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3 8. JAHRGANG

N D

1 9 3 3 / ‘N R. 52

CHRISTIMACHT OHME OIE LID

EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE VON ERNST HOFERICHTER

Jpüd) oben — iüü man die Dachrinne singen Hort, und die Dritte
der Kaminkehrer durch die Decke klopfen, wohnte Sebastian GotteS-
winter, der Dichter.

Der Verseschmied und Gedichtendrechsler von hohen Gnaden...!
Die vier Stockwerke, die unter ihm lagen, vernahmen nur selten ein
Geräusch, das sein Dasein ins Bewußtsein gerusen hätte. Aus leisen
Filzpantoffeln lies er wie ein Wild die Treppen aus und ab. So laut-
los, — als ginge er aus Schnee.

blnd in seinem Dachzimmer lebte er wie aus einer Insel, um die die
Einsamkeit lautlos ihre iiieüen warf.

Niemand kümmerte sich um ihn. Er war ihnen niemals so recht als
Mensch erschienen, der reden konnte, leiden und lieben. Als lebloser
und seelenloser Schatten lebte er unter ihnen. Ohne Freude — ohne
Geld.

Da stieg die Weihnacht aus die dämmernde Erde herab. 3n den WirtS-
gärten und offenen Hausgängen standen die lebten Christbäume und
warteten aus verspätete Käufer. Mit Tannenzweigen besteckte Pakete
drückten sich aus den Ladentüren. Voll Sehnsucht, aus den Geschenk-
tisch gelegt zu werden. Wo Psennigwerte zu kleinen Königreichen aus-
blühen. Wo heilige Lieder über sie hinklingen. bind warme Wachs-
tropfen ihnen das weihnachtliche Siegel aufdrücken. blnd sie noch in
die kinderhellen Träume der Nacht hineingleiten!

Aus den Küchenfenstern und Wohnungstüren roch es nach Oblaten,
NIarzipan und geröstetem Zucker. Im abgeriegelten Zimmer wird das
Engelsgeläute auf die Spitze des Baumes gesteckt...

Sebastian GotteSwinter war heute schon am Nachmittage von seiner
Höhe herabgekommen, blnd diesmal nicht in leisen Filzpantoffeln.
Nein — mit lautem Gepolter sprang er die Stiege herunter, wobei er
manche Treppenabsätze überhüpfte und schallend, wie ein Sack mit
lauter Spielwaren, unten ankam ...

In Schaftstiefeln schritt er groß aus. Als wollte er noch bis zum
Abend den Äquator umwandern. Eine frohe Hast war in ihm, eine
lachende Sehnsucht! — Seine Gedanken liefen immer einen Stein-
wurs seinen Schritten voraus, blnd die Blicke schleuderte er lustig
gleich Zwetschgenkernen zur Linken und Rechten, durch die kerzen-
lichten Auslagesenster und Kaufläden.

Schnee fiel in Flocken als weißer Brief vom Himmel vor ihm her,
so daß bald Straßen und Plätze als frisch gemachte Betten hinge-

breitet waren. Dann und wann blieb der Dichter vor einer Auslage
glänzender Herrlichkeiten stehen. Er suchte und suchte, denn auch er
wollte für heute abend seinem Herzen eine stille Freude bereiten, blnd
weil er arm war, so blieb die Auswahl eingeengt und beschränkt aus
kleine und kleinste Dinge. An allem fand er Gefallen. Aber Sebastian
hatte als Dichter und Verdichter alles Leidenden auch eine tiefe Erkennt-
nis in sich. Er, der in allem das Wesen und den letzten blrgrund sah,
wußte, daß das Schönste und Herrlichste nicht im Besitze liegt. Ohne-
gleichen wunderbar ist das Wünschen und — die Sehnsucht. Wird etwas
ein Eigenes, so ist die Sehnsucht nach ihm vergangen, und das Glänzen
fehlt von nun ab jeglichem Dinge, das Eigentum geworden ist. blnd
dies Erlebnis wurde in Sebastian wach, wenn er nach seinen paar
Groschen griff, die Klinke zur Ladentüre schon in der Hand hielt — und
eintreten wollte.

blnd er trat den Schritt wieder zurück, kaufte nichts — um sich die
Sehnsucht zu bewahren. So ging er durch viele Gassen, über Brücken,
an Lagerplätzen und Fabrikmauern vorbei. Aus den Ecken kroch Dunkel
und die Nacht und die Gaslichter bekamen grüne Ringe um die Augen.

Er ging und ging jetzt ohne Ziel, blnd merkte gar nicht, als er schon
über gefrorene Felder und Äcker stolperte, daß etwas Schwarzes hinter
ihm her lief. Bis er jäh anhielt, um einmal in den schneeweißen
Himmel zu starren, der sternenleer und schwarz über ihm ausgespannt

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Register
Ruth Mathi: Zeichnung ohne Titel
Ernst Hoferichter: Christnacht ohne Geld
Otto Nückel: Illustration zum Text "Christnacht ohne Geld"
 
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