen-
lössel heute früh noch dagewesen. Dein Freund."

Mit unverhohlener Freude, es dem Förster
einmal gehörig gesagt zu haben, übergab er-
den Brief seiner Haushälterin zur Besorgung.

Diese ging damit frohgemut in die Försterei
und war aber dann nicht wenig erstaunt, daß
sie der Förster, nachdem er den Brief gelesen
hatte, mit verschmitzt zwinkernden Augen an-
lachte. Er hieß sie ein wenig warten, um gleich
den Antwortbrtes mitnehmen zu können. Beim
Abschied zwickte der Förster der schönen Wirt-
schafterin seines Freundes in die Wangen und
tätschelte auf die bloßen Arme, klnd dabei lachte
er wieder so verständnisvoll, daß das Mädchen
b'S über die Ohren rot wurde. Dor Entrüstung
natürlich. War sie doch jung und unschuldsvoll.

Aber am entrüstetsten war der Rechtsanwalt,
als er den Brief gelesen hatte. Dabei stand doch
nur folgendes geschrieben: „Mein lieber Freund!
Ich will ja auch nichts gesagt haben, doch wenn
Du Dich heute früh in Deinem Zimmer ge-
waschen hättest, dann hättest Du den Bowlen-
löffel in Deinem Waschkrug finden müssen.
Dein Freund."-

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Springorum: Kein Kind soll in diesem Winter hungern oder frieren
Rudolf Moosleitner: Ich will ja nichts gesagt haben...
 
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