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J u G

3 9. JAHRGANG

END

1 9 3 4 / N R. 3 6

Soli in den (^Jic

leren

Wenn am Waldrand schreien die großen Eulen bei Nacht,
im purpurnen Abend die Holztaube lacht,
der Totenwurm lickt in der Truhe im Haus,

Sperberschrei ßiegt in die Lichtung hinaus,

wenn der Rehbock ruft, eh er das Schmaltier bespringt:

Du bist es, Goll, der in allem erklingt.

Du bist es, der brüllt, und du brüllst nach mir,
wenn in der Weide jählings dumpf aufröhrt der Stier.
Tausendfach rufst du mich an bei Tage und Nacht,
weckst mich vom Schlafe. Nun bin ich erwacht.

Hörst du mein Herz, das mich schlägt und stößt?

Immerfort schreit das Getier. Wann bist du erlöst?

Wolfram Brockmaier

DIE GAZELLE

Im afrikanischen Busch hatte inan das feine Tier gefangen. Kaum
zwei Jahre alt, war es seiner Mutter noch so anhänglich gewesen, daß
eS, als die baumhohen Netze über ihr und über dielen vorn Nudel nieder-
gestürzt waren, sich erstaunt und beinahe willig hatte greifen lassen.
Denn auch die schlanke, zartgegliederte Mutter war dagelegen wie im
Schlafe und hatte keinen Laut von sich gegeben, hatte die hohen Beine
von sich gestreckt, als schwarze und weiße Menschen nach ihnen griffen;
und eS war in dem jungen Tiere, das vor so kurzer Weile erst ins Leben
gesprungen war, kein Wissen davon, daß die schönen Lichter der Mutter
deshalb so ruhig vor sich hingeblickt hatten, weil der ungeheure Schreck
vor dem Lärm, den der Mensch in den stillen und friedlichen Busch ge-
bracht hatte, vor den überall auftauchenden schwarzen Gestalten, vor
dem überhinstürzenden Geflecht, sie getötet hatte. Die junge Antilope
war aus dem Geschlecht jener zarten Geschöpfe, denen ein friedfertiges
und sanftes Herz gegeben ist, das in einer ausweglosen Gefahr zu
schlagen aufhört, sich, nicht willentlich wohl, aber wesentlich in den
Tod flüchtet.

Dann waren die Begebnisse vielfältig und fremd über Leib und Seele
des jungen Tieres hinweggegangen. Wie hatte das Netz auf den Schul-
tern der Träger geschwankt, die die leichte Last singend — — oh, der
niegehörte, tiefängstigende Laut! — — ins Lager gebracht hatten. Die
lederne Fessel um den dünnen Hals hatte bei oftmaligen Fluchtversuchen
eingeschnitten und herrisch Gehorsam gefordert. Die freundliche Stimme
des weißen Mannes war von Tag zu Tag ein stärkerer Bann ge-
worden, dem die Kinderseele des reinen Tieres sich staunend und all-
mählich willig unterworfen hatte. Die seltsame Witterung, die von den
guten Händen deS Menschen auSging, ward ihr bald ein Gewohntes,
ja Erwünschtes, und eS waren nicht mehr Schauer von Schrecken und
Flucht, wenn die Menschenhände sie den feinen Leib und die Seele
hinab streichelten. Beklemmend und schrecklich war die wochenlange Reise
gewesen auf dem Ochsenkarren bis an die Küste; seltsam und wie von
lauernder Krankheit umkreist, die Tage der Fahrt über den Ozean. DaS
lärmende Nattern im Eisenbahnwagen nahm sie dann so hin. Die zart

schwingende Seele der Gazelle-welch beschwingten Leib hatte sie

sich gebaut!-hatte in das Gewese deS Menschen sich eingeordnet

so gut eS ging; fremd und sich entwendet freilich, zitterte ihr Gemüt
über das, ihrer gotterschaffenen Natur ewig Unwahrscheinliche: von
Menschen umgeben zu sein.

Da steht sie im Gehege des zoologischen Gartens. Seit wenigen
Tagen erlaubt der nördliche Himmel diesem lieblichen Gast, den die
nämliche Sonne glücklich und heiter in seiner Welt umglänzt und
gewärmt hat, unter der, o wie viel kühleren blauen Glocke hinzu-
stelzen. Denn wahrhaftig, sie stelzt so hin. Zum schönen Sprung über

mannshohes Gras, über Distelgebüsch und Gesträuch begabt, weiß sie
und findet hier keinen Anlaß nach der Lust ihres Leibes und ihrer Seele
sich zu gebärden. Ihre schmalen Flanken umspült nicht mehr die Woge
unübersehbaren Raumes. Die herrliche Weite des Daseins verstellt ein
schimmerndes Drahtgeflecht. Geblendet ist das feine Tier nach der
winterlichen Haft im geheizten HauS, unter den erblauenden Maihimmel
herausgeschritten. Es war wohl ein Erstaunen auch für die große
Sonne, diesem Fremdling hier zu begegnen, der auS ruhigen Lichtern,
die das ganze leicht gefchwingte Leben hindurch wie in einer stillen und
sanften Frage blicken, in den nördlichen Tag schaut. Sie äugt furcht-
sam und neugierig. Ihr feiner Sinn sagt ihr, daß sie hier so sicher vor
Gefahren ist, wie hinter den Gitterstäben des Käfiges. Die zarten Hufe
haben sogleich die natürliche Erde unter sich erfühlt. Sie beugt den
schlanken Hals, um zu äsen. Aber es wächst nichts auf dieser Erde.
Da und dort sticht ein Halm auS dem sandigen Boden. Über daS Gitter-
werk hinweg, grünen die Äste hoher Bäume. Die Fremdlingin schaut
in die hellgrüne Wirrnis hinauf, die dem Maiwind erstmalig sich hingibt
und frühlingSschüchtern ein wenig zu rauschen anhebt. Erinnert sie sich
an das gewaltige Land ihrer Herkunft? Hört sie die Stürme afrikani-
scher Nachtgewitter? Wartet sie auf eine heißere Sonne, die sie nie
mehr bescheinen wird? Ihr Kindergesicht ist ruhig und ernsthaft und
voll eines unsäglichen und anmutigen Selbstgefühls und einer sanften
Geduld.

Ein Mensch kommt langsam am Gitter vorüber. Ruhig wendet
sie den schmalen" Kopf ihm zu, beäugt ihn, zieht kaum merklich die
Witterung ein und tut dann ein paar steife Schritte neben ihm her.
Der Mensch verhält, redet freundliche Worte durchs Drahtnetz. Die
Gazelle hebt sich ein wenig auf, horcht mit hohen Lauschern der Men-
schenstimme, fühlt deutlicher als ein Mensch es fühlen könnte, das
Wohlwollen und die Freude, mit der der Herr der Erde den schmerz-
lichen Abgrund zwischen sich und dem Tier zu überwinden sucht. Eie
legt ihre samtweichen Lippen an das Geflecht. Aber als der Mensch
die Hand hebt, sie zu kraulen, wirft sie auf und tut einen zierlichen
Sprung zur Seite. Der Abgrund hat sich aufgetan. Don dem Sprung
wie zu sich selber gekommen, freut sie sich ihres hüpfenden Gemüts und
springt, springt in weiten Sätzen, hohen Fluchten, in Kreuz- und Ouer-
gängen, schleudert die federnden Beine von sich, als ginge es nun ohne
sie, wie im Fliegen. Es ist ein kleines dumpfes Gepolter über der Erde,
der diese zarten Hufe ein sehr Fremdes sind, daß im benachbarten
Gehege der riesige Giraffenbulle aufmerkt.

Jahrelang schon in der Gefangenschaft deS Menschen, hat er sich
eingeordnet in die Enge des Daseins. Er kennt feine Nachbarn, er ver-
traut seinem Wärter, er weiß um die Hälften des Jahres, die ihn aus

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Josef Wenter: Die Gazelle
Wolfram Brockmeier: Gott in den Tieren
 
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