Der Nikolaus in München
_ Wir gingen die Neuhauser
Straße in München entlang,
mein Freund Barrison ans Michi-
gan und ich. Oer Schnee fiel in
dicken Flocken, und es herrschte
dichter Nebel, so und so. Wir
hatten nämlich sämtliche Münch-
ner Biere durchprobiert.
Plötzlich taumelte Barrison zu-
rück, und hielt sich an einer Ab-
flußrohre fest- Sein Blick
starrte entgeistert auf das mittel-
alterliche Karlstor. ..
Dort kam in Mantel und Ka-
puze, mit langem, weißem Bart
der Hl. Nikolaus heraus, lind
munter trippelten ihm zur Seite
ein halbes Dutzend beflügelter
Engerln.
„lluas? .. HuaS? .. bluas? .."
lallte Barrison; aber weiter kam
er nicht.
„Mensch, Barrison, fassen Sie
>ich!" flüsterte ich ihm zu, „es ist
doch nur Et. Nikolaus!"
In diesem Augenblick bestieg
der Alte mit Sack und Pack und
seinen sechs Engerln ein Taxi-
auto und fuhr um die Ecke.
Barrison, noch immer blaß:
„Nur gut, daß er nicht gesehen
hat uns hier!"
— Er ist, wie ich von Bekann-
ten weiß, noch heute überzeugt,
daß Deutschland ein höchst un-
sicheres Land ist, mit äußerst
schwer durchschaubaren Hinter-
gründen. II. A. T.
Wiener sehen dich an!
Von Lrich ®. Kod)
Gescheiten Leuten gehen bald die Haare aus!
Ist ein erprobtes und wahres Sprichwort in Österreich.
Herr Brandhuber hat daher trotz seiner 54 Jahre eine Löwenmähne.
Er ist nämlich Obersinanzrat.
In Wien.
Oberfinanzrat Brandhuber muß sich alle drei Wochen zum Friseur
setzen.
Heute auch wieder.
Der Gehilfe bringt die obligate Zeitung.
„Haare schneiden, Herr Hofrat?"
Obwohl Oberfinanzrat Brandhuber noch einige Jahresringe bis zum
Hofrcst anzusetzen hatte, weiß der schlaue Figaro, daß der „Hofrat" mit
einem anständigen Trinkgeld diskontiert wird.
Daö Spiel beginnt, bald fliegen die Locken.
Auf einmal reißt es den Oberfinanzrat.
Der Zwicker wackelt bedenklich auf der Nase.
Schere und Kamm klimpern weiter.
Bald zuckt er wieder.
Ein kurzes und ungeduldiges „Na!" wird hörbar.
Pause.
Plötzlich fährt er vor Schmerz auf: „Na, hörn 8’, was ist denn das
heut? Sie reißen mir ja fortwährend Haare aus mit der Schere."
Meint der Künstler treu und bieder: „Aber Herr Hofrat, machen S'
doch keinen Wirbel wegen der paar Haare. Sie haben ja eh so viel!"
L. v. Horvath
„Uacih-Yogi haben mechUT
„Ja i ko eahm net nachfliag’n, Lausbua plärrmauleter
i - A WY' -
'SS'/'
Georg Brilling: Das treue Eheweib. (Verlag Albert Langen Georg
Müller, München.)
Ein Buch von Rang. Die Fülle der Gleichnisse, die den Sül
auszeichnet, wächst organisch aus dem sicheren Wissen um
irdisch-natürliche und geistige Zusammenhänge. Somit präsen-
tiert uns jede der Erzählungen nicht nur den Ablauf eines
Geschehnisses, sondern in diesem Geschehnis immer das Ganze
eines dichterischen Weltbildes. Britting ist nicht bloßer Be-
obachter oder Fabulieren Er hat den ur-religiösen Sinn
für das zutiefst Schicksalhalle, das sich den Bemühungen
mechanistischer Logik entzieht. Und da dieses zutiefst
Schicksalhafte nicht Sache des Bewußtseins, sondern bewußt-
seinlos maturhaft, triebhaft, dämonisch ist, kann Britting uns
beispielweise das Duell zweier Hengste nicht minder wahrmachen
als Ereignisse des L ebensber ei che s Mensch. — An der Sprache
Brittings fällt die immer wieder formend zugreifende, die Einzel-
heiten immer wieder in neuem Ansatz umschmeichelnde Lust
zu einer steigernden Mehrfaltigkeit des Visierens auf. Wir
möchten Britting aber bitten, sich'der mitunter nahen Gefahren
artistischer Manier bewußt zu sein, die, wenn auch ganz spie-
lerisch noch, sich hier und da andeutet. Walther C. F. Lierke
Jochen Klepper: Der Kahn der fröhlichen Leute. Roman. 246
Seiten. Leinen 4.25 RM. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart:
Ein deutscher Oderroman, dessen überaus glücklicher Titel
mehr verspricht, als das Buch zu halten vermag. Die Oderland-
schaft, der Lebenskreis der Schiffer, die Atmosphäre — das alles
ist in lebendiger Realistik gegeben, anschaulich und echt. In
diese Welt hinein stellt der Autor eine erfundene Handlung: ein
Waisenkind, das einen Schleppkahn erbte, heuert arme Artisten
an und fährt mit ihnen den Fluß hinauf, hinab, bis alles — auch
die soziale Not — in einem lustspielhaften Ende ausklingt. Hier
ist manches recht unwahrscheinlich erzählt. Die kleine Schiffs-
eignerin mit ihrer eigenwillig selbstbewußten Art erhielt nicht
genug Lebensodem, um auch in der Phantasie des Lesers zu
leben. Andere Typen wiederum gelangen, besonders jene aus
der Kleinstadt, die mit ein wenig Satire gezeichnet sind. Stellen-
weise so Har wächst das Buch ins Dichterische, der epische Atem
aber fehlt dem Autor noch — sein Erstlingswerk wurde kein
Roman, wohl aber eine im wesentlichen kurzweilige, lebensfrohe
Erzählung mit starkem Gefühl für Landschaft und Heimat.
Karl Ude
Joseph Conrad: „Mit den Auqen des Westens“. Roman. (S. Fischer
Verlag.) _ ,
„Mit den Augen des Westens“ werden östliche Zustände und
Menschen im Vorkriegs-Rußland gesehen; ein englischer Sprach-
lehrer erschaut sie, der Titel will besagen, daß der Beschauei
Wohl die Begebenheiten als solche sieht, die tieferen Zusammen-
hänge aber, die jenseits des westlichen Rationalen wurzeln, nicht
erkennen oder verstehen kann. Ein Minister wild ermordet, ae
Täter vom Freunde verraten. Dieser Verrat lastet auf dem Dasein
des Studenten Ramusoff und treibt ihn ungewollt in die Win-
nisse russischer Politik. Daß alle Terroristen zugleich als Spitze
der Gegenseite auf treten, kennzeichnet jene politischen v
hältnisse.
Karl Kurt Wolter
793
_ Wir gingen die Neuhauser
Straße in München entlang,
mein Freund Barrison ans Michi-
gan und ich. Oer Schnee fiel in
dicken Flocken, und es herrschte
dichter Nebel, so und so. Wir
hatten nämlich sämtliche Münch-
ner Biere durchprobiert.
Plötzlich taumelte Barrison zu-
rück, und hielt sich an einer Ab-
flußrohre fest- Sein Blick
starrte entgeistert auf das mittel-
alterliche Karlstor. ..
Dort kam in Mantel und Ka-
puze, mit langem, weißem Bart
der Hl. Nikolaus heraus, lind
munter trippelten ihm zur Seite
ein halbes Dutzend beflügelter
Engerln.
„lluas? .. HuaS? .. bluas? .."
lallte Barrison; aber weiter kam
er nicht.
„Mensch, Barrison, fassen Sie
>ich!" flüsterte ich ihm zu, „es ist
doch nur Et. Nikolaus!"
In diesem Augenblick bestieg
der Alte mit Sack und Pack und
seinen sechs Engerln ein Taxi-
auto und fuhr um die Ecke.
Barrison, noch immer blaß:
„Nur gut, daß er nicht gesehen
hat uns hier!"
— Er ist, wie ich von Bekann-
ten weiß, noch heute überzeugt,
daß Deutschland ein höchst un-
sicheres Land ist, mit äußerst
schwer durchschaubaren Hinter-
gründen. II. A. T.
Wiener sehen dich an!
Von Lrich ®. Kod)
Gescheiten Leuten gehen bald die Haare aus!
Ist ein erprobtes und wahres Sprichwort in Österreich.
Herr Brandhuber hat daher trotz seiner 54 Jahre eine Löwenmähne.
Er ist nämlich Obersinanzrat.
In Wien.
Oberfinanzrat Brandhuber muß sich alle drei Wochen zum Friseur
setzen.
Heute auch wieder.
Der Gehilfe bringt die obligate Zeitung.
„Haare schneiden, Herr Hofrat?"
Obwohl Oberfinanzrat Brandhuber noch einige Jahresringe bis zum
Hofrcst anzusetzen hatte, weiß der schlaue Figaro, daß der „Hofrat" mit
einem anständigen Trinkgeld diskontiert wird.
Daö Spiel beginnt, bald fliegen die Locken.
Auf einmal reißt es den Oberfinanzrat.
Der Zwicker wackelt bedenklich auf der Nase.
Schere und Kamm klimpern weiter.
Bald zuckt er wieder.
Ein kurzes und ungeduldiges „Na!" wird hörbar.
Pause.
Plötzlich fährt er vor Schmerz auf: „Na, hörn 8’, was ist denn das
heut? Sie reißen mir ja fortwährend Haare aus mit der Schere."
Meint der Künstler treu und bieder: „Aber Herr Hofrat, machen S'
doch keinen Wirbel wegen der paar Haare. Sie haben ja eh so viel!"
L. v. Horvath
„Uacih-Yogi haben mechUT
„Ja i ko eahm net nachfliag’n, Lausbua plärrmauleter
i - A WY' -
'SS'/'
Georg Brilling: Das treue Eheweib. (Verlag Albert Langen Georg
Müller, München.)
Ein Buch von Rang. Die Fülle der Gleichnisse, die den Sül
auszeichnet, wächst organisch aus dem sicheren Wissen um
irdisch-natürliche und geistige Zusammenhänge. Somit präsen-
tiert uns jede der Erzählungen nicht nur den Ablauf eines
Geschehnisses, sondern in diesem Geschehnis immer das Ganze
eines dichterischen Weltbildes. Britting ist nicht bloßer Be-
obachter oder Fabulieren Er hat den ur-religiösen Sinn
für das zutiefst Schicksalhalle, das sich den Bemühungen
mechanistischer Logik entzieht. Und da dieses zutiefst
Schicksalhafte nicht Sache des Bewußtseins, sondern bewußt-
seinlos maturhaft, triebhaft, dämonisch ist, kann Britting uns
beispielweise das Duell zweier Hengste nicht minder wahrmachen
als Ereignisse des L ebensber ei che s Mensch. — An der Sprache
Brittings fällt die immer wieder formend zugreifende, die Einzel-
heiten immer wieder in neuem Ansatz umschmeichelnde Lust
zu einer steigernden Mehrfaltigkeit des Visierens auf. Wir
möchten Britting aber bitten, sich'der mitunter nahen Gefahren
artistischer Manier bewußt zu sein, die, wenn auch ganz spie-
lerisch noch, sich hier und da andeutet. Walther C. F. Lierke
Jochen Klepper: Der Kahn der fröhlichen Leute. Roman. 246
Seiten. Leinen 4.25 RM. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart:
Ein deutscher Oderroman, dessen überaus glücklicher Titel
mehr verspricht, als das Buch zu halten vermag. Die Oderland-
schaft, der Lebenskreis der Schiffer, die Atmosphäre — das alles
ist in lebendiger Realistik gegeben, anschaulich und echt. In
diese Welt hinein stellt der Autor eine erfundene Handlung: ein
Waisenkind, das einen Schleppkahn erbte, heuert arme Artisten
an und fährt mit ihnen den Fluß hinauf, hinab, bis alles — auch
die soziale Not — in einem lustspielhaften Ende ausklingt. Hier
ist manches recht unwahrscheinlich erzählt. Die kleine Schiffs-
eignerin mit ihrer eigenwillig selbstbewußten Art erhielt nicht
genug Lebensodem, um auch in der Phantasie des Lesers zu
leben. Andere Typen wiederum gelangen, besonders jene aus
der Kleinstadt, die mit ein wenig Satire gezeichnet sind. Stellen-
weise so Har wächst das Buch ins Dichterische, der epische Atem
aber fehlt dem Autor noch — sein Erstlingswerk wurde kein
Roman, wohl aber eine im wesentlichen kurzweilige, lebensfrohe
Erzählung mit starkem Gefühl für Landschaft und Heimat.
Karl Ude
Joseph Conrad: „Mit den Auqen des Westens“. Roman. (S. Fischer
Verlag.) _ ,
„Mit den Augen des Westens“ werden östliche Zustände und
Menschen im Vorkriegs-Rußland gesehen; ein englischer Sprach-
lehrer erschaut sie, der Titel will besagen, daß der Beschauei
Wohl die Begebenheiten als solche sieht, die tieferen Zusammen-
hänge aber, die jenseits des westlichen Rationalen wurzeln, nicht
erkennen oder verstehen kann. Ein Minister wild ermordet, ae
Täter vom Freunde verraten. Dieser Verrat lastet auf dem Dasein
des Studenten Ramusoff und treibt ihn ungewollt in die Win-
nisse russischer Politik. Daß alle Terroristen zugleich als Spitze
der Gegenseite auf treten, kennzeichnet jene politischen v
hältnisse.
Karl Kurt Wolter
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Karl Ude: Ohne Titel [Buchbesprechungen]
Karl Kurt Wolter: Ohne Titel [Buchbesprechungen]
Walther C. F. Lierke: Ohne Titel [Buchbesprechungen]
Lajos v. Horvath: Zeichnung ohne Titel
H. A. T.: Nikolaus in München
Erich O. Koch: Wiener sehen dich an!
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Karl Kurt Wolter: Ohne Titel [Buchbesprechungen]
Walther C. F. Lierke: Ohne Titel [Buchbesprechungen]
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