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J U G

3 9. JAHRGANG

END

1 9 3 4 / N R. 2 Z

33 ol' l>it Cfinqanqötür des Reuleckschen
Hauses hielten die fünf Hurvnen unter der
alten Ulme, die fast bis an den zweiten Stork
des Hauses reichte.

„Der schnelle Hirsch wird nicht inehr weit
laufen", lächelte Rivenoak, der Häuptling.
„Ist mein Bruder Magua sicher, daß es llnkas
ijt, der sich in der Felsenhöhle-verbirgt?"

Magua neigte das Haupt. „Meine Brüder
muffen sehr vorsichtig sein, eS ist der letzte
Mohikan — ich sah daS Zeichen seines Stam-
ineS auf seiner Brust, die blaue Schildkröte."

„llnkas", zischte der schwarze Panther in
lvildem Triumph, daß alle seine Zähne blitzten,
„wer lvird seinen Skalp am Gürtel tragen?"

3luf einen Wink des Häuptlings verschwand
Chinga, der fliegende Marder, um die Erke,
kletterte am Spalier hoch und sprang in ein
Zimmer. Er horchte, schloß von innen ab und
schlich ins nächste Zimmer, schloß ab und schlich
lautlos weiter.

Mingo, der rote Rabe, war um die andere
HauSeeke geschlichen und faßte Posto an der
Hintertür; ihm folgte Ntagua auf einen Wink
RivenoakS, während der Häuptling selbst mit
dem schwarzen Panther ins Haus sprang. Laut
gellte sein KriegSruf, aber alles blieb still.

Rivenoak lächelte und hob an zu singen, daß
seine Stimme von den Steinwänden lvider-
hallte: „Möge der letzte Mohikan sein ruhm-
reiches Haupt erheben, möge der letzte Sohn
der Schildkröte mutig dem Tod ins Auge
schauen! Die Söhne der Schlange erwarten ihn
am dunklen Tor, daS in die Iagdgründe des
großen Geistes führt — er kann ihnen nicht
entgehen!"

Schweigen, klnd dann sang eine ferne
Stimme, sie schien aus der Tiefe der Erde zu
kommen. ,,^n dunkler Höhle hat sich der
schnelle Hirsch verfangen, eS bleibt ihm kein
Weg — gegen das Antlitz der tapferen Huronen
muß er sich kehren! Aber noch ist Manitto bei
ihm, der Geist der großen Wälder. Noch
rauschen die Bäume, noch ragen die grauen
Felsen, noch gedenkt klnamiS letzter Sohn die
Sonne zu sehen .— seine schnellen Füße wer-
den den Weg finden auf die höchste Klippe hin-
auf, unter der ein tausendjähriger Baum steht,
und blnkaS wird den Sprung in den Abgrund
tun — den wagt kein Hurone!"

Ein heulendes Hohngelächter antwortete.

IlnkaS saß im schmalen, dunklen Gang auf
denL Steinboden, die Arme um die Knie ge-
schlungen, und horchte nach oben. Plötzlich trat
Stille ein — er kam mit einein lautlosen Ruck
in die Höhe und landete mit einem katzengleichen

HJ ^ K AV 8

VON MARTHA ROEGNER

Sprung Lind Klimmzug auf einem Schrank,
der ziir Seite stand; eng zusammengekrümmt
sah er Rivenoak unter sich vorbeistürinen, dann
Magua, dann Chinga — hinten drehte
Rivenoak schon lvieder Lim, da sprang llnkas
dem schwarzen Panther über den Kopf und
stürmte nach oben. Die Haustür war ver-
schlossen — hinauf! Sie folgten mit gellendem
Triumphgeheul — im ersten Stock stand
Mingo Lind schraubte den Fensterriegel aus,
blnkas versetzte ihm einen Stoß, daß er in die
Ecke flog, Lind stürmte iveiter hinauf. Die fünf
waren ihm dicht auf den Fersen, aber im zwei-
ten Stock stand das Fenster weit offen — und
mit langem Satz war blnkaS hinaus.

Draußen schrillte ein gellender Schrei, aber
blnkaS hörte ihn nicht — er erhaschte mit einer
Hand einen Zweig, und daS riß ihm fast die
Schulter aus, im nächsten Augenblick schlLig er
mit dem Rücken auf einen Ast und dachte, er
habe sich das Kreuz gebrochen, Lind dann
raffelte er durch s Geäst hinab Lind konnte sich
ZLiletzt nicht mehr festhalten, weil er sich die
Handflächen abgeschunden hatte, dann bekam
er noch einen Hieb ins Genick Lind blieb unten
bewußtlos liegen.

Nur lvenige Sekunden — die Verfolger
waren noch nicht zu sehen, als er schon wieder
hochkippte und sich zur Gartentür wenden
wollte — da erschrak er heftig. Dort war ein
Menschenknäuel — Lind dort lag seine Mutter,
ohnmächtig. Sie hatte Frau Reuleck besuchen
wollen und kam eben im rechten Augenblick zur
Gartentür herein, um den tapferen Mohikan
von der Felsenklippe springen zu sehen.

Eie konnte sich nicl)t so bald wieder von dem
Sturz ihres Sohnes erholen, mußte im Wagen
heimgefahren werden und war abends noch sehr
schwach und elend, klnd nun bezog blnkas von
seinem 33ater eine Tracht Prügel, wie er noch
keine besehen hatte, und daS will viel sagen.
Diesmal dachte er wirklich, er müsse den Ge s!
aufgeben, denn er war ja von dem Sturz durch
die kllme .so hart Lind vielfach beschädigt, das;
er cher den Medizinmann nötig gehabt hätte.
Aber er gab keinen Ton Lind verzog keine
Miene — klnamis Kinder leiden stolz und
schweigend, aLich wenn sie erst kleine Knaben
sind. —

Er hat eS noch monatelang gefühlt. Aber
drei Tage nach seiner ruhmvollen Tat feierten
sie heimlich ein großes Fest ihm zu Ehren, denn
er hatte ja gewonnen, er war ja wirklich und
unzweifelhaft entwetzt. ^n RivenoakS Wigwam
wurde das Fest gefeiert, Lind er war eS auch,
der eS finanzierte, denn er war der einzige Sohn
seiner verwitweten Mutter, die ihn zärtlich ver-
wöhnte. klnd diesmal ging's hoch her! D großer
Geist, LvaS gab es da für Leckerbissen, blnd
klnkaS wurde von allen Seiten gefüttert, bis er
nicht mehr konnte; sie sangen Heldenlieder ihm
zu Ehren und weissagten ihm glorreicche Zu-
kLlnft. „ Jm nächsten Kriege", pries ihn Magua,
„lvird mein Bruder lünkaS der erste Häuptling
seines 33olkes lverden!"

IlnkaS ließ seine Kulleraugen reihum gehen
Lind rümpfte seine verkehrt indianische Nase.
„Soldat", mummelte er mit vollen Backen,
„ja, Soldat lvollte ich am liebsten werden, aber
was inacht man denn da bloß, solange kein
Krieg ist?"

„Hei", schrie Chinga, „ich würde zum Zir-
kus gehen an deiner Stelle, als Trapezkünstler!"

blnkaS winkte ab und schluckte einen großen
Bissen. „Hab ich früher schon meinem Alten
vorgeschlagen, aber er sagt, ich bin nicht schön
genug dazu."

Rivenoak, das Muttersöhnchen, sah ihn
nachdenklich lächelnd an. „Väter sind manch-
mal roh", sagte er und steckte llnkaS eine
Knackwurst in den Mund.

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Register
Martha Roegner: Unkas
[nicht signierter Beitrag]: Illustration zum Text "Unkas"
 
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