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J U G

3 9. JAHRGANG

END

1934 / NR. 9

Von Hermann Hesse

^ r«er krumme alte Mann, ohne den ich mir die Falkcn-
gajse und die Stadt und meine Knabenzeit nicht
^.denken kann, war ein rätselhafter Mensch, über
depen Alter und Vergangenheit nur dunkle Ver-
mutungen im blmlauf waren. Auch sein bürgerlicher
Name war ihm seit Jahrzehnten abhanden gekom-
inen, und schon unsere Väter hatten ihn nie anders als Hotte Hotte
Putzpulver genannt.

Obwohl das Haus meines Vaters groß, schön und durchaus patrizisch
lvar, lag es doch nur zehn Schritt von einem finstern Winkel ent-
fernt, in welchem einige der elendesten Armutgassen zusammenliefen.
Wenn der Typhus ausbrach, so lvar eS dort; wenn mitten in der
Nacht sich betrunkenes Schreien und Fluchen erhob und die Stadt-
polizei, zwei Mann hoch, langsam und ängstlich sich einfand, so lvar
es dort; und lvenn eininal ein schweres Verbrechen geschah, so lvar
eS wieder dort. Namentlich die Falkengasse, die engste lind dunkelste
von allen, übte stets einen besonderen Zauber auf mich auS und zog
niich init gelvaltigem Reiz an, obwohl sie von oben bis unten von
lauter Feinden belvohnt lvar. Es lvaren sogar die gefürchtetsten von
ihnen, die dort wohnten. Ncan muß wissen, daß in GerberSau seit
Menschengedenken zloischen Lateinern und Dolksschülern Zloiespalt
und blutiger Hader bestand, und ich lvar Lateiner. Ich habe in jener
finstern Gasse manchen Steinwurf und manchen bösen Hieb auf Kopf
und Rücken bekomnlen und auch manchen auSgeteilt, der mir Ehre
eintrug. Nainentlich dem Schuhmächerle und den beiden langen Metzger-
buben zeigte ich öfters die Zähne, und das lvaren Gegner voll Ruf und
Bedeutung.

Also in dieser Gasse verkehrte der Hotte Hotte, so oft er mif seinem
kleinen Blechkarren nach GerberSau kain, waS sehr häufig geschah.
Wie soll ich ihn nur gleich beschreiben? Er war ein leidlich robuster
Zlverg mit zu langen und etwas verbogenen Gliedern und dummschlauen
Augen, schäbig und mit einem Anstrich von ironischer Biederkeit ge-
kleidet, vom ewigen Karrenschieben war sein Rücken krumm und sein
Gang trottend und schwer gelvorden. Man wußte nie, ob er einen Bart
habe oder keinen; er sah immer aus, als wenn er sich vor drei Wochen
rasiert hätte. In jener schlimmen Gasse belvegte er
sich so sicher, als wäre er dort geboren. Er trat in
alle diese hohen Häuser init den niedrigen Türen, er
tauchte da lind dort an hochgelegenen Fenstern auf,
er verschwand in die feuchten, schwarzen, lvinkligcn
Flure, er rief und plauderte und fluchte zu allen Erd-
geschossen und Kellerfenstern hinein. Er gab allen
diesen alten, schmutzigen Männern die Hand, er
schäkerte mit den derben, ungekämmten, verwahr-
losten Weibern und kannte die vielen strohblonden,
frechen, lärmigen Kinder mit Namen. Er stieg auf
und ab, ging auS und ein und hatte in seinen
Kleidern, Bewegungen und Redensarten ganz den
starken Lokalduft der lichtlosen Winkelwelt, die mich
mit wohligem Grausen anzog und die mir trotz der
nahen Nachbarschaft doch seltsam fremd und uner-
forschlich blieb.

Wir Kameraden aber standen am Ende der Gasse,

warteten, bis der Zwerg zum Vorschein kain und schrien ihm dann jedes-
mal das alte „Hotte Hotte Putzpulver!" in allen Tonarten nach.
Meistens ging er ruhig weiter, grinste auch wohl verachtungsvoll her-
über; zuweilen aber blieb er wie lauernd stehen, drehte dcn schweren Kopf
mit bösartigem Blieb herüber und senkte langsam init verhaltener Wut
die Hand in seine tiefe Rocktasche, waS eine seltsam tückische und drohende
Geste lvar.

Dieser Blick und dieser Griff der breiten braunen Hand lvar schuld
daran, daß ich mehrere Male von Hotte Hotte träumte, llnd die Träume
lvaren wieder schuld daran, daß ich viel an den Alten denken mußte und
zu ihm in ein sonderbares, verschwiegenes Verhältnis geriet, von welchein
er freilich nichts loußte. Jene Träume hatten nämlich iinmer irgend
etlvaS alifregend Grausiges und beklennnten mich loie Alpdrücken. Bald
sah ich den alten Hotte Hotte in seine tiefe Tasche greifen und lange,
scharfe Messer daraus hervorziehen, während mich ein Bann am Platz
festhielt und mein Haar sich vor Todesangst sträubte. Bald sah ich ihn
mit scheußlichem Grinsen alle meine Kameraden in seinen Blech karren
schieben und lvartete entsetzt, bis er auch mich ergreifen würde.

Wenn der Alte nun lvieder kam, fiel mir das alles beängstigend lind
aufregend lvieder ein. Trotzdem stand ich aber mit den andern an der
Gassenecke und schrie ihm seinen lilbernamen nach und lachte, ivcnn
er in die Tasche griff und sein unrasiertes, farbloses Gesicht verzerrte.
Dabei hatte ich freilich ein schlechtes Gewissen und wäre, solange er
um den Weg loar, um keinen Preis allein durch die Falkengasse ge-
gangen.

*

Von einem befreundeten, gastlichen LandpfarrhauS zurückkehrend,
lvanderte ich einmal durch den tiefen, schönen Tannenforst und machte
lange Schritte, denn es war schon Abend und ich hatte noch gute
anderthalb Stunden Weges vor mir. Die Straße begann schon stark
zu dämmern, und der ohnehin dunkle Wald rückte iinmer dichter und
feindseliger zusammen, während oben an den hohen Tannenstämmen noch
schräge Strahlen roten AbendlichteS glühten. Ich schaute oft hinauf, ein-
inal auS Freude an dem weichen fchönfarbigcn Licht, und daun auch auS
Trostbedürfnis, denn die rasche Dämmerung im stillen, tiefen Walde legte
sich bedrückend auf mein elfjähriges Gemüt. Ich lvar
gewiß nicht feig; loann lväre je ein Lateiner feig
N ü c k e I gewesen! Aber hier lvar kein Feind, keine sichtbare
Gefahr — nur das Dunkelwerden und das seltsam
bläuliche, verworrene Schattengewimlnel des Wald-
innern. llnd gar nicht lveit ron hier gegen Ernst-
mühl abwärts, . war einmal einer totgeschlagen

worden.

Die Vögel gingen zu Nest; eS wurde still, still, und
kein Mensch war auf der Straße unterwegs, außer
mir. Ich ging möglichst leise, Gott weiß warum, und
erschrak, so oft mein Fuß wider eine Wurzel stieß
und Geräusch machte. Darüber wurde mein Gang
immer langsamer statt flotter, und meine Gedanken
gingen allinählich ganz ins Fabelhafte hinüber. Ich
dachte an den Rübezahl, an die „Drei Männlein im
Walde" und an den, der drüben am Ernst:nühler
Fußweg umgekommen war.

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Register
Otto Nückel: Zeichnung ohne Titel
Hermann Hesse: Hotte Hotte Putzpulver!
 
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