Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3 9. JAHRGANG

19 3 4

NR. 30

CI - /

^Jang in c/<

(f^ruhlmc

VON MAX F. BEVERN

Schon lächeln die ersten Bolen des Frühlings!

Aber, wenn verfallnes Gemäuer sich grünend umsäumt,

So fiedelt der Lenz erlösend auf lockender Geige,

Bis seine dunklen, purpurnen Töne alles zum Blühen erweckt

Bläue des Himmels wird tiefer, und goldner der Tag,

Und Abend legt seine sinkende Stirne in wärmendes Rot.

Frostige Dinge entwandern wie schauernde Winde,

Die das Vergilbte der Zeit in heimliche Meere verweiln.

Ileilrer wird der beklommene Fluß, der grämlich die Ufer

besenwalz

Und froher der dürftige Anger, daß selbst den trüblichen
Kirchhof ein tröstliches Leuchten verschönt, wie Sterne die Nacht.
Weiß betet ein Baum. Sanft flötet die Amsel. Ein Hirte
Sinnt, mit gefalteten Händen, vom Wunder des Werdens berührt.
Glocken entführen, wie Träume, die Herzen zu seligen Höhen.

Und der Schauende sieht schon die Früchte des Jahres in heiliger

Hut;

Ihm hellt sich, wie rosige Frühe des Morgens, die Seele,

Und Blitze der Ahnung entschleiern die Tiefen göttlichen Seins

te

EINE LAUNE DER MARCHESA

VON PETER SCHER

ie Marchesa Roccabuone hatte es diesen Morgen
gründlich satt, sich daS Frühstück ans Bett bringen
zu lassen. Sie verließ schon in aller Frühe den
Palazzo in der vornehmen Dia Corsica. In einiger
Entfernung nahm sie ein Taxi und ließ sich geraden-
wegs nach der Dia San Lorenzv fahren, wo es
bestimmt nicht vornehm Zugeht. Sie bezahlte den
Chauffeur, der vor der schönen Erscheinung wie Eis an der Sonne
schmolz, und bog nun mutig in Straßen ein, die sich keines besonderen
RuseS erfreuen.

Alles interessierte sie. Einer zerlumpten Gestalt, die auf einer Treppe
schlief, zauberte sie ein Fünflirestück in die Tasche, einem Straßen-
händler kaufte sie Schnürbänder ab, und als sie eine Gruppe lebhaft
debattierender armer Teufel sah, blieb sie stehen tind hörte aufmerksam
zu. Ihre Teilnahme war so echt, daß sie unwillkürlich gestikulierte.
Erst als die vornehme Gestalt Aufsehen zu erregen begann, ging sie
rasch weiter. Eine dicke alte Frau in Lumpen rief ihr ettvaS Unschönes
nach.

An der Piazza Sarzana blieb die Marchesa vor der Auslage eines
kleinen Damenfrisiersalons stehen. Es schlug zehn Uhr. Die Marchesa
fühlte sich frisch und heiter. Sie empfand große Lust, etwas zu unter-
nehmen. Aus dem Lädchen hörte man fröhliches Mädchengeschnatter.
Die Dame entsann sich, gehört zu haben, daß dies die Gegend der
beutesuchenden kleinen Straßenmädchen sei. Wie — wenn auch die da
drin Frauen dieser Art wären? Eine Neugier nahm die Marchesa
gefangen.

Ob ich es wage, hineinzugehen?

Ist es nicht doch unmöglich?

Lächerlich — einer Marchesa ist nichts unmöglich. Ich will hinein-
gehen — um jeden Preis!

Sie sah empor. Auf dem Schild stand der Name Giovanni Battista
Barbagelata.

Der Name amüsierte sie königlich.

Sie trat ein.

Ein Stübchen von zehn Fuß im Ouadrat — mit Menschen und
Dingen vollgestopft, ein Stimmengewirr tind Gelächter, heftiger Par-
fümgeruch — die Marchesa prallte zurück.

Aber schon rief Signor Barbagelata, der in eigener Person eines
dek Dämchen unter dein Kamm hatte, die gnädige Frau möge nur
unbesorgt nähertreten. Die Friseursfrau schwang geschickt einen Stuhl
hinter einem Vorhang hervor, und die Marchesa saß, ehe sie noch
recht wußte wie, zwischen den lustig plaudernden Mädchen.

Alles ging so einfach und selbstverständlich, daß die große Dame
aus der Dia Corsica sogleich empfand, hier werde sie sich in der
gewünschten Art entspannen können, kl in für diese Übung Zeit zu
gewinnen, verlangte sie Dauerwellen.

„Aber gewiß — mit dem größten Vergnügen, Signora", sagte der
Meister, „nur einen kleinen Moment Geduld".

Die Marchesa hätte keine Italienerin sein müssen, wenn sie nicht
gewußt hätte, daß der kleine Moment einen ganzen Vormittag bedeu-
ten ivürde. Aber das war ihr gerade recht. Sie setzte sich bequem hin
tind begann, das Milieu zu sttidieren.

Die Mädchen, deren fröhliches Geschnatter sie angelockt hatte,
betrachteten nach italienischem Brauch die Signora genau so eingehend,
wie diese sie abschätzte. Das Resultat fiel zur beiderseitigen Zufrieden-
heit auS.

Es sind kleine Mädchen von der Straße! dachte die Marchesa
entzückt.

Sie ist eine Dame! dachten die kleinen Mädchen geschmeichelt.

Die Konversation ging unterdessen weiter.

Die blonde Signorina Palmira (mit dein im ganzen Bezirk bekann-
ten Beinamen La Bionda) erzählte von ihrem Freund Baccicia, der
nach wie vor nett zu ihr sei und ihr erst kürzlich ein Abendkleid
geschenkt habe, mit dem sie in fRgli direkt einen Sensationserfolg hatte.
Na, er habe es ja auch dazu. Er fei verliebt, wie je — „denken Sie,
meine Dame — nach fünfjähriger Freundschaft!" wandte sie sich stolz
an die Marchesa.

306
Register
Max F. Bevern: Gang in den Frühling
Peter Scher: Eine Laune der Marchesa
 
Annotationen