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klaren Farben zumitten des Lichtscheins. Die
Flügel tragen dunkelblau bestäubte, hell um-
randete Augenflecke; zwei leuchtende, buschige
Fühler gehen auf und ab.

Wie schon, daß ich mir Zeit vor der Arbeit
nahm, wie schon, daß ich Zeit zum Betrachten
dieses Wunders habe. Nun hat die Stunde
doch ihre Bedeutung gewonnen! Ich neige mich
liebevoll über, beschaue den Gast näher und
näher und eS kommt bei der Betrachtung der
Herrlichkeit seiner Farben wie ein Rausch —
Rausch gleich wie bei einem Lied, über mich.
Es ist auch, als brennten die Flügel, je länger
daS Licht darauf fällt, je mehr ich mich in sie
versenke, um so leuchtender. Ein Wunderspiel
sind sie, für wenige Augen geschaffen und nur
auS herrlicher, verschwenderischer Schöpfer-
laune geboren. Immer inniger, wie ein Ver-
liebter, betrachte ich diese Pracht.

Sonderbar ist'ö: wie ich noch darüber nach-
denke, umschwirrt es mich wieder, kommt ein
zweiter dieser seltenen Falter, und im nächsten
Augenblick ein dritter und nehmen unbekümmert
vor mir Platz. Sie stören mich ein wenig in
meiner Andacht; unbehaglich sehe ich zu, wie
sie einander betasten, wie sie sich begrüßen —
ach, jetzt habe ich'ö eifersüchtig begriffen! Der
erste Besuch, in den auch ich mich versah, war
ein Mädchen; nun stellen die Ritter sich ein.
Ich lächle, aber ich bin nicht mehr so froh
wie zuvor; ich hätte mit meinem ersten Gast
allein bleiben mögen.

Da ist die Falterjungfer blitzschnell auf-
gefahren, stößt dumpf gegen die Scheiben,
kreist in den Lampenschein zurück und hockt be-
täubt vor mir nieder. WaS wollte sie? Ach,
ich begreife, ihre Schönheit ist nicht für mich
gewachsen; ihr Kommen war ein Gruß, — ich
weiß nicht auS welchem Geist. Kein Recht
habe ich, mehr als die flüchtige Lust dieser
Farben zu spüren. Seufzend wende ich die
Augen ab, gehe zum Fenster, öffne es und
kehre leise, mit einem verzichtenden Lächeln
zum Tisch zurück. Mein schöner Gast wartet
noch immer zwischen den beiden Werbern, eS
ist, als wollte er mich noch einmal anschauen
heißen. Dann kommt ein Strom Nachtluft
zum Fenster herein und auf einmal beben die
unbeweglichen Flügel — ein Schwirren —
nein, ein vielfaches Schwirren, und drei Schat-
ten huschen auf und in die Dämmerung hin-
aus, pfeilschnell. —

So, jetzt darf ich das Fenster schließen, jetzt
darf ich den Laden vortun. Vorbedeutung,
denke ich lächelnd. Ist'ö so, daß ein Mädchen
kommen und zwei Werber sie holen werden?
Ein wenig bedrängt und vereinsamt fühle ich
mich und bin doch fröhlich.

Oder ist's nur an dem, daß die Landschaft
einen Boten sandte und viele Augen warteten,
wie ich den Gruß aufnähme, ob ich gut und
freundlich, begehrlich oder gleichgültig sein
würde? Aber eS ist mir, als hätte ich mich vor
den vielen Augen und vor den Linden und vor
den Wolken und vor dem Wind bewährt und
die bräunliche Freundin berichtete denen da
draußen — wem doch? Seufzend, nachdenk-
lich, abergläubisch, froh und doch zufrieden
ziehe ich das erste weiße Blatt zur Arbeit in
den Lampenschein.


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NEUBAU

Das alte Haus war morsch. Man riß es ein.
Ergraute Wände fielen. Schiefe Stiegen
zerprasselten zu Bruch aus Holz und Stein.

Es gab viel Schutt. Er blieb nicht lange liegen.

Man fuhr ihn ab und brachte Bauzeug her.

Für neuen Grundriß ward das Maß genommen.
Und eines Tags dann in der Frühe klommen
Gebälke hoch und stiegen kreuz und quer.

Neubau will aufwärts und er ruft die Hände,
die Arbeit wollen und die Arbeit brauchen.
Vor Sommers Ablauf wird aus dem Gelände
hoch auf der First des neuen Hauses tauchen.

Mit starken Mauern und in hellen Räumen
wird es das Leben vieler Menschen hegen,
die nach der Heimkehr von den Tageswegen
in guter Obhut essen, lieben, träumen.

Walther C. F. Lierke

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Register
Walther C. F. Lierke: Neubau
Albert Burkart: Gerüstbau
 
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