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39. JAHRGANG

G E N D

1 9 3 4 / NR.5

C^j3eröliolel

Leide, die in Leder Losen
Kommen, werden ausgesloßen,

Leute, die zu Fuße kamen,
Degoutieren diese Damen,

Leute, welche Jodler plärren,
Molestieren diese Herren.

Leute, die mit offnen Hemden
Sich in die Gesellschaft wagen,

Die erregen nur Befremden
Und entschiednes Mißbehagen.

Hier trägt man nur Frack und Roben
Nach dem neuesten Modell
Wer hat dich, du Grandhotel.
Aufgebaul so hoch da droben?

Wolfgang Weber

-Apotheker Pilpel Ln der Sackgasse

von Wilhelm Lder

Drei Dinge werden den Apothekern nach-
gesagt: sie seien schrullig und verschroben; sie
seien peinlich und pedantisch gewissenhaft; sie
hätten ein besonders gut auSgebildeteö Riech-
vermögen.

An diesen drei Dingen gemessen war Franz
Pilpel in der Apotheke zum goldenen Löwen
ein vorbildlicher Vertreter seines Standes. Er
war so verschroben, versponnen und verson-
nen, daß selbst sein großer Kollege Ibsen
Freude an ihm gehabt hätte; er war so tüfte-
lig und genau, daß ihm jedes Rezept wahre
Freude bereitete, bei dem es besonders vorsichtige
Wägungen vorzunehmen galt; was endlich
das Riechvermögen anlangt, so verglich er sich
selbst gern mit einem Jagdhund.

Franz Pilpel waltete seit Jahr und Dag
in der Löwenapotheke, bekannt und beliebt in
der ganzen Kleinstadt. Obgleich er nicht der
schönste aller Apotheker war, sahen ihn auch
die Damen gerne. Daran war nicht nur seine
auskömmliche und fest begründete Stellung als
Apothekenbesitzer schuld, sondern noch anderes.
Pilpel war ein ausgesprochener Damen-
freund, hatte eine galante Art und war einem
kleinen Ratsch mit seinen Kundinnen niemals
abgeneigt. Endlich hatte Pilpel mit seinen
fünfunddreißig ein Alter erreicht, in dem es
nachgerade Anstandspflicht wurde, zu heiraten.
Das alles zusammen genommen, verlieh seiner
Persönlichkeit einen gewissen Reiz bei den
Damen, so zwar, daß man über seine lockeren
Liebesabenteuer großzügig hinwegsah.

Pilpel verstand es ausgezeichnet, seine Be-
liebtheit bei den Damen dein Geschäft nutzbar
zu machen. Aber in zwei Fällen hatte er sich
zu weit vorgewagt, wie er zu spät eingesehen
hatte. Da war der Apotheker dem Apotheker
im Wege gestanden. Eine seiner Apotheker -
eigenschaften, die kühle und tüftelige Pedan-

terie, hatte ihn zwar von Anfang an ge-
warnt, doch die beiden anderen, sein ge-
nießerischer Geruchsinn und seine romantische
Verschrobenheit, hatten die Oberhand gewon-
nen. Auf diese Weise war er in eine richtige
Sackgasse geraten, aus der er keinen Ausweg
sah. DaS verhielt sich nämlich so. Er hatte
sich in Hilde Dietrich, die Tochter des großen
Kolonialwarenhändlers, und in Anna Huber,
die Tochter des Eisenbahnoberinspektors, gleich-
zeitig vergafft. Beide junge Damen hatten
trotz ihrer Verschiedenheit manch Gemein-
sames:'sie waren hübsch bis zu den Beinen
herab und von einer duftigen, gepflegten Frische.
Hilde war schwarz und lebhaft, Anna
rothaarig und vornehm gelassen. Pilpel blähte
jedesmal die Nüstern, wenn eine der Damen
die Apotheke betrat, und machte beiden unbot-
mäßig den Hof.

Da konnte daS Verhängnis nicht ausbleiben.
Beide Damen glaubten an eine ernste Absicht

Dörflicher Schwatz

des verliebten Apothekers und so trat ein, was
zu erwarten war. Nun hatte er fast zu
gleicher Zeit von jedem der beiden Väter
eine Einladung erhalten. Der Herr Kolomäl-
warenhändler hatte ihn für Mittwoch, der
Herr Oberinspektor für Freitag eingeladen.
Das hieß: erkläre dich, Franz Pilpel? Aber
Pilpel hielt das Heiraten an sich für eine
Sache, die man möglichst langsam betreiben
muß, außerdem hatte er sich in den Kopf ge-
setzt, niemals und unter keinen Umständen ein
Mädchen vom hiesigen Ort zu heiraten.

Heute war Dienstag. Morgen war die
erste dieser Einladungen fällig. WaS tun? Der
milde Frühlingstag und sein sorgloses Leben
freuten ihn nimmer recht. Was tun? Ver-
schroben, versponnen und versonnen wie nur
je stand er in seiner Apotheke. So zerstreut
war er, daß er ztir Pfarrersköchin gnädiges
Fäulein sagte, was ihm ihre ewigen Sympa-
thien eintrug. Was tun?

Da schob sich, eine Schulter voraus, der
Girgl zur Türe herein. Der Girgl war ein
beschränkter Mensch und mußte im Hotel zur
Post allerlei kleine Dienste verrichten und
Botengänge tun. Er war ein richtiger ver-
soffener Depp und dafür bekannt, daß er allcS
verkehrt machte. Beim Anblick des Deppen
kam dem Apotheker Pilpel die große Erleuch-
tung. Er übergab ihm einen blanken Taler
und trug ihm auf, einen Blumenstrauß zu
kaufen, zu Fräulein Dietrich zu gehen und
folgendes auszurichten: Der Herr Apotheker
sei durchaus nicht betrübt über eine solch
schöne Einladung und lasse sehr danken. Girgl
mußte den Auftrag dreimal wiederholen, da-
mit er ihn nachher um so sicherer verkehrt
hersage, und wurde dann entlassen.

Girgl versoff den Taler umgehend, ging
dann vor die Stadt auf eine Wiese und
pflückte, was er gerade fand. In seiner Blöd-

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Register
Wolfgang v. Weber: Berghotel
Wilhelm Eder: Apotheker Pilpel in der Sackgasse
Alfred Kubin: Dörflicher Schwatz
 
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