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J u G

.3 9. JAHRGANG

END

1 9 34 / NR. 4

Vergänglichkeit

Wache Stunden der Nacht sind uns

geschenkt,

aber die Träume wandern tagwärts,
alte Schatten tragen sie mit und fliehen

dahin.

Oh ihr Träume, oh ihr allen Schatten,
wenn ihr wandert, laßt ihr uns allein,
flieht, — uns berührt dürftige Einsamkeit.

Aber ihr kommenden auch seid schwer zu

binden,

Schalten, ihr fließt dahin,

zieht mit den alten Träumen schon bald

und für immer verströmt ihr.

Hans E. Graven

„Kaufen Sie Maroni, Siel"

Von V) i l >) e l m

ßi’i'f Mittags habe ich an das Erlebnis init dein Maronibrater
gedacht. Ich sollte Ihnen eigentlich nichts davon erzählen, denn ich
habe mich schlecht aufgeführt. Aber vielleicht kann ich die Sache so
ein klein wenig wieder gut machen.

DaS ging folgendermaßen zu:

In einer Mauernische, in einem lvinkeligen weltverlorenen Wiener
Gäßchen dicht neben dem Eingang einer Kirche, hatte der Kastanien-
brater seinen Platz. Ich glaube, er hieß Kuper, aber besonders nannten
ihn die Kinder so. Dort saß er aus einer Holzkiste bei Regen und
Schnee hinter seinem warmen Ösen und ries mit tieser Baßstimme seine
Maroni aus. Er ries nur immer: „Maroni, Sie! . . . Kausen Sie
Maroni; Sie!"

An besonders kalten Sagen hatte er Gesellschaft. Dann saß neben

-Zuffermann

dem Dsen aus ausgebreiteten Kastaniensäcken ein alter Bettler, der
sonst aus der Kirchentreppe seinen Sitz hatte und wärmte sich mitten
im Dust der knusperigen braunen Maroni. Eine abgeschabte Mütze
lag bei seinem Holzsuß, und wer ein Geldstück hineinfallen lassen
wollte, mußte sich schon ein wenig bücken.

Es konnte auch Vorkommen, daß an Kupers Platz hinter dem Dfen
nur die Holzkiste stand. Sicher holte sich der Alte in eineni naheliegen-
den Laden Holz und Kohle, doch wenn er zurückkam, fehlte bestimmt
keine von den Kastanien aus dem feuerdurchbrochenen Rost, wohl aber
büpsten einige Kinder wartend ans einem Fuße, blnd der Bettler mit
den: Holzfuß spielte ihnen etwas auf seiner Mundbarmonika vor und
klopfte mit der Prothese den Sakt dazu.

An dieser Mauernische führte mich täglich zweimal mein Weg vor-
bei. Hnd Sie können sich leicht vorstellen, daß ich nicht umhin konnte,
hin und wieder ein paar gebratene Maroni zu k--fen. Dem Bettler
aber gab ich nie etwas. Aus Angst er könnte etwas mehr verdienen,
als er notwendig für Brot und See braucht, Ich biß stets die Iähne
zusammen und beachtete ihn nicht weiter. Hnd weil eS die meisten Leute
so machen, bin ich entschuldigt.

So war es bis vor ungefähr zwei Wochen.

Da gab es einen Sag, daß ein kleiner Streit beim Bratofen aus-
gebrochen war. Ein kleiner, dicklicher Herr beschwerte sich, daß seine
Maroni etwas angebrannt wären. Hnd ich tat so, als hätte ich nichts
gehört und würde erst jetzt kommen. Ich sagte zu Küper: „Ich will
Maroni kaufen. Ihre schmecken mir besonders gut!" Das half. Sogar
der Bettler rief: „Hört doch den!" Hnd der kleine, dicke Mann ging
mit einer großen Süte Maroni zufrieden seines Weges weiter.

Gegen Abend mußte ich wieder vorbei. Schon von weitem hörte ich
die bekannte Baßstimme: „Kausen Sie Maroni, Sie!" blnd ich jagte
zu mir selbst: Heute morgen hast du ihm zu Recht verholfen, nun
ist er sicher dankbar und wird dich besonders gut bedienen. Auch ein
Maronibrater besitzt etwas wie Dankbarkeit.

Ich hatte mich gründlich verrechnet. Als mich Kuper kommen sab,
rief er noch kräftiger: „Kaufen Sie Maroni, Sie!" Ein kleiner Bengel,
ein Zeitungsjunge, kam mir zuvor, und ich mußte warten. DaS
ärgerte mich und ich fühlte im stillen, daß ich Küper nach Verdienst
behandeln würde, wenn ich in Zukunft von ihm nichts mehr kaufte.
Ich wartete stumm und zählte vor Arger die Anzahl der Kastanien,
die der dumme Junge für sein Geld erhielt. Es waren elf Stück.
Nun fehlte nur noch, daß ich für mein Geld weniger erhalten würde.
Das fehlte wirklich noch. blnd kann man sich vorftellen, daß ich
erwachsener Mensch deshalb ungeduldig wurde.

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Register
Hans E. Graven: Vergänglichkeit
Wilhelm Auffermann: Kaufen Sie Maroni, Sie!
Werner Paul Schmidt: Illustration zum Text "Kaufen Sie Maroni, Sie!"
 
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