J U G E
3 9. JAHRGANG *
N D
1 93 4 / N R. 31
Gin Versaumrrts
VON JORG ENGLSCHALK
Heumahd! Durch die Luft fliegt der Som-
mer! 3n der Kirche in Schondorf steigt der
Heiland vom Kreuz. Es ist doch Mittag, elf
Uhr, warum rvird nicht geläutet? Sein gutes
Recht. Seit fast tausend Jahren hängt er nun
da und nie hatte er es nötig sich darüber zu
ärgern. Noch jeden Mittag wurde hinten die
Glocke gezogen.
Krieg war im Land, die Glocke schrillte uni
elf Uhr! Die Pest war im Dorf, wimmernd
flehte um elf die Glocke! Frieden war, und
feierlich erbat sie sich vom Himmel den
Segen!
Der Herrgott war böse. Im Runtersteigen
tritt er der Eva, die ihm ihr fündig Haupt
unter die Füße gelegt, so kräftig darauf, daß
sie sich wunderte. Sie wußte nicht, daß es nicht
geläutet. Sie hatte trotz allem wieder an die
Stunde mit dem Adam gedacht und darüber
alles vergessen. Der Fußtritt des Gottes
schreckte sie aus dem Träumen.
Der Heiland begibt sich zum Fenster.
Schaut hinaus. Ein Sommertag, wie er schon
so viele erlebt. Gar nichts besonderes. Ein lei-
ser Wind treibt den See an das Ufer. Fleißig
nagen und beißen die Wellchen in die Wurzeln
des Schilfes. Ein Kahn, schwarz und morsch
schaukelt auf dem Wasser. Fischergarn trock-
net am Strande.
Nirgends ein Mensch! Alles im Feld, beim
Heuen!
Auch beim Seewirt kein Mensch im Garten!
Die Kastanien dunkeln den Kies am Boden.
Auf dem Dachreiter der Kirche schlägt die
Uhr schon viertel.
Es geht doch nicht, daß er sich selber zu
Ehren läutet, denkt sich der Herrgott, und
setzt die Dornenkrone, die ihm verrutschte, wie-
der gerade.
An solchen Tagen hat die Wirtöresl die
Arbeit des LäutenS zu besorgen und nebenbei
in der Wirtschaft, wenn jemand kommt, die
Gäste zu befriedigen.
Der Herrgott schaut durch daS blinde Fen-
ster der Kirche in das blankgeputzte des Wirts-
hauses. Wo früher vornehm die Nonnen und
fromm und gelehrt die Mönche gewandelt,
schenkt man jetzt Bier auS.
Auch in der Wirtsstube sitzt keine Seele!
Aber er hat doch ein Recht auf das Läuten,
er kann und will es nicht fordern.
Wenn man tausend Jahr steht, und tausend
Jahr die Arme auSgestreckt am Holze hält, so
schmerzt einem daS Gehen und die Arme tun
weh, wenn man sie fallen läßt. DaS fühlt auch
der Herrgott. Er ist auch den Kopf der Eva
unter den Füßen gewöhnt. Geht deshalb wieder
zurück, an das Holz. Wohlig streckt er die
Arme in die Breite. Stellt seine Füße aus die
Haare der Eva. Wie treu hält die ihm das
Haupt hin, und die Magdalena wie schön hat
sie seine Füße gesalbt, und die Wirtöresl ver-
gißt einfach das Läuten! Wie die Zeiten sich
ändern!
Er schaut nüber aus den Altar. Dort steht
der heilige Nikolaus, hält drei Äpfel, auf einem
Buche,, in der Hand. Auch er schüttelt bedenk-
lich den Kops. Er traut sich nichts zu sagen,
der heilige Nikolaus. Vorigen Dezember hat
er die Rest tief in das kalte Seewasser ge-
trieben und glaubt, das Nichtläuten heute sei
nun die Rache. Denn er war überzeugt, daß,
da ihm auch die Kirche geweiht, ihm die Ehre
der Glocke sei!
Aber der Heiland ist doch der Heiland, da
will man doch nicht mit ihm um die Ehre
streiten.
Eigentlich sei ja dieö Läuten um elf Uhr der
Muttergottes. Aber die Schondorfer haben
ja keine Muttergottes mehr, seit ihnen die
Schweden die ihre gestohlen.
Aus dem Dachreiter schlägt es halb. Die
Sonne stiehlt sich durch den Bogen eines Fen-
sters; spielt mit den Farben der Fresken, spielt
mit den Duadern der Mauern, mit den Fliesen
am Boden. Trägt einen Dust von Sommer
und Leben in das alte Gemäuer. Der Herr-
gott ist ruhig. Der Nikolaus verdrückt ein
Niesen. Beide sind sich einig, daß sie ihr doch
den Rang abgelausen, und die Sonne auS der
Kirche vertrieben haben. Gott sei Dank, die
Zeit ist vorbei, wo die Leute draußen warteten
biö die rote Scheibe sich über dem Wasser des
Sees erhob, um sich dann vor ihr zu verneigen.
Leibi
Von Richard Billinger
Die Kirchen voller Heiligenrauch
kennst du und alter Küchen Brauch.
Du horchtest, schaulest, schwiegest viel.
Des Mannes Pfeil und Säule,
die Knechte und die Gäulet
die Wiesen, sanft wie Nonnen,
hast du im heiligen Würfelspiel
von Gott, dem Herrn, gewonnen.
Du Runder, Riese, Mannathlet!
Weib und Magd dein Herz angeht.
Die Fülle ward dir eigen.
Um dich die Nymphen schweigen.
Und der Heiland denkt sich; lieber Verzicht
ich auf das bißchen Läuten als nochmal den
Kampf und den Streit mit der Sonne.
Der heilige Nikolaus sieht seine Apfel an.
Die brauchten ja Sonne undderweilen könnte er
dann im Buche, das sie ihm so lange schon ver-
schließen, lesen. Aber er verzichtet lieber aus
den Inhalt deS Buches, als sich seiner Feindin
zu ergeben. Wie hat er gekämpft, als ihn die
Mönche über das Meer brachten, um alle die
Zeichen der Jäger und Fischer aus dem
Tempel zu bannen, und hat nur um des
Friedens willen sieb die Äpfel auf das Buch
stellen lassen.
Wäre nicht ein Fenster der Kirche extra so
gebaut, die Sonne fände ja überhaupt nicht
den Weg hierher.
Da wird es im Wirtshaus lebendig. Eine
Tür knallt zu.
Eine Stimme kommt aus der Küche: „Ich
mach dir gleich deine Fisch!" „Js scho recht"/
klingtS gemütlich wider.
Zum See zu geht ein Mann! Strählt sich
mit den Fingern die Haare; fährt mit der
Hand über den Bart.' Seine samtene Joppe
hebt er mit den Schultern an sich. Er reckt sich
und streckt sich, geht den Bootssteg hinaus;
schaut über das Wasser und besieht sich im
Wasser! Spielt jetzt mit den Händen Schatten
und Licht.
Da dreht er sich um! Sieht die alte Kirche
in der Sonne und im Schatten der Kastanien.
Geht aus sie zu, in sie hinein.
Da kommt wieder die Stimme aus dem
Wirtshaus: ,,D' Fisch senn fort!!
Aus dem Haus kommt die WirtSresl, sucht
ihn, für den die Fische im Wasser ziehen!
Die Kirchentür steht auf. „Js halt doch
a Maler!" sagt die Rest zu sich, „eh in der
Kurcha, mitten unter der Zeit!"
klnd sie geht ihm nach. Da steht er, vor
dein alten Kreuz, und schaut wie die Sonne
darauf spielt, hört, daß jemand kommt, redet
zu ihm, ohne hinzuschauen: „Eigentümlich,
wenn man annimmt die romanischen Meister
haben mystisch empfunden, so scheint alles ganz
anders, wenn man ihre Arbeiten im Sonnen-
licht sieht! Hier zum Beispiel der Farben^
kontakt zwischen diesem Rot und dem Grau-
blau ist doch ganz aus Sonne . . ., da schaut er
um: „a, du bist es!" Die Rest hat still zuge-
horcht.
Jetzt schaut sie ihren Maler an, schaut den
Herrgott an, da sällt's ihr ein: „JessaS, S
Läuten Hab i ja vergessen! Und die andern
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Gin Versaumrrts
VON JORG ENGLSCHALK
Heumahd! Durch die Luft fliegt der Som-
mer! 3n der Kirche in Schondorf steigt der
Heiland vom Kreuz. Es ist doch Mittag, elf
Uhr, warum rvird nicht geläutet? Sein gutes
Recht. Seit fast tausend Jahren hängt er nun
da und nie hatte er es nötig sich darüber zu
ärgern. Noch jeden Mittag wurde hinten die
Glocke gezogen.
Krieg war im Land, die Glocke schrillte uni
elf Uhr! Die Pest war im Dorf, wimmernd
flehte um elf die Glocke! Frieden war, und
feierlich erbat sie sich vom Himmel den
Segen!
Der Herrgott war böse. Im Runtersteigen
tritt er der Eva, die ihm ihr fündig Haupt
unter die Füße gelegt, so kräftig darauf, daß
sie sich wunderte. Sie wußte nicht, daß es nicht
geläutet. Sie hatte trotz allem wieder an die
Stunde mit dem Adam gedacht und darüber
alles vergessen. Der Fußtritt des Gottes
schreckte sie aus dem Träumen.
Der Heiland begibt sich zum Fenster.
Schaut hinaus. Ein Sommertag, wie er schon
so viele erlebt. Gar nichts besonderes. Ein lei-
ser Wind treibt den See an das Ufer. Fleißig
nagen und beißen die Wellchen in die Wurzeln
des Schilfes. Ein Kahn, schwarz und morsch
schaukelt auf dem Wasser. Fischergarn trock-
net am Strande.
Nirgends ein Mensch! Alles im Feld, beim
Heuen!
Auch beim Seewirt kein Mensch im Garten!
Die Kastanien dunkeln den Kies am Boden.
Auf dem Dachreiter der Kirche schlägt die
Uhr schon viertel.
Es geht doch nicht, daß er sich selber zu
Ehren läutet, denkt sich der Herrgott, und
setzt die Dornenkrone, die ihm verrutschte, wie-
der gerade.
An solchen Tagen hat die Wirtöresl die
Arbeit des LäutenS zu besorgen und nebenbei
in der Wirtschaft, wenn jemand kommt, die
Gäste zu befriedigen.
Der Herrgott schaut durch daS blinde Fen-
ster der Kirche in das blankgeputzte des Wirts-
hauses. Wo früher vornehm die Nonnen und
fromm und gelehrt die Mönche gewandelt,
schenkt man jetzt Bier auS.
Auch in der Wirtsstube sitzt keine Seele!
Aber er hat doch ein Recht auf das Läuten,
er kann und will es nicht fordern.
Wenn man tausend Jahr steht, und tausend
Jahr die Arme auSgestreckt am Holze hält, so
schmerzt einem daS Gehen und die Arme tun
weh, wenn man sie fallen läßt. DaS fühlt auch
der Herrgott. Er ist auch den Kopf der Eva
unter den Füßen gewöhnt. Geht deshalb wieder
zurück, an das Holz. Wohlig streckt er die
Arme in die Breite. Stellt seine Füße aus die
Haare der Eva. Wie treu hält die ihm das
Haupt hin, und die Magdalena wie schön hat
sie seine Füße gesalbt, und die Wirtöresl ver-
gißt einfach das Läuten! Wie die Zeiten sich
ändern!
Er schaut nüber aus den Altar. Dort steht
der heilige Nikolaus, hält drei Äpfel, auf einem
Buche,, in der Hand. Auch er schüttelt bedenk-
lich den Kops. Er traut sich nichts zu sagen,
der heilige Nikolaus. Vorigen Dezember hat
er die Rest tief in das kalte Seewasser ge-
trieben und glaubt, das Nichtläuten heute sei
nun die Rache. Denn er war überzeugt, daß,
da ihm auch die Kirche geweiht, ihm die Ehre
der Glocke sei!
Aber der Heiland ist doch der Heiland, da
will man doch nicht mit ihm um die Ehre
streiten.
Eigentlich sei ja dieö Läuten um elf Uhr der
Muttergottes. Aber die Schondorfer haben
ja keine Muttergottes mehr, seit ihnen die
Schweden die ihre gestohlen.
Aus dem Dachreiter schlägt es halb. Die
Sonne stiehlt sich durch den Bogen eines Fen-
sters; spielt mit den Farben der Fresken, spielt
mit den Duadern der Mauern, mit den Fliesen
am Boden. Trägt einen Dust von Sommer
und Leben in das alte Gemäuer. Der Herr-
gott ist ruhig. Der Nikolaus verdrückt ein
Niesen. Beide sind sich einig, daß sie ihr doch
den Rang abgelausen, und die Sonne auS der
Kirche vertrieben haben. Gott sei Dank, die
Zeit ist vorbei, wo die Leute draußen warteten
biö die rote Scheibe sich über dem Wasser des
Sees erhob, um sich dann vor ihr zu verneigen.
Leibi
Von Richard Billinger
Die Kirchen voller Heiligenrauch
kennst du und alter Küchen Brauch.
Du horchtest, schaulest, schwiegest viel.
Des Mannes Pfeil und Säule,
die Knechte und die Gäulet
die Wiesen, sanft wie Nonnen,
hast du im heiligen Würfelspiel
von Gott, dem Herrn, gewonnen.
Du Runder, Riese, Mannathlet!
Weib und Magd dein Herz angeht.
Die Fülle ward dir eigen.
Um dich die Nymphen schweigen.
Und der Heiland denkt sich; lieber Verzicht
ich auf das bißchen Läuten als nochmal den
Kampf und den Streit mit der Sonne.
Der heilige Nikolaus sieht seine Apfel an.
Die brauchten ja Sonne undderweilen könnte er
dann im Buche, das sie ihm so lange schon ver-
schließen, lesen. Aber er verzichtet lieber aus
den Inhalt deS Buches, als sich seiner Feindin
zu ergeben. Wie hat er gekämpft, als ihn die
Mönche über das Meer brachten, um alle die
Zeichen der Jäger und Fischer aus dem
Tempel zu bannen, und hat nur um des
Friedens willen sieb die Äpfel auf das Buch
stellen lassen.
Wäre nicht ein Fenster der Kirche extra so
gebaut, die Sonne fände ja überhaupt nicht
den Weg hierher.
Da wird es im Wirtshaus lebendig. Eine
Tür knallt zu.
Eine Stimme kommt aus der Küche: „Ich
mach dir gleich deine Fisch!" „Js scho recht"/
klingtS gemütlich wider.
Zum See zu geht ein Mann! Strählt sich
mit den Fingern die Haare; fährt mit der
Hand über den Bart.' Seine samtene Joppe
hebt er mit den Schultern an sich. Er reckt sich
und streckt sich, geht den Bootssteg hinaus;
schaut über das Wasser und besieht sich im
Wasser! Spielt jetzt mit den Händen Schatten
und Licht.
Da dreht er sich um! Sieht die alte Kirche
in der Sonne und im Schatten der Kastanien.
Geht aus sie zu, in sie hinein.
Da kommt wieder die Stimme aus dem
Wirtshaus: ,,D' Fisch senn fort!!
Aus dem Haus kommt die WirtSresl, sucht
ihn, für den die Fische im Wasser ziehen!
Die Kirchentür steht auf. „Js halt doch
a Maler!" sagt die Rest zu sich, „eh in der
Kurcha, mitten unter der Zeit!"
klnd sie geht ihm nach. Da steht er, vor
dein alten Kreuz, und schaut wie die Sonne
darauf spielt, hört, daß jemand kommt, redet
zu ihm, ohne hinzuschauen: „Eigentümlich,
wenn man annimmt die romanischen Meister
haben mystisch empfunden, so scheint alles ganz
anders, wenn man ihre Arbeiten im Sonnen-
licht sieht! Hier zum Beispiel der Farben^
kontakt zwischen diesem Rot und dem Grau-
blau ist doch ganz aus Sonne . . ., da schaut er
um: „a, du bist es!" Die Rest hat still zuge-
horcht.
Jetzt schaut sie ihren Maler an, schaut den
Herrgott an, da sällt's ihr ein: „JessaS, S
Läuten Hab i ja vergessen! Und die andern
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