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J u G E

3 9. JAHRGANG

N D

1 93 4 / N R. 7

Die langhaarigen Weltverbesserer deS TaipingaufstandeS hatten daS
Reich der Mitte fünfzehn Jahre lang in Feuer und Blut getaucht,
denn Taiping bedeutet großer Friede. Darnach mündeten auch diese
Zeichen und Wunder menschlicher bl nmen schlich keit wieder inS Meer
alltäglicher Grausamkeiten. So bekundet uns die Wissenschaft der Ge-
schichtsschreiber, die das Unerkennbare enträtseln möchte und an der
Gestalt des mächtigen Taipingkaifers herumdeutet, der auch nur —
nach seinem Borgeben — ein jüngerer Bruder Gottes war. Aber von
der Geschichte des Elfenbeinschnitzers Kang J)i zu Wutsang hat man
bislang nichts vernommen, weil sie sich außerhalb der Grenzen aller
Wissenschaft zugetragen hat.

Kang Ais himmlisches Geschäft auf dem Zwischenreich Erde war
eS, König und Heilige königlich und heilig aus dem Zahn des Elefanten
zu schnitzen — ein irdisches hatte er nicht. Dies sagt genug. Er saß
als unwirklicher Gast an der Tafel des Daseins — die köstlichen Welt-
geschcnke lagen ihm dauernd ungreifbar vor den Füßen. Monate
währte eS, bis er einen König oder einen Heiligen erschaffen, und
Jahre gingen hin, bis er das kleine erhabene Werk weit unter Wert
an einen königlichen oder heiligen Menschen verhandelt hatte. Denn
die Fabriken arbeiteten klugerweise billiger und schlechter, bind der
Künstler Kang Ai verstand die Welt nicht, wie sie ihn nicht verstand.

So fristete er denn die gesegneten Jahre, indem er einen Tag um
den andern armselig hinter sich brachte, in einem Stalloch der stünd-
lichen Not und jeglichem Wetter verbrüdert, hungernden Leibes mit
Mühsal und Krankheit kämpfend — so gaukelten ihm denn Hirn und
.Herz ein anderes Leben vor, umhegt von Haus und Garten, Fischteich
und Geflügelhof, in Gesundheit prangend an der Hand eines freund-
lichen Weibes, von fröhlichen Kindern durchspielt. DaS war beileibe
kein Mirakel — ihm gehörte nur ein Teilchen des Geschicks von
Millionen.

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Als aber der Taipingkaiser, der um aller Bestialität willen zur
blnzahl berühmter Menschen rechnet, auf seinem Blut- und Feuerzuge
nach Nanking die Stadt Wutsang schändete, stieg auch Kang Ai über
die Ungezählten empor. Eiligst ließ der jüngere Bruder Gottes die
Köpfe der Reichen in den Sand säbeln — er brauchte Geld. Darnach
wählte inan unter den liberflüssigen und Gefährlichen auch den Künst-
ler Kang Ai für die kurzbündige Hinrichtung. Wer Götter und Heilige
erschafft, ist der Kreatur zuwider.

Der wunderbare Kang Ai kniete ohne Scheu in den Schmutz des
Richtplatzes, während man die Genossen des Todes in Reihen nieder-
prügelte. Geheul, und Schreie stürzten über ihn zusammen. Man hatte
die Pfeifer und Trommler gespart. Er sah noch den Henker verzerrt,
ächzend und metzelnd gegen sich anschreiten — sein Herz starb — sah
die Köpfe vor sich unter den schweren Schlägen hinrollen, die Leiber
torkeln und wälzen. Er spürte noch ferne den roten TodeSmeister an
seiner Seite, wie er jetzt das blutrinnende, krumme Eisen hochriß —
und lächelte in diesem auslöschenden Augenblick —.

Ja — er lächelte, den Nacken tief gebeugt, der Gestalt des mäch-
tigen Mandarinen Jung Lu entgegen, der gestern oder ehegestern schon
wie irgendein Sterblicher geschlachtet worden war und nun doch
leibhaftig und überirdisch zugleich, mit strahlendem Knopf auf der
Mütze, durch das Türloch trat — in den Werkstall des elenden Elfen-
beinschnitzers Kang Ai. Draußen schwankten die verhangenen Sänften.
Die Diener huschten, vom demütigen Wind geblasen. Der vermögende
Jung Lu nahm die zauberlichen kleinen Bildwerke — hob mit vor-
sichtigen Fingern diese unvergänglichen Könige und Heiligen ins Licht

— gab sie den Dienern und winkte dem Hausmeister, der nun die
dicken Goldtaschen vor dem berühmten Meister Kang Ai niederlegte.

Ja — Kang Ai tanzte — glückskugelnd auf Füßen und Händen

— durch Tage und Monde! Er hatte endlich sein ihm gehöriges Leben

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Register
Robert Walter: Der Elfenbeinschnitzer
[nicht signierter Beitrag]: Zeichnung ohne Titel
 
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