Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
19 3 4

/

J u G E

3 9. JAHRGANG

D

N R. 3 2

GERTRUD AULICH:

DAS TESTAMENT

Nein, ich begreife von dem ganzen keine
Silbe, sagte frcr junge Mann, der mit den
Fäusten auf dem Rücken im Zimmer herumlief
und ab und zu ratlos stehen blieb, um ein junges
Mädchen, das ruhig in einem Sessel saß,
fassungslos anzustarren.

Was ist da zu begreifen? erwiderte, der
Unterredung müde, das Mädchen. Wir kön-
nen ja alle Tage heiraten, wenn du willst.

Wenn ich will, wenn ich will! äffte spöt-
tisch der junge Mann nach. Als ob das allein
von meinem oder deinem Willen abhinge. Zum
.Heiraten gehört erstens Geld, zweitens Geld,
drittens ....

Drittens Geld usw. in alle Ewigkeit. Ach,
immer dieselbe Litanei! Es ist widerlich, einen
Mann mit deinen Armen so hilflloS jammern
zu hören. Im übrigen kannst du eS ja auch
bleiben lassen.

WaS denn?

Alles miteinander. Du brauchst ja auf die
Bedingung nicht einzugehen.

Ach, hör doch mit dieser Bedingung auf!
DaS ist es eben, was ich nicht verstehe. Erst
sollte ein Haufen Geld da sein und jetzt ist
statt dessen eine Bedingung da, auS der ich
nicht einmal klug werden kann.

Was ist da klug zu werden? widerholte das
Mädchen. Es ist doch alles so klar wie mög-
lich. DaS Testament besagt . . .

Nach dem Testament solltest du bare
50 000 Mark erben, soviel verstehe ich schon.

Ich erbe sie ja, Paul, sagte zaghaft daS
Mädchen und sah weg.

Allerdings. Unter einer Bedingung. Unter
dieser Bedingung, die ich idiotisch finde, sinn-
los geradezu.

Ich nicht, sagte schlicht daS Mädchen.

Nein, du nicht, höhnte der junge Mann
und unterbrach seine Wanderung. Du freust
dich womöglich noch.

Gewiß, ich freue mich. Und auch du wirst
dich freuen.

Ich? — Machst du dich über mich lustig?
Ja, ich werde, mit der Mistforke in der
Hand, ein wahres Triumphgeheul veranstalten.
Wenn ich mir vorstelle, daß ich fünf Jahre
lang Äcker umgraben, Mist fahren, Salat
pflanzen und Schweine mästen soll, könnte
mich vor Freude der Schlag treffen.

Daö Mädchen lächelte. Niemand Zwingt
dich dazu. Verzichte auf die 50 000 Mark und
auf mich.

Auf dich? — Bist du' verrückt? Seit ich
denken kann, habe ich mir daS Glück mit dir
in allen Farben auSgemalt. — Nein, weißt
du, Irene, wir pfeifen auf das Testament,

deinen verrückten Onkel, die Klitsche in
Dingsda und die ganze verdammte Bedingung.
Es muß sich doch mit der Kunst so viel ver-
dienen lassen, daß zwei Leute davon leben kön-
nen. WaS meinst du?

Irene stand auf und trat nahe zu Paul.
Ich bleibe nicht in der Stadt, sagte sie fest.
Ich vorkomme hier. Und auch du verkommst.
WaS du deine Kunst nennst, ist nichts als ein
Vorwand. Alles hier ist nur eine verzweifelte
tote Betriebsamkeit, die Leib und Seele auf-
frißt. Ich brauche Umgang mit Erde, mit
Bäumen, Tieren ... und auch du brauchst daS.

Suchst du etwas?

Zeig doch nochmals diesen Wisch, dieses
sogenannte Testament.

Ach laß, eS ärgert dich nur. Übrigens liegt
es zerknüllt unterm Schreibtisch. Du hast es
vorhin selbst fortgeworfen. Da.

Paul bückte sich und hob eS auf. Seine
unkünstlerisch breiten und knochigen Hände
glätteten eS überm Knie, er stellte sich ans
Fenster, zn dem bereits der Abend hereindäm-
merte und begann eS, nachdem fein Ärger sich
etwas gelegt hatte, nochmals zu studieren. —
Die 50 000 Mark sind uns also sicher, sagte
er, den ersten Absatz zusammenfasfend. Aller-
dings erst in fünf Jahren, wenn abrakadabra
Homunkulus paperlapap ... da steht eS: DaS
Gut GeorgSwalde samt Wiesen und Äckern
und babebibobub fällt nur dann an meine
Nichte Irene Sowieso, wenn sie sich vor der
Erbschaftsübernahme mit einem Manne ver-
heiratet, mit dem gemeinsam das Gut von
Grund auf zu bewirtschaften ist und zwar so
usw. amen ....

Paul begann wieder auf- und abzurasen, die
Ader auf seiner Schläfe schwoll an, die linke

Hand, breit wie eine Bärentatze, schloß und
öffnete sich wütend . . . WaS für ein Deutsch!
schrie er, hör doch: „fällt nur dann" — fällt!
wenn sie sich mit einem Manne verheiratet...
Mit einem Manne! ach du grundgütige Barm-
herzigkeit. Und dazu bewilligt man uns sogar
einen Knecht und eine Magd pro Jahr. Nein,
welche Großmut!

Das ist so eine Art Prinzip von ihm,
wandte ruhig Irene ein.

Na schön. Versuchen wirS also mit GeorgS-
walde und dem Testament und dem Prinzip
deines Onkels. Aber das sage ich dir: länger
als einen Sommer halte ich dieses Dingsda
nicht aus. Ich bin kein Bauer, ich bin Maler!

Ach, betrachte doch einmal deine Muskeln!
Wozu braucht ein Maler solche Keulen von
Arm? fragte listig Irene und ihr Gesicht
strahlte.

*

Er hielt eS doch länger auS. Es war nicht
leicht, die Klitsche war verwahrlost, daS Haus
zerfiel ihnen unter den Händen, der Garten
lag verwildert da und die Äcker brach und
steinig. Die vier Kühe im Stall zeichneten sich
durch üppige Magerkeit aus und das Feder-
vieh hatte Läufe. Alles war bis zur äußersten
Grenze der Möglichkeit vernachlässigt. Irenes
Onkel war ein alter Sonderling und zog aus
dem kleinen Gute nur den notwendigsten Le-
bensbedarf. Fluchend begriff Paul, was diese
„sinnlose" Klausel: von Grund auf! zu be-
deuten hatte.

Doch seltsamerweise machte die ungewohnte
Arbeit ihm Freude. Seine Riesenkräfte kamen
ihm zugut, sein eiserner Rücken und seine brei-
ten Schultern. Er fand einen eigenen Reiz
darin, seine starken Muskeln im Rhythmus
der Bewegung spielen zu lassen, seine Hände,
grob wie Hämmer und groß wie Schaufeln
meisterten jedes Gerät, bald achtete er nicht
mehr der Schwielen und Blasen und schämte
sich, über Schmerzen in Rücken und Beinen
zu klagen. Wie hätte er eS auch vor Irene
tun können, dieser jungen Frau, die mit roten
Backen und blauen Augen umherging, lachend
und aufgeräumt und jede Arbeit weit über
ihre Kräfte hinaus mit Lust und Liebe an-
packte.

Im ersten Jahr setzten sie daS HauS eini-
germaßen instand, deckten das Dach neu, rich-
teten den Zaun und gruben den Garten um.
Der Kartoffelacker und die Wiese hinter der
Scheune brauchten keine Aufbesserung, die
Wiese lag am Bach hatte feuchte fette Erde
und half den vier Kühen auf, die Irene eigen-
händig molk.
Register
Hermann Mayrhofer: Leserin
Gertrud Aulich: Das Testament
 
Annotationen