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J U G

3 9. JAHRGANG

END

1934 / N R.25

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(Sin Sag erhebt sein Haupt
und weiß, wofür er lebt;
ein Baum blüht, trägt und laubt;
ein Vogel singt und schwebt.

2er Wald lebt sein Geschick,
spürt Lenz- und Herbsibeginu.
ein Stern strahlt süßen Blick
und weiß um seinen Sinn.

Nur du mit ruschem Blut
verfällst der Weltgewalt,
erglühst in jeder Glut,
lebst vielerlei Gestalt.

Oer Schatten deines Ich Gib doch den Menschen frei,

wiegt gaukelnd sich im Tanz, du trügende Begier —
verzweifelt fühlst du dich daß er nicht ärmer sei

bald König, bald Popanz. als Stern, Baum, Wald und Tier!

Georg Schwarz

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:

BRIEF AN EINEN PHILISTER

An Herrn M. in Z.

Sie werden sich wundern, Herr M., daß ich Ihnen schreibe, und
werden sich noch mehr wundern, wenn Sie erfahren, daß es in der
Erinnerung an unser letztes Zusammensein und Gespräch geschieht, denn
vermutlich haben Sie dies Zusammensein und Gespräch längst ver-
gessen. Mir ist es indessen damit umgekehrt gegangen, das heißt, ich
legte jenen Augenblicken und Worten damals zunächst gar keinen Wert
bei, ich vergaß Sie, Herr M., und das, was Sie mir damals sagten,
sozusagen noch während unseres Gespräches selbst und ging weg, ohne
irgendeinen fühlbaren Eindruck davon in mir behalten zu haben. Nach-
her aber, noch am selben Tage, fiel unsere kleine dumme Unterhaltung
mir plötzlich wieder ein, schon mit einem kleinen bösen Stachel, und
dann kam die Erinnerung daran öfter und öfter wieder und wurde
immer mahnender und unangenehmer. Es sind seither Monate ver-
gangen, ja fast ein ganzes Jahr, aber ich habe in jedem dieser Monate
mindestens zwei-, dreimal an Sie denken müssen, Herr M., und habe
jenes Gespräch in mir wiederholt und habe lange Auseinandersetzungen
mit Ihnen daran geknüpft, Auseinandersetzungen, deren Sie vermutlich
nicht wert sind und die ich mich hüten werde, Ihnen mitzuteilen.

Beginnen wir von vorn, da Sie wahrscheinlich doch alles längst ver-
gessen haben! Also, es war vor etwa zehn oder elf Monaten, ich war
gegen Mittag in Ihrer Stadt angekommen, trug eine kleine gelbe
Ledertasche und einen Negenschirm bei mir, und ich traf mit Ihnen in
der Trambahn jenseits vom Tunnel zusammen. Ich wollte nach der
Dorstadt hinausfahren, wo ein Freund von mir wohnt, und Sie fuhren
vermutlich von Ihren mir nicht näher bekannten Geschäften zum
Mittagessen nach Hause, denn Sie besitzen, wie ich damals sah, dort
draußen in der schönsten Gegend ein prächtiges Haus mit einem großen
Garten.

Ich grüßte Sie, weil ich mich Ihrer von mehreren früheren Zusam-
mentreffen her erinnerte. Bei literarischen Vorlesungen, bei Konzerten
und ähnlichen Veranstaltungen war« ich Ihnen mehrmals begegnet, ich
glaube, Sie gehörten auch irgendeiner Kunst- oder Literaturkommission
an. Jedenfalls hatten wir beide mehrmals miteinander gesprochen. Sie
batten ein gewisses Interesse für mich gezeigt, und ich hatte von Ihnen
den Eindruck eines angenehmen Weltmannes, gebildet genug, um eine
Ahnung von der Kunst zti haben, doch immerhin zu viel Geschäfts-
mann, zu sehr am Geld, zu sehr am Nichts interessiert, um je ganz
frei zu kommen und die Luft atmen zu können, in der das Schöne
selbstverständlich gedeiht. Sie kannten das Schöne, so schien mir, wohl,

aber nur als Sklavin, als eine heimlich geschätzte, heimlich bevorzugte
Sklavin. Sie empfanden, so schien mir, je und je Sehnsucht nach einer
Verklärung des Lebens, nach einem Klang aus der Welt, in der es kein
Geld und keine Geschäfte gibt. Darum saßen Sie ja auch in Kunst-
kommissionen und besuchten literarische Abende, und gewiß hatten Sie
in den Zimmern Ihres schönen Hauses manches gute Gemälde hängen.

Ich grüßte Sie also mit der Freundlichkeit und harmlosen Freude,
die man beim Wiedersehen von Menschen empfindet, an die man nur
leichte, arglose, angenehme, unverbindliche Erinnerungen hat. Sie
dankten ebenso, mit einem kleinen, erfreuten Lächeln des Wieder-
erkennens und mit jenem kleinen, mir keineswegs etwa widerlichen Zug
von Herablassung, den fast alle reichen oder einflußreichen Leute Künst-
lern und ähnlichen abseitigen Existenzen gegenüber haben, blnterhalten
konnten wir uns nicht, wir saßen nicht nebeneinander, und der mittäg-
liche Trambahnwagen war überfüllt.

Aber Sie stiegen an derselben Haltestelle aus wie ich, und Sie
schlugen dieselbe berganführende Seitenstraße ein, und so kamen wir
dazu, einander noch die Hand zu geben und ein paar Worte mitein-
ander zu plaudern. Sie fragten mit Freundlichkeit, was mich nach Z.
führe, und ich gab Auskunft; ich war zu einer musikalischen Auf-
führung hergereist, die ein Freund von mir dirigieren sollte und von der
wir nun sprachen. Ein dritter Herr, den Sie mir soeben vorgestellt
hatten, ging nebenher, und wenn ich mich recht erinnere, war es dieser
Dritte, der die recht schwachflüssige Unterhaltung (wir stiegen bergan
und waren alle hungrig) auf das brachte, was mich seither so oft be-
schäftigt hat. Er sprach von einem neuen Buch von mir oder fragte
mich, ob diesen Winter eines erscheinen werde, und knüpfte daran halb
scherzhaft eine kleine Bemerkung über den materiellen Ertrag literarischer
Arbeit, über Honorare und Auflagen. Ich suchte lächelnd abzuwehren,
und das war nun der Augenblick, den ich vom ganzen Gespräch allein
noch genau im Gedächtnis habe.

Nämlich Sie wurden plötzlich lebhaft und Ihre Stimme wurde laut
und etwas gehässig, als Sie mich mit einem boshaften Lächeln an-
sahen und riefen: „Ach was, ihr Künstler und Dichter seid auch nicht
anders als andere Leute! Ihr denkt ans Geld und ans Verdienen, an
weiter nichts!"

Das war es. Ich gab keine Antwort mehr und war im Augenblick
zwar über die seltsam aggressive Einhöflichkeit Ihrer dummen Worte
leicht erstaunt, blieb aber mit den Gedanken nicht daran hangen, wehrte
mich darum auch gar nicht. Immerhin war ich unangenehm berührt
und war froh, daß Sie schon Ihr Haus erreicht hatten. Ich zog den
Register
Hermann Hesse: Brief an einen Philister
Georg Schwarz: Demut vor den Dingen
 
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