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3 9. JAHRGANG

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FISCHER

VON WILHELM AU FF ERMANN

... Er verrenkte seinen 3uunpf, klemmte die
Kn'e aneinander und die Winde kreischte. Oie
Holzbalken bebten und knarrten bei der An-
strengung, während das Netz alluiählich ans
der Tiefe auftauchte.

„Nichts!" murmelte der Fischer, als der leere
Grund an die Oberfläche kam. „Nichts!" Die
Winde kreischte stärker. DaS Netz tauchte
wieder unter. In dem Schweigen hörte man
das Anschlägen der Flut gegen die Pfähle,
blnd die Sonne neigte sich cinf den Schädel des
Alten und nahm mit jedem Strahl ein Stärk-
chen vorn Leben des Alten mit.

Der Fischer Giardino war wohl der letzte
vom Pfahlbau?

Nun, ganz der letzte war er wohl nicht.
Marino, sein Enkel, war ja noch da. Zehn-
jährig. Frisch wie ein Fisch im Wasser.

Als Marino heimkehrte, sag Giardino noch
immer in der Sonne. Schlief. Die Fischkannen
aus Zinnblech waren leer. Er stand still und
lauschte dem Schlaf des Greises. Ilnd es war,
als lausche alles mit ihm. Das Netz, die Küste,
das Meer und der blaue Himmel. Zuletzt lachte
er und sagte: „Großvater, du fischt wohl im

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Da schlug der Alte die Augen aus, und wie
er noch so zwinkerte, floß alles in seine Augen:
das Netz, die Käste, das Meer und der Him-
mel und ein lachendes Kindergesicht. All das.

„Ja", sagte er, „.. . im Traum ... da fängt
man reichlich . . . waü die Wirklichkeit ver-
birgt."

„Im Traum?" wiederholte Marino, „nun,
Großvater, so fisch weiter, ich will warten!"
Aber Giardino stand aus und drehte die Winde.

„Nun, so bleibe doch", mahnte Marino.

Da murmelte Giardino: „Jetzt tuts nicht
mehr not..." und spuckte durch die Holz-
latten ins Wäger.

„ Warum Gro ßva ter? "

„Weil du wieder bei mir bist!"

Der Kleine sah ihm lustig ins Gesicht und
es dünkte ihm, als könne es nichts Schöneres
geben als das rote Gesicht mit dem wirren,
weißen Haar. Ilnd lächelnd schwenkten sie die
Kurbel und es hob sich das Netz und es senkte
sich daS Netz ... bis der Leuchtturm Löcher ins
Dunkle riß und der Mond verschlafen durch
die Wellen watete, da banden sie daS Netz am
Mast oben fest. Recht hoch hing das Netz,
und doch sah eS nicht viel durch die halbblinden
Fensteraugen der Hätte. Es sah nur Bündel
Seile und Stricke, Nägel und Pflöcke und den
halbzerfallenen Ofen. Auch das Bett sah es
und das Graue zwischen den Wänden.

„Du, Marino, was gibts Neues in der
Stadt?" kam es aus dem knarrenden Bett.

„Sie wollen nicht mehr, daß ich die Fische
und Muscheln in Kohlblätter wickle. Sie sagen,
ich soll sie aus runde Teller legen."

„Ilnd lvaS hast du gesagt?"

„Aber grün müssen sie sein oder blau!"

„Warum?"

„Weil das Meer grün ist und der Himmel
blau und die Fische ini Wasser."

'„O Gott, du hast recht, blnd die Fische und
Muscheln, wollen sie die auch anders?"

„Da haben sie im Hotel nichts davon gesagt."

„Sie können sie ja mit Gold färben!" Höh-
nisch lachte er aus: „Goldene Fische, hörst du,
Marino, goldene Fische, daS wären so die rich-
tigen für sie!"

Ilnd dann sagte er drängend: „Marino,
wenn sie das tun, wenn sie nur ein Stück vom
Himmel oder vom Meer kaufen, Marino,
dann hole Bepino und Oreste zurück, und wir
vier ziehen in die Stadt, und dann wollen wir
mit ihnen sprechen!"

„Aber Großvater, sei still, warum sprichst
du nur jetzt immer so hart?"

„Ach, frag nicht, du weißt eS ja doch: Sie
bauen Bäder und wieder Bäder. Die Fische
bleiben weit draußen und unsere Netze bleiben
leer."

„Wir hätten ja mit Bepino und Oreste
ziehen können!"

„Nun laß aber deine Rederei. Du wirst
wohl nie ein guter Fischer. — Streck dich und
schlaf. — Gute Nacht, Marino!"

Nach einer Weile rührte sich Marino im
Stroh. Ilnd leise wie aus dem Traum fragte
der alte Fischer: „Du, Marino, schläfst du
noch nicht?"

„Nein, Großvater, sie haben mir noch etwas
gesagt: aber bist du mir auch nicht böse?"

„So sagS schnell!"

„Bald sollen auch wir fort. Sie haben die
Klippen gekauft. Der Kellner sagt, sie wollen
auch hier bauen."

Mit einem Sprung war der Fischer aus dem
Bett und kauerte neben seinem Enkel.

„Mein Gott!" sagte er, „mein Gott!" —
er rutschte aus den Knien umher, tastete zit-
ternd hierher und dorthin.

„... blnd wir sind doch alle gleich, blnd wir
sind doch nur da einer für den anderen. Hörst
du, Marino? Einer für den anderen! Ilnd eS
gelingt uns nicht! Soll ich bitten, bitten...!
blnd so jammerte er weiter. Als' er fröstelte,
ging er stöhnend wieder ins Bett.

„Marino, komm her!"

Ilnd Marino kam zu ihm. Im Hemd.

„Großvater?!"

„Hörst du'S?" fragte Giardino. — Ein
silberheller, seltsam melodischer Klang drang
von außen herein und erfüllte die Hütte.

Sie lauschten. „DaS Meer schläft!"

Marino nickte. Der Fischer aber sah eS

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Wilhelm Auffermann: Fischer
Rubey: Illustration zum Text "Fischer"
 
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