fragte er immer wieder ermunternd. „Gell, der iß' gut? Der iß' vun ner
neinjährige Mo' (Sau) und schon zwee Johr alt!" Der Speck aber
war zäh wie Schuhleder. „Ei, ich glaab', Eier Messer schneid't nix",
sagte Georg Kühn, wenn der Gast den Speck init bestem Willen nicht
zerkleinern konnte. „Da, gehn her, ich lehn' Eich mei' Sackmesser!"
Hilfsbereit zog er sein scbmutzigeS Messer aus der Tasche, klappte eS
auf, reinigte es umständlich an der Tischdecke und reichte eS seinem
Gast. Gewöhnlich fehlte aber daraufhin dem Gast die nötige Lust zum
Essen. „Gell", meinte dann Georg Kühn und lachte, „gell, Ihr essen
lieber en Stück Grindkuche' mit Leckschmier?" („Leckschmier" war KühnS
Verdeutschung von „Marmelade"; für „Grindkuchen" sagen die Städter,
lange nicht so malerisch, „Streuselkuchen".)
Als stehende Redensart gebrauchte der Bürgermeister den Sah „Ich
weeß doch, waö drei Linse' für e Brüh' gewe!" Wenn die Rede aus
einen reichen Bauern kam, pflegte Georg Kühn verächtlich zu sagen:
„Ach waS, reich? Wo liege' denn dem sei' Acker? — 3n der Lust
gewann!"
Rach einer Mißernte hatte er einmal keinen anderen Ausweg ge-
wußt; er zündete sein HauS an und hoffte auf die hohe Versicherungs-
summe. Die Ortsseuerwehr zerstörte aber dieses Hoffen; sie kam zu
früh und Georg Kühn empfing sie, keineswegs freudig, mit den er-
staunten Worten: „Jo, seid denn ihr schon do?"
Das schwammige, gerötete Gesicht deS Bürgermeisters mit dem strup-
pigen Bart erinnerte an eine Bulldogge, oder mehr noch an einen See-
löwen. Auch fein Körper zeigte unmäßige Formen. Wenn er auf dem
Stuhl saß, sah es aus, als ob ein gewöhnlicher Mensch auf einem
Fahrradsattel sihe.
An schönen Sonntagen im Sommer, wenn er Gäste hatte, unternahm
er init ihnen Ausfahrten in einem offenen Landauer. Sobald aber die
Straße etwas anstieg, befahl er dem Kutscher „Zieh mal die Hemm'
an!" llnd ließ halten. Sämtliche Insassen mußten aussteigen — „Wege
dene' arme' Gäul " — nur er blieb im Wagen sitzen, weil „er sich doch
so schwer tu' beim Steige ".
Später schasste er sich ein Auto an. Er reiste nur noch mit diesem.
Seine Frau ließ er gleichzeitig in der Bahn fahren; nicht etwa aus Vor-
sicht, sondern „weil des Auto m i r g hört", wie er sagte. „Des Hab' i ch
mir doch vun mei'm Geld gekaaft. Was braucht n da die Fraa drin
hocke .. ."
Mit zunehmendem Alter wurde er immep sonderlicher. Am Abend
verschloß er die Fensterläden und ließ sämtliche Lichter im Hause ent-
zünden. Spät aß er allein zu Nacht und fuhr gegen elf mit seinem Auto
los. Zwei Stunden währte der Weg zur nächsten Großstadt, wo er
einem seltsam kindlichen Trieb nachging. Es bereitete ihm unbändigen
Spaß, die LiebeSpärchen in den Anlagen mittels einer Taschenlaterne
auszustöbern. Manchmal bekam er dabei Prügel. Er war damals schon
an die sechzig. Mit einundsechzig raffte ihn die Pfälzer Krankheit hin-
weg. Man fand ihn morgens tot im Weinkeller, neben vier leeren
Flaschen „1911er Herrgottswinkel Auslese".
DER COCKTAI L
Wa Mer Fuchs
Anekdoten vom Wein
wie man ehedem die Weinpantscher
bestrafte
Einige glückliche Jahrhunderte hindurch hat
eS in Straßburg eiuen Brunnen gegeben, der
unentgeltlich Wein spendete für jedermann.
Wie kam er dorthin? Ein Weinhändler
hatte ihn samt sprudelndem Labsal gestiftet.
Nämlich so: der Wackere war, als er aus
einer Tonne Wein zwei gemacht hatte, mit
Hilfe von Wasser, auf Straßburger .Manier
bestraft worden. Am Jllerfluß, in der Nähe
der Rebenbrücke, wo die Schweine geschwemmt
wurden und das hochgehende Wasser in allen
Farben schillerte, hing an einer Rolle ein
eiserner Käfig. In den Käsig schob man den
Mann und tunkte ihn etliche Male tief inS
Wasser hinein, heraus, hinein, heraus.
Als der Weinhändler rückfällig geworden
und abermals ertappt- worden war, führte
man ihn wieder zur Rebenbrücke . . . Kaum
wurde der Mann des Wassers und des Käfigs
an der Rolle ansichtig, so blieb er stehen,
hob die Hand zum Schwur und rief:
„Gute Bürger, wenn ihr mir d a S noch-
mal erlaßt, so schwöre ich bei der geliebten
Seele im Weingarten, daß ich will einen Brun-
nen für euch alle errichten lassen, der soll
lauteren Wein speien so wie ich aus Mund,
Nase und Ohren Wasser speie dort im Käsig!"
I.lnd so geschaht. Heute gibt es kaum noch
einen Weinhändler, der solche Strafe verdient
hätte, aber leider . . . auch keinen solchen
Brunnen.
Das schönste ungarische Sprichwort
Auf einer Reise kam der Graf Rakoczy zum
Fürsten Pückler nach Muskau, der gerade bei
einer Butällje alten schweren Burgunders saß.
„Hoffentlich ist sie nicht schon leer?" fragte
der Graf.
Der Fürst lächelte: „Es ist die älteste Fla-
sche aus meinem Keller. Sie würden es mir
gewiß nicht übelnebmen, wenn ich sie alleine
leerte?"
Da sagte der Gras: „Kennen Sie das
schönste Sprichwort meiner Heimat?"
„Nein, bitte!"
„lVlasaban csak az ökör iszik! — Allein
trinkt nur der Ochse!"
Der Rest der Flasche wurde gemeinsam
ausgetrunken.
Und so laßt uns sortsahren!
Mit saurer Miene begegnete der strenge
Philosoph Büchner aus der Straße nach Aß-
mannshausen dem Dichter Victor von Schef-
fel. Man sah dem Dichter an: er hatte seinen
Scheffel vollgeladen. Er schwankte über die
ganze Breite der Straße.
Büchner fing ihn aus und redete streng aus
ihn ein: „Mann! Die Mäßigkeit! . . . Die
maze, wie der mitteralterliche Mensch eS
nannte, die Sophrosyne der alten Griechen:
wie können Sie das alles vergessen! Wir soll-
ten alle gründlicher Nachdenken über den Reiz
der Nüchternheit und die Wonne der Mäßig-
keit!"
Richtig! Eine hochwichtige Sache!" hallte
Scheffel, „kommen Sie! die müssen wir in der
„Krone" bei einer Pulle Aßmannshäuser
bereden!" H. A Thies
776
neinjährige Mo' (Sau) und schon zwee Johr alt!" Der Speck aber
war zäh wie Schuhleder. „Ei, ich glaab', Eier Messer schneid't nix",
sagte Georg Kühn, wenn der Gast den Speck init bestem Willen nicht
zerkleinern konnte. „Da, gehn her, ich lehn' Eich mei' Sackmesser!"
Hilfsbereit zog er sein scbmutzigeS Messer aus der Tasche, klappte eS
auf, reinigte es umständlich an der Tischdecke und reichte eS seinem
Gast. Gewöhnlich fehlte aber daraufhin dem Gast die nötige Lust zum
Essen. „Gell", meinte dann Georg Kühn und lachte, „gell, Ihr essen
lieber en Stück Grindkuche' mit Leckschmier?" („Leckschmier" war KühnS
Verdeutschung von „Marmelade"; für „Grindkuchen" sagen die Städter,
lange nicht so malerisch, „Streuselkuchen".)
Als stehende Redensart gebrauchte der Bürgermeister den Sah „Ich
weeß doch, waö drei Linse' für e Brüh' gewe!" Wenn die Rede aus
einen reichen Bauern kam, pflegte Georg Kühn verächtlich zu sagen:
„Ach waS, reich? Wo liege' denn dem sei' Acker? — 3n der Lust
gewann!"
Rach einer Mißernte hatte er einmal keinen anderen Ausweg ge-
wußt; er zündete sein HauS an und hoffte auf die hohe Versicherungs-
summe. Die Ortsseuerwehr zerstörte aber dieses Hoffen; sie kam zu
früh und Georg Kühn empfing sie, keineswegs freudig, mit den er-
staunten Worten: „Jo, seid denn ihr schon do?"
Das schwammige, gerötete Gesicht deS Bürgermeisters mit dem strup-
pigen Bart erinnerte an eine Bulldogge, oder mehr noch an einen See-
löwen. Auch fein Körper zeigte unmäßige Formen. Wenn er auf dem
Stuhl saß, sah es aus, als ob ein gewöhnlicher Mensch auf einem
Fahrradsattel sihe.
An schönen Sonntagen im Sommer, wenn er Gäste hatte, unternahm
er init ihnen Ausfahrten in einem offenen Landauer. Sobald aber die
Straße etwas anstieg, befahl er dem Kutscher „Zieh mal die Hemm'
an!" llnd ließ halten. Sämtliche Insassen mußten aussteigen — „Wege
dene' arme' Gäul " — nur er blieb im Wagen sitzen, weil „er sich doch
so schwer tu' beim Steige ".
Später schasste er sich ein Auto an. Er reiste nur noch mit diesem.
Seine Frau ließ er gleichzeitig in der Bahn fahren; nicht etwa aus Vor-
sicht, sondern „weil des Auto m i r g hört", wie er sagte. „Des Hab' i ch
mir doch vun mei'm Geld gekaaft. Was braucht n da die Fraa drin
hocke .. ."
Mit zunehmendem Alter wurde er immep sonderlicher. Am Abend
verschloß er die Fensterläden und ließ sämtliche Lichter im Hause ent-
zünden. Spät aß er allein zu Nacht und fuhr gegen elf mit seinem Auto
los. Zwei Stunden währte der Weg zur nächsten Großstadt, wo er
einem seltsam kindlichen Trieb nachging. Es bereitete ihm unbändigen
Spaß, die LiebeSpärchen in den Anlagen mittels einer Taschenlaterne
auszustöbern. Manchmal bekam er dabei Prügel. Er war damals schon
an die sechzig. Mit einundsechzig raffte ihn die Pfälzer Krankheit hin-
weg. Man fand ihn morgens tot im Weinkeller, neben vier leeren
Flaschen „1911er Herrgottswinkel Auslese".
DER COCKTAI L
Wa Mer Fuchs
Anekdoten vom Wein
wie man ehedem die Weinpantscher
bestrafte
Einige glückliche Jahrhunderte hindurch hat
eS in Straßburg eiuen Brunnen gegeben, der
unentgeltlich Wein spendete für jedermann.
Wie kam er dorthin? Ein Weinhändler
hatte ihn samt sprudelndem Labsal gestiftet.
Nämlich so: der Wackere war, als er aus
einer Tonne Wein zwei gemacht hatte, mit
Hilfe von Wasser, auf Straßburger .Manier
bestraft worden. Am Jllerfluß, in der Nähe
der Rebenbrücke, wo die Schweine geschwemmt
wurden und das hochgehende Wasser in allen
Farben schillerte, hing an einer Rolle ein
eiserner Käfig. In den Käsig schob man den
Mann und tunkte ihn etliche Male tief inS
Wasser hinein, heraus, hinein, heraus.
Als der Weinhändler rückfällig geworden
und abermals ertappt- worden war, führte
man ihn wieder zur Rebenbrücke . . . Kaum
wurde der Mann des Wassers und des Käfigs
an der Rolle ansichtig, so blieb er stehen,
hob die Hand zum Schwur und rief:
„Gute Bürger, wenn ihr mir d a S noch-
mal erlaßt, so schwöre ich bei der geliebten
Seele im Weingarten, daß ich will einen Brun-
nen für euch alle errichten lassen, der soll
lauteren Wein speien so wie ich aus Mund,
Nase und Ohren Wasser speie dort im Käsig!"
I.lnd so geschaht. Heute gibt es kaum noch
einen Weinhändler, der solche Strafe verdient
hätte, aber leider . . . auch keinen solchen
Brunnen.
Das schönste ungarische Sprichwort
Auf einer Reise kam der Graf Rakoczy zum
Fürsten Pückler nach Muskau, der gerade bei
einer Butällje alten schweren Burgunders saß.
„Hoffentlich ist sie nicht schon leer?" fragte
der Graf.
Der Fürst lächelte: „Es ist die älteste Fla-
sche aus meinem Keller. Sie würden es mir
gewiß nicht übelnebmen, wenn ich sie alleine
leerte?"
Da sagte der Gras: „Kennen Sie das
schönste Sprichwort meiner Heimat?"
„Nein, bitte!"
„lVlasaban csak az ökör iszik! — Allein
trinkt nur der Ochse!"
Der Rest der Flasche wurde gemeinsam
ausgetrunken.
Und so laßt uns sortsahren!
Mit saurer Miene begegnete der strenge
Philosoph Büchner aus der Straße nach Aß-
mannshausen dem Dichter Victor von Schef-
fel. Man sah dem Dichter an: er hatte seinen
Scheffel vollgeladen. Er schwankte über die
ganze Breite der Straße.
Büchner fing ihn aus und redete streng aus
ihn ein: „Mann! Die Mäßigkeit! . . . Die
maze, wie der mitteralterliche Mensch eS
nannte, die Sophrosyne der alten Griechen:
wie können Sie das alles vergessen! Wir soll-
ten alle gründlicher Nachdenken über den Reiz
der Nüchternheit und die Wonne der Mäßig-
keit!"
Richtig! Eine hochwichtige Sache!" hallte
Scheffel, „kommen Sie! die müssen wir in der
„Krone" bei einer Pulle Aßmannshäuser
bereden!" H. A Thies
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