(Bayerische Settern
Der andere Nikolaus
Bei Schwingnagels hatte in früheren
Jahren Onkel Viktor den Nikolaus ge-
spielt. Die Rolle war ihm mit Bedacht
zugeteilt worden, denn seine umfassen-
den Kenntnisse und sein hochkulti-
viertes, auf ästhetische Lebensformen
gerichtetes Wesen schienen besonders
dazu angetan, in vornehmer, nicht allzu
verletzender Art auf die verschiedent-
lichen Mängel des kleinen Herbert er-
zieherisch einzuwirken. Es war geradezu
erbaulich und selbst für das Elternpaar
aufschlußreich, wenn Onkel Viktor in
stilistisch formvollendeter Weise die
schweren Schäden nachwies, die einem
Menschen im späteren Leben dadurch
entstehen konnten, daß ihm die links-
seitigen Nebenflüsse der Donau nicht
ganz geläufig waren, daß er über die
Gründung Münchens durch Heinrich den
Löwen nur schwachen Bescheid wußte
und im Schönschreiben die Haarstriche zu
dick ausführte, daß er Mitschülern mit
dem Lineal auf den Kopf schlug, das
Rechenheft verklexte, falsch konjugierte
und in der Nase bohrte.
Doch wurden diese Mängel stets nur
in außerordentlich versöhnlicher Form
gerügt und dienten eigentlich nur zum
Anlaß, um die in Aussicht stehende
Besserung pränumerando mit auser-
lesenen Äpfeln, Nüssen und leckerem
Naschwerk zu belohnen. Auch Herbert
betrachtete die schonungsvollen Rügen
nur als belanglose Einleitung des Schen-
kungs-Aktes, ja, es war schon oorge-
kommen, daß er bereits an einem Kal-
ville-Apfel knabberte, während Onkel
Viktor noch in überzeugender Weife auf
die hohe Bedeutung tadellos ausgeführ-
ter U-Häubchen hinwies.
In diesem Jahre nun war Onkel Vik-
tor durch eine stimmliche, auf Erkältung
zurückzuführende Indisposition zum
ersten Male verhindert, die Rolle des
Nikolaus zu übernehmen. Die Absage
kam überraschend, und Herr Schwing-
nagel stand deshalb in letzter Stunde
vor der Notwendigkeit, Kutte, Bart und
Rute einer anderen Persönlichkeit über-
tragen zu müssen. Kurz entschlossen
eilte er auf die Straße und stieß alsbald
scheinen, daß die Rolle des Nikolaus
eine glaubhafte Darstellung finden
würde. Ja, vielleicht durfte man es sogar
als Gewinn betrachten, wenn einmal die
von Onkel Viktor bereits gewohnheits-
mäßig formulierten Ermahnungen durch
einen Mann aus dem Volk eine andere
Stilisierung fänden. Auf Befragen
Schwingnagels erklärte sich Herr Maier-
hofer der ihm gestellten Aufgabe voll-
kommen gewachsen. „War' ja zum
Lacha", antwortete er, „bal i den
heiligen Nikolaus net macha kunnt'!
Hab' ja selber drei Buama g'habt. Für
a Mark suchzge schlag' i Ehana Ehanern
Bambsen umananda so lang S' woll'n!"
Herr Schwingnagel erklärte, daß die
praktische Züchtigung keinesfalls in
Frage komme und überhaupt jede Härte
ängstlich vermieden werden müsse, die
dem empfindlichen Nervensystem klein
Herberts Schaden zufügen könne. Im
übrigen aber könne die mangelhafte
Leistung in Geographie und Schön-
schreiben in vorsichtiger Weise gerügt
werden. Hierauf übergab Schwingnagel
wenn in München.» dann Deutsches Theater.
tSZZ / J U Q E N D Nr. 51
Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehm
812
Der andere Nikolaus
Bei Schwingnagels hatte in früheren
Jahren Onkel Viktor den Nikolaus ge-
spielt. Die Rolle war ihm mit Bedacht
zugeteilt worden, denn seine umfassen-
den Kenntnisse und sein hochkulti-
viertes, auf ästhetische Lebensformen
gerichtetes Wesen schienen besonders
dazu angetan, in vornehmer, nicht allzu
verletzender Art auf die verschiedent-
lichen Mängel des kleinen Herbert er-
zieherisch einzuwirken. Es war geradezu
erbaulich und selbst für das Elternpaar
aufschlußreich, wenn Onkel Viktor in
stilistisch formvollendeter Weise die
schweren Schäden nachwies, die einem
Menschen im späteren Leben dadurch
entstehen konnten, daß ihm die links-
seitigen Nebenflüsse der Donau nicht
ganz geläufig waren, daß er über die
Gründung Münchens durch Heinrich den
Löwen nur schwachen Bescheid wußte
und im Schönschreiben die Haarstriche zu
dick ausführte, daß er Mitschülern mit
dem Lineal auf den Kopf schlug, das
Rechenheft verklexte, falsch konjugierte
und in der Nase bohrte.
Doch wurden diese Mängel stets nur
in außerordentlich versöhnlicher Form
gerügt und dienten eigentlich nur zum
Anlaß, um die in Aussicht stehende
Besserung pränumerando mit auser-
lesenen Äpfeln, Nüssen und leckerem
Naschwerk zu belohnen. Auch Herbert
betrachtete die schonungsvollen Rügen
nur als belanglose Einleitung des Schen-
kungs-Aktes, ja, es war schon oorge-
kommen, daß er bereits an einem Kal-
ville-Apfel knabberte, während Onkel
Viktor noch in überzeugender Weife auf
die hohe Bedeutung tadellos ausgeführ-
ter U-Häubchen hinwies.
In diesem Jahre nun war Onkel Vik-
tor durch eine stimmliche, auf Erkältung
zurückzuführende Indisposition zum
ersten Male verhindert, die Rolle des
Nikolaus zu übernehmen. Die Absage
kam überraschend, und Herr Schwing-
nagel stand deshalb in letzter Stunde
vor der Notwendigkeit, Kutte, Bart und
Rute einer anderen Persönlichkeit über-
tragen zu müssen. Kurz entschlossen
eilte er auf die Straße und stieß alsbald
scheinen, daß die Rolle des Nikolaus
eine glaubhafte Darstellung finden
würde. Ja, vielleicht durfte man es sogar
als Gewinn betrachten, wenn einmal die
von Onkel Viktor bereits gewohnheits-
mäßig formulierten Ermahnungen durch
einen Mann aus dem Volk eine andere
Stilisierung fänden. Auf Befragen
Schwingnagels erklärte sich Herr Maier-
hofer der ihm gestellten Aufgabe voll-
kommen gewachsen. „War' ja zum
Lacha", antwortete er, „bal i den
heiligen Nikolaus net macha kunnt'!
Hab' ja selber drei Buama g'habt. Für
a Mark suchzge schlag' i Ehana Ehanern
Bambsen umananda so lang S' woll'n!"
Herr Schwingnagel erklärte, daß die
praktische Züchtigung keinesfalls in
Frage komme und überhaupt jede Härte
ängstlich vermieden werden müsse, die
dem empfindlichen Nervensystem klein
Herberts Schaden zufügen könne. Im
übrigen aber könne die mangelhafte
Leistung in Geographie und Schön-
schreiben in vorsichtiger Weise gerügt
werden. Hierauf übergab Schwingnagel
wenn in München.» dann Deutsches Theater.
tSZZ / J U Q E N D Nr. 51
Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehm
812