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den Schränken rollten allenthalben rotwangige
Äpfelchen hervor, gläserne Ketten von buntem
Christbaumschmuck schlangen sich von den
Deckenlampen zu den Wandbildern und Frau
Sedlhuber mußte des Nachts aus e.'nem zarten
rosa Gebirge von Seidenschlüpfern schlafen.
Die Wohnung drohte zu bersten, und immer
noch schleppte der weihnachtsselige Herr Sedl-
huber neue, wunderschöne Dinge herbei. Ein-
mal brachte er Grainmophone, viele wunder-
schöne Grammophone — freilich nur eine
Platte dazu. „Ich hatte es eilig", sagte er mit
entschuldigendem Lächeln. Aus der Platte stand
„Morgengymnastik". „Das ist von Grieg —
aus „Peer Gynt" meinte Frau Sedlhuber und
freute sich, daß nun auch eine süße Melodie
den Weihnachtsabend, wie es sich gehörte, ver-
klären würde.

Welches Glück im Hause Sedlhuber in dieser
vorweihnachtlichen Zeit herrschte, ein richtiges
Kinderglück! Dazu paßten auch die Bücher, die

a.

onn

Er kommt zu mir, beschwingt von

fremdem Ton,

aus seinen Tagen wie von anderm Stern,
erfüllt von dem, was ich nicht sah: mein

Sohn.

Mein eigen Fleisch — mir unerreichbar

fern.

r

Dies ist ein Leben, das mir nicht gehört,
das eben mein noch war — und schon

entglitt.

Nun muß ich ahnen, was ihn freut und

stört

und mühsam raten, was er heut noch litt.

Was bleibt mir?.. Still. Der Mund. Die

Stirn. Die braunen
geliebten Wangen; und das helle Haai' . .
Und — aller Mütter Los — das leise

Staunen,

das tiefe Staunenf daß ich ihn gebar.

N. E.

nach Hause. Seine Frau war entzückt und er-
schrocken zugleich. Sie wußte ja was ihr Mann
vorhatte, aber auf Vorhaltungen betreffs der
großen Anzahl der Christbäume erwiderte er
nur: „Annemarie, wir müssen doch alle ver-
säumten Weihnachtsseste unserer Ehe nach-
holen, und außerdem — — du kennst mich
ja!" Sie kannte ihn: wenn er etwas unternahm
war er großzügig, und sie war stolz darauf.
Als sie ihm freilich als Weihnachtswunsch ein
neues Portemonnaie nannte und er ihr schon
am nächsten Dag, da er daö Fest gar nicht er-
warten konnte, 171 gleiche Portemonnaies vor-
legte, da quittierte sie seine Entschuldigung, ein
Einheitspreisgeschäft habe gerade einen Sonder-
WeihnachtSverkaus gehabt, mit der ernstlichen
Mahnung, bei seinen Besorgungen künftig doch
etwas vernünftiger zu sein. Aber Herr Sedl-
huber war in einem Glückstaumel, und bald
glich die Wohnung einem Warenlager: Die
i4 Tannenbäume dufteten nach Kräften, unter

Herr Sedlhuber seiner Frau jetzt immer des
Abends vorlas und die er, wie er scherzhaft
bemerkte, „im Dunkeln ausgesucht hatte". „Der
Wolf und die sieben Geißlein" kannte Frau
Sedlhuber schon auswendig, und sie war ge-
rührt, wenn sie ihren Mann mit glühenden
Ohren über das „Deutsche Knabenbuch" ge-
bückt sah. Besonders die technischen Aufsätze
darin laS er mit wahrer Begeisterung. „Man
kann daraus sogar noch waS lernen" meinte
er und machte sich ab und zu Notizen.

Nun war es noch ein Tag bis Weihnachten.
SedlhuberS waren wie ein Brautpaar zuein-
ander. AuS ihrer Wohnung duftete es so
penetrant weihnachtlich, daß die Mitbewohner
deS Hauses aufmerksam wurden und NachbarS
Fritzel fand einmal ein ganzes Zehnpfundpaket
mit Engelshaar auf der Treppe. Da fiel es
Frau Sedlhuber, die eben noch einmal die vor-
bildliche WeihnachtSnovelle in „Über Gebirg
und Tal" gelesen hatte, mit jähem Entsetzen

(Fortsetzung Seite 826)

phot. L. H.

ROBOTERS WEIHNACHT

Er war ein Roboter, einer jener künstlichen Menschen mit elektro-
mechanischem Antrieb, die, noch vor kurzem der Clou jeder technischen
Ausstellung, heute in keinem besseren Haushalt fehlen. Man nannte
ihn Bob.

Sein Gehirn war die zierliche Schalttafel im Zimmer der Herrin;
von dort kamen, durch Hebeldruck oder Mikrophon-Anruf ausgelöst,
seine Willensimpulse — ihre Befehle. „Bobbie!" rief die Herrin beim
Erwachen gegen zehn Uhr morgens. Dann trabte er schwerfällig
herbei, brachte Zeitungen, Post, Frühstück, bereitete das Bad, gab
Auskunft über Wetter und Temperatur. Alles Tun mit stummer Ge-
schäftigkeit, alle Rede mit wohlklingender Demut. Er besorgte den
ganzen Haushalt, so sinnreich war der Mechanismus seines Innern,
so gewissenhaft reagierte er aus die leisesten Variationen der strahlenden
Energien. Stärker, zuverlässiger, unermüdlicher als ein Diener von
Fleisch und Blut, mit wenigem zufrieden — nur alle vierzehn Tage
brauchte er etwas Öl, zweimal jährlich wurde er von einem Monteur
der Lieferfirma genau überprüft. Dazu war er ein Muster an Ver-
schwiegenheit und Diskretion; niemals äußerte er Meinung oder Wider-
spruch, niemals einen Wunsch. Zuweilen vergaß sich die Herrin, rief
halblaut und zärtlich seinen Namen — dann wandte er ihr daö starre
Gesicht zu und wartete aus weitere Befehle. Aber sie seufzte, warf noch

einen Blick auf seinen mächtigen stählernen Körper und sagte resigniert:
„Geh, Bobbie!"

Wenige Tage vor Weihnachten kam ein Brief.

Sehr geehrte gnädige Frau!

Bald begeht alle Kreatur das höchste Fest. Lassen Sie auch
Ihren Diener, den Roboter Bob, daran teilnehmen! Schicken
Sie ihn am 24. Dezember abends acht Uhr in unsere Christ-
feier. Wir bitten Sie herzlich darum!

Hochachtungsvoll

The Society for Roboters Revival.

Die Herrin war einverstanden. Gut, mag er gehen. Ich brauche ihn
nicht an diesem Abend.

$

Am Abend des Vierundzwanzigsten strömten die Roboter der Stadt
nach dem Versammlungshaus. Mit leisem Surren schoben sie sich
durch die enge Tür in den Saal, nahmen ihre Plätze ein und versanken
in Schweigen; eine unübersehbare graue Masse. An der Vorderwand
des Saales glühte ein Transparent, daneben wuchsen vier riesige Tannen
zur Decke empor; ihre zahllosen Kerzen spiegelten sich in den metallenen
Gesichtern der Besucher.

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Register
Franz Doll: Zeichnung ohne Titel
N. E.: Der Sohn
[nicht signierter Beitrag]: Roboters Weihnacht
L. H.: Lichtbild
 
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