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Der Traum vom eigenen Häuschen

Von Wilhelm £id^tenbcrg

Jn jedem Menschen, nicht wahr, wenn er
in gewisse Jahre kämmt und wenn ihm die
Welt ringsum schon ein bißchen zu geräusch-
voll und zu fremd erscheint, erwacht allmählich
der Traum . . . Ich sehe gerade, diese Ein-
leitung könnte sehr fein und sehr stimmungs-
voll werden, aber wozu? Das, was ich zu
erzählen habe, ist weder fein noch stimmungs-
voll. Im Gegenteil! Deshalb ist es besser, ich
gehe — wie gebildete Leute sagen — in
medias res.

Indem ich also bereits in medias res bin,
schicke ich trotzdem voraus, daß in mir der
Traum vom eigenen Häuschen erwacht war.
Das kann man ruhig sagen, ohne in den Ver-
ruf zu kommen, fein und stimmungsvoll zu
sein. Ich hatte jahrelang gespart, um mir
diesen Traum verwirklichen zu können, und
endlich war eS so weit. Eines Tages nannte
ich ein kleines, aber reizendes Häuschen vor-
der Stadt mein eigen, ein winziges Paradies
mit einem noch winzigeren Garten. Mein Ideal
war es ja gewesen, mein Häuschen ganz ab-
»'e'ts von den Menschen zu haben. Aber kleine
Sommerhäuschen stehen niemals abseits von
den Menschen. Wenn man allein wohnen will,
muß man sich heutzutage in Mietkasernen nie-
derlassen.

Also, ich hatte einen Nachbar. Anrainer
nennt man das in der Sprache der Siedler,
die mir jetzt schon völlig geläufig ist. Er hieß
Baß und die Natur hatte sich den schlechten
Scherz erlaubt, ihm eine Sopranstimme zu ver-
leihen. Aber das nur nebstbei. Herr Baß war
also wie ich ein kleiner Mann, der sich das
Häuschen vom Mund abgespart batte und
der nun glücklich war, endlich mit seinem
Namen in einem Grundbuch zu stehen, Und er
wäre soweit ein angenehmer Nachbar, besser
nesagt Anrainer, gewesen, wenn nicht . . . bind
hier bat die Geschichte einen Jacken. Sie bat
nämlich wirklich einen, und daS' ist nicht bloß
so gesagt. Als ich zu bauen begann, ließ Herr
Daß Gitter um sein TuSkulum erbauen. Be-

greiflich. Aber dieses Gitter machte einen Zacken
in meinen Garten hinein.

Zugegeben, einen winzigen Zacken. Ein Zäck-
chen, wie man so sagt. Nicht der Rede wert.
Aber immerhin einen Zacken, blnd wie kam ich
dazu, seinen Zacken in meinem Garten zu ha-
ben? Nicht, weil mich der Zacken sonderlich
störte, auch nicht, weil er mir zu viel Raum
wegnahm, aber aus prinzipiellen Gründen
(zwischen Anrainern gibt eS immer prinzipielle
Gründe) setzte ich mich hin und schrieb dem
Herrn Baß einen freundlichen Brief, in dem
ich ihn aber immerhin bat, den Zacken ehe-
stens aus der Welt zu schaffen, widrigen-
falls . . .

Herr Baß schrieb mir umgehendS zurück,
daß dieser Zacken sein heiliges, grundbücherlich
verbrieftes Recht sei, berief sich auf ein Ser-
vitut aus dem sechzehnten Jahrhundert und
erklärte, daß er nicht daran denke, diesen Zak-
ken zu ebnen. Wohl, meinte er, spiele der Zacken
sür ihn keine wie immer geartete Rolle, pi
müsse sich aber jetzt aus prinzipiellen Gründen
auf den Boden des Rechtes stellen, um mög-
lichen Präzedenzfällen. ..

Gott, ich hätte ja schließlich kein Wort mehr
über diesen läppischen Zachen verloren. Es
stand wirklich nicht dafür. Aber daS ging doch
wirklich nicht, daß mir dieser Herr Baß mit

A Ibumblatt

Sommer durch die Lauben glüht,
Frühlinq zog vorbei -
Sinn mir noch ein kleines Lied —
Steines Lied vom Mai.

Wasser nlätschtern — trinken sacht
ireiner Armut Bild:

Finst ach. hat dm Frühlings nach1
ir?Wi in Samt qehüllt.

So mm er durch die Lauben glüht.

Kr' hJinq zog vorbei . .

Sinn mir noch ein kleines Lied —
Kleines Lied vom Mai.

Jakob Harinirer.

grundbücherlich verbrieften Rechten und Servi-
tuten aus dem sechzehnten Jahrhundert kommt.
Am meisten empörte mich, daß er selbst zugab,
daß der Zacken für ihn keine Rolle spiele, und
daß er nur aus prinzipiellen Gründen . . .
Wenn ich nur „prinzipielle Gründe" höre, habe
ich schon gefressen! Nicht wahr? Ich schrieb
also einen zweiten Brief, diesmal ohne Über-
und Unterschrift, weil ich einem öden Prinzi-
pienreiter nicht die Ehre einer Anrede und Aus-
rede erweisen wollte. Herr Baß hätte diesen
Brief ruhig beantworten können. Aber — er
tat eS nicht. Er schwieg. Und der Zacken ragte
weiter in meinen Garten hinein.

Vielleicht wäre eS besser gewesen, gleich
zum Anwalt zu gehen und jeden persönlichen
Verkehr mit Herrn Baß abzubrechen. Aber
manchmal geht einem eben daS Temperament
durch und man kann nicht anders. Dder mußte
ich mir daS gefallen lassen, daß Herr Baß
stundenlang vor dem Zacken stand, den er
außerdem widerrechtlich benutzte, und höhnische
Blicke zu mir herübersandte? Mußte ich?
Nein! Ich sprang plötzlich auf den Zacken zu
und sagte sehr höflich, aber bestimmt: „Grin-
sen Sie nicht fortwährend, Sie Idiot!" Herr
Baß schien außerdem ein Choleriker zu sein,
denn er geriet furchtbar in Saft über meine
ganz unverfängliche Äußerung und rief zurück:
„Halten S>'e Ihre Schnute, Sie unverschäm-
ter Kretin!" Nun brauche ich mich von Herrn
Baß keinen Kretin schimpfen zu lassen! .Ich
blieb ihm natürlich die Antwort nicht schul-
dig. Und nannte ihn einen „böswilligen Stän-
kerer". Und jetzt batte der Mann die Frech-
heit, mich einen „heimtückischen Frechlings zu
nennen! M i ch ! Also, ein Schimpfwort ergab
das andere und wir schieden unter Androhung
der schärfsten Rechtsanwälte.

Ich fuhr also in die Stadt — schade, eS
war gerade prächtigstes Wetter und mein
Häuschen wirkte so verlockend — und suchte
einen scharfen Rechtsanwalt auf. Ich erzählte
ihm die Geschichte von dem Zacken und daß

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Register
Wilhelm Lichtenberg: Der Traum vom eigenen Häuschen
(Johann) Jakob Haringer: Albumblatt
Bold (Bolt): Maskenspiel
 
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