Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
J U

3 9. JAHRGANG

Beliebt war Dr. Holthusen in Nevenbeck
wirklich nicht. Man sah ihn niemals am
Stammtisch im „Goldenen Reiter", an dem der
Amtsrichter, der Apotheker und der Bürger-
meister verkehrten. Man wußte, daß er eine
gottgesegnete Grobheit mit aus die Welt bekom-
men hatte. Allerdings nur zu Mannsleuten,
bind doch meinten alle, er sei ein geschickter
Arzt, auch wenn er ein Sonderling war. Zu
den Frauen war er so ganz anders, Und da
hatte ihm ja niemand hineinzureden, denn Dr.
Holthusen war Junggeselle, und wovon sollten
schließlich die Bürgerfrauen in Nevenbeck sonst
beim Kaffeeklatsch reden, als davon, daß sich
der Dr. Holthusen wieder einmal ein neues
Dienstmädchen angeschafft habe.

Diesmal war es die Antje GrothuuS. bind
die war kaum ein paar Monate bei dem
Doktor, da hatte sie sich ordentlich heraus-
gemacht, trug fast so schöne Kleider wie Nelli
Feddersen, die Tochter von Peter Feddersen,
der das große Kaufhaus am Markt besaß.
Selbst ein Ring mit einem blauen Stein steckte
an ihrem Finger, und der alte Fischer GrothuuS
konnte sich gar nicht genug tun, wie gut eS
seine Tochter bei dem Arzt habe. Ja, die Frau
GrothuuS hat neulich sogar der Frau Lehrer
Mommsen, die gerade Aale bei ihr kaufte, er-
zählt, ihre Tochter wäre gar kein Dienstmäd-
chen im Arzthaus, mehr eine Hausdame.. .
Man könne noch nicht davon reden, aber der
Doktor werde immer älter und es sei gar nicht
heraus, ob die Antje nicht schließlich doch ein-
mal die Frau Dr. Holthusen werde...

Zu dem Fährmann Hein Lorenzen, der
früher einmal mit der Antje gegangen war,
sagte sie daS freilich nicht, der hatte feine
eigenen Gedanken über den Arzt und die Antje
und war seit der Zeit auf den Doktor Holt-
husen nicht gut zu sprechen.

Die Inge Franzius, Antjes Vorgängerin,
war daS noch, weniger. Die hatte schließlich
fünf Jahre lang bei Doktor Holthusen wie
ein Pferd gearbeitet und dann auf einmal war
sie gegangen.

Doch vielleicht war die Antje GrothuuS un-
klug gewesen und hatte zu sehr auf ihre ge-
heimen Pläne mit dem Doktor angespielt.
EineS Tages hatten die Kaffeeschwestern in
Nevenbeck wieder Gesprächsstoff. Die Antje
war ganz plötzlich entlasten worden und daS
neue Mädchen stammte nicht aus Nevenbeck,
nein, aus der nahen Großstadt und war mit
dem Doktor bei Nacht und Nebel im Motor-
rad angekommen.

DaS hatte die Antje nun davon. Jetzt saß
sie bei ihren Eltern und heulte denen die Dhren
voll. Der Doktor Holthusen wiederum war
recht froh, daß sich alles so glatt gelöst

G E

Drama am Meer

von f)flns £crd)

hatte und wunderte sich eigentlich im stillen,
wie wenig eifersüchtig hier oben daS Weiber-
volk war. .. Erst die Inge, dann die Antje.

„Fischblut bleibt Fischblut", knurrte er vor
sich hin und mußte an Hein Lorenzen denken.
Den hatte er unten am Hafen getroffen, wie
er dort faul wie eine Trantonne auf einer
Bank lag und in die Sonne döste, die abend-
müde auf das bleigraue Meer schien.

„Na, Lorenzen, wie gehtS euch?" hatte er
gerufen.

Der Fährmann hatte, feine kleinen, loa ster-
blauen Augen aufgesperrt und geantwortet:
„Meinen Sie mich oder die Antje? Die haben
Sie ja zuerst so fein untergebracht, daß sie
nichts mehr von mir wissen wollte..."

„Was wollen Sie damit sagen, Lorenzen?"
war der Doktor hochgefahren.

„WaS ich damit sagen will? Daß ich nicht
gern ein GlaS Bier auStrinke, das ein anderer
stehen ließ..."

Da hatte der Doktor gemacht, daß er in
seine Sprechstunde kam.

blnterwegS kam jemand euch ihn zugelaufen,
riß an seinem Rock, zerrte ihn mit sich und

Scherenschnitt J. Hahn

rief: „Herr Doktor, Herr Doktor... die

Antje..."

Genau denselben Weg mußte Dr. Holthusen
zurück. Don weitem schon sah er am Kai ein
Menschengewimmel. Als der Arzt an der
Schiffbrücke angelangt war, trug Hein Loren-
zen gerade ein triefend nasses Kleiderbündel
an Land.

N D

1 9 3 4 / N R. 2 1

Das war die Antje. Ihr Kopf hing leblos
hintüber. Aus dem langen, blonden Haar troff
das Wasser.

„Sie ist seit heute morgen auf und davon",
heulte der alte GrothuuS loS.

Holthusen stand wie ein Stock und stierte
auf den winzigen Leberfleck am Hals der
Toten.

„Sie ist mit dem Boot hinaus", knurrte der
Fährmann.

„blnd da hat sie wohl eine Bö erwischt",
sagte der Arzt mit einer seltsamen Stimme.

„Jawohl, eine Bö!" rief Hein Lorenzen,
und hatte glitzernde Augen. „Sie waren kaum
gegangen, da sah ich daS Boot Umschlägen und
bin hinüber..."

Der alte GrothuuS wischte sich die Tränen
aus den Runzeln.

„Es war ein braves Mädchen, Herr Doktor!"

„Weiß ich, GrothuuS, weiß ich ...", mur-
melte der Doktor und wandte sich zum Gehen.

Da stand jemand vor chm. Inge... Er sah
ihre Augen seltsam flackern. Um ihren Mund
stand ein harter, trauriger Zug. Sie grüßte
den Arzt nicht und wandte sich nur ab.

Tage flössen dahin. Der Herbst kam. Der
Nordost zerstiebte mit scharfen Stößen die
Wellen an den Duadern des Kais, türmte
graue, drohende Wolken am Himmel auf, ließ
kalten Regen auf die Schindeldächer prasseln
und polterte in den Kaminen. Die Nächte
brachen schon früh herein. Als der Arzt an
einem Nebelabend auf seinem Motorrad von
einer Landtour heimkehrte und der Schein-
werfer sich mit breitem, dreieckigem Lichtkegel
in die ersten Nebel bohrte, sah er am Land-
straßenrand auf einmal zwei Gesichter, die wie
aus Marmor sich aus der Nacht reckten ...
Inge Franzius und Hein Lorenzen .. .

„Er hat sich also abgefunden", dachte Dok-
tor Holthusen zuerst und hatte doch Mühe,
jene Willensstärke Verachtung aufzubringen,
deren er sich sonst so gerne rühmte. Zu Hause
saß er lange vor dem Schreibtisch und starrte
vor sich hin. Draußen hatte sich der Sturm
aufgemacht und fauchte um daS HauS. Ge-
sichte standen um ihn. Da war der bleiche
Kopf der Antje GrothuuS, nein, er zerfloß zur
Fratze, aus der auf einmal die kleinen Augen
des Fährmanns Lorenzen tückisch aufglitzerten.

Ihn fröstelte auf einmal. Lange lag er ohne
Schlaf im Bett. Da schrillte die Nachtglocke,
kaum daß er in einen schweren Schlaf ge-
fallen war. Er sah zum Fenster hinaus.

„Wer ist da ...?"

„Ich, Lorenzen..."

„Was ist denn los?"

„Herr Doktor, der Aßmusten drüben in
Eddelstädt hat den Arm gebrochen. Er ist auf

322
Register
Julie Hahn: Scherenschnitt
Hanns Lerch: Drama am Meer
 
Annotationen