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J u

3 9. JAHRGANG

egegnung

iwi

Von Georg Schwarz

Wolkenhaft beginnt die Luft zu wogen,

Nebel rauscht und überschwemmt das Land,
Schatten kommen übers Feld gezogen,

Scheinen von der Finsternis gesandt.

Haupt und Schultern, die sich erdwärts neigen,
Suchen Wege, die jetzt nicht mehr sind,
Abgeschiednen gleich, die sich uns zeigen,
Gehn sie lautlos durch den Nebelwind.

Schatten bleibend werden sie nur blässer,
Scheinen in der Ferne fast — zu stehn,

'Tiefer in das neblige Gewässer
Steigen sie, zerrinnen und vergehn.

N D

1 9 3 4 / NR, 12

DER SC IUI ATT IE IM

Von Arnold Weiß-Rüthei

Während der Zeit seines Aufenthalts in Florenz hatte Raffael von
Urbino einen Freund, der gleichzeitig fein erbittertster Gegner war.
Benvolio Dandolo hieß er, ein Nobili aus Venedig. Er batte Raffael
bereits in Perugia kennengelernt und seine Begeisterung für den Künstler
soll so groß gewesen sein, daß er nicht nur wie dieser sich kleidete, wie
dieser sich gab, ...sondern eines Tages sogar anfing, selber zu inalen.
Sein Talent, das sich durch eine vollkommene Llnoriginalität auSzeich-
nete, befähigte ihn zu einer oft täuschenden Nachahmung der raffaeli-
tischen Malweise; da eö ihm jedoch an einem eigenen Gestaltungs-
vermögen völlig gebrach, beschränkte er sich auch bezüglich der Kom-
position auf die Einfälle seines Meisters, so daß er Zeit seines Lebens
nichts anderes zustande brachte als geschickte Kopien.

Raffael liebte Benvolio seiner Heiterkeit und possierlicher! Treue
wegen; er duldete ihn mit jener vornehmen Freundlichkeit, von der
Dasari berichtet, sie sei eine unwiderstehliche und bestrickende gewesen . . .;
wohingegen der junge Aristokrat seine Abhängigkeit von dem Künstler
— seiner Neigung zum Trotz — als eine oft unerträgliche und würde-
lose empfand.

Intelligent von Natur, wohlgebildet und durchaus geeignet, ein ver-
gnügliches Dasein auf eigene Rechnung zu führen, beleidigte eS seinen
Stolz, sich selbst auf Schritt und Tritt dabei ertappen zu müssen, wie
er durch irgendeine Gebärde oder Redewendung, die nicht seine eigene
!var, die Erinnerung an sein stadtbekanntes Vorbild fortgesetzt wachrief
und dadurch seinen Ruf als „der Schatten des Raffael" bis zu einer
etwas skurrilen Berühmtheit erhöhte. Da eine jede Manier — oder
Unmanier, wie man will — in dem Augenblick, da sie erst einmal zu
einem Bestandteil der eigenen Natur und Überzeugung geworden ist,
sich in dem Maße verstärkt, als man bemüht ist, sie zu unterdrücken,
war es weiter kein Wunder, daß der junge Mensch auf den mysteriösen
Gedanken kam, das andere, zwecklose Ich jenes Künstlers zu fein; ein
sinnloses Duplikat, das aus irgendeinem unerfindlichen Grund von der
boshaften Dame Natur geschaffen worden war und offenbar keine
andere Bedeutung hatte, als die Interessen der Öffentlichkeit auf eine
geniale Persönlichkeit zu lenken, auch wenn diese Persönlichkeit gerade
nicht anwesend war. Öfter als einmal hatte deshalb Benvolio den Ent-
schluß gefaßt, Florenz zu verlassen, da er sich einbildete, daß nur eine
räumliche Entfernung von dem Freund ihn von der leidigen Marotte,
denselben in jeder Beziehung nachzuahmen, befreien konnte. Da jedoch
seine Abhängigkeit und daS Bedürfnis, dm Künstler in seiner Nähe zu
wissen, bereits mächtiger waren, als seine persönlichen Absichten, und

da er obendrein sich erhoffte, eines Tages gleichfalls als Künstler gewür-
digt und anerkannt zu werden, verschob er diese dringende Abreise
beharrlich und blieb auf diese Weise nahezu vier 3aF)re lang daS, was
zu fein ihn ein böswilliges Schicksal zwang: der Schatten des Raffael.

Einmal jedoch geschah es, daß ein Ereignis von geradezu ergreifen-
der Tücke Benvolios Absicht bis zur Tat reifen ließ und er sich
grimmigen Herzens auf ein Landgut außerhalb Firenzes zurückzog.

Der äußere Anlaß zu diesem Entschluß wurde gebildet durch eine
Kritik des Kardinallegaten Zsygmondi an BenoolioS Bildern! Der hohe
Herr hatte Raffael Santi darum ersucht, ihm eine größere Kollektion
von Gemälden zu schicken, da er gesonnen sei, mehrere davon zu
erwerben.

Raffael, der ein Spaßvogel war, lud Benvolio ein, sich an der
Erledigung dieses Auftrags zu beteiligen; und zwar in der Weise, daß
nur ein Teil der Sendung aus Bildern von Raffael bestehen sollte, der
andere, größere Teil hingegen aus solchen, die Benvolio gemalt hatte.

Der junge Mann erklärte sich einverstanden!

Da seine Art zu malen nichts anderes war, als eine sklavische Nach-
ahmung des begnadeten Meisters, verpfändete er seinen Kopf dafür,
daß der Kardinal keinen Unterschied »vahrnehmen würde.

Um so größer war indes seine Verwunderung, als der Legat lvenige
Tage später einen Teil der Gemälde zurücksandte und dem Empfänger
in einem Begleitschreiben zu verstehen gab, daß er an diesen Bildern
den „heiligen Geist des Genies" sehr vermisse...!

Benvolio geriet in Wut!

Da es ausnahmslos seine Tafeln waren, die das kunstgeübte Auge
des Kardinals als Plagiate entlarvt hatte, schwur er heilige Eide, nie
mehr in seinem ganzen Leben einen Pinsel zu berühren. . . und verließ
rvütend Florenz.

DaS Landgut) auf daS er sich begab, um hier völlig unbeeinflußt
von der Persönlichkeit Raffaels ein neues und womöglich eigenes Leben
zu beginnen, lag am Gehänge eines Weinbergs, dessen Besitzer Umberto
Kanäle hieß und ein kleines, idyllisch gelegenes Häuschen besaß
— gegenüber der Villa, die Benvolio Dandolo bewohnte.

Bereits in den ersten Tagen seines Aufenthalts in dem schönen Exil
bemerkte der seltsame Flüchtling, daß in jenem HauS gegenüber nicht
nur der alte Kanäle logierte, sondern auch ein entzückendes Wesen ...
ein Mädchen von so vollendeter Anmut und Schönheit, daß Benvolio
keine Gelegenheit, es zu sehen, versäumte und oft stundenlang auf der
Lauer lag nach dem lieblichen Wildpret. Jeden Morgen, wenn die

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Georg Schwarz: Begegnung im Nebel
Arnold Weiss-Rüthel: Der Schatten
 
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