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J U G

39. JAHRGANG

END

1 9 3 4 / Nr. 41

Der heilige Dominikus

VON VIKTOR ERSCHEN

uS Gründen, die bis heute unaufgeklärt geblieben
find, hatte Carlo Schnitze während feines letzten
Aufenthaltes in Rom beschlossen, den heiligen
Dominikus zu malen. Wie dieser Heilige zur Zeit
feines ErdenwallenS ausgesehen haben mochte,
kümmerte Carlo wenig; auch machte er sich gar
keine Gedanken darüber, ob St. Dominikus da-
mals, als er noch gegen die Albigenser wetterte,
schon gewußt hatte, in welcher Tracht sich der
später nach ihm benannte Orden kleiden werde,
oder ob gar St. Dominikus selbst schon jene Tracht getragen habe.
Nachdem Carlo Schnitze einmal von der Notwendigkeit durchdrungen
war, den heiligen Dominikus zu malen, hielt er es für selbstverständlich,
daß er ihn zu diesem Behuse in die Dominikanerkutte zu steeken habe.
Cr erstand das Habit recht wohlfeil bei einein Trödler und äußerte in
seiner bestimmten Art den Wunsch, Philipp Horn, sein Freund und
Kunstbruder, solle ihm zu dem Bilde Modell stehen. Philipp, genannt
der „Gute", tat dies zwar ungern, aber ohne nenncnSlverten Widerstand,
da er keine Möglichkeit sah, einem bestimmt ausgesprochenen „Wunsche"
seines Freundes Carlo zuwiderzuhandeln.

Carlo war überhaupt — das muß man schon sagen — ein wenig
rücksichtslos und befehlshaberisch. Es war noch in Rom, als er jenen
Entschluß faßte. Plötzlich aber erklärte er, Rom sei nicht der geeignete
Ort dazu, den heiligen DominikuS zu malen, er wolle nach Siena, dieser
stillen, an Kirchen und Klöstern so reichen Stadt. DaS Dutzend Kollegen,
die mit ihm bei Zio Zacomo, diesem alten, venetianischen Halunken,
Atelier und Schlafbude teilten, erlebte nun schwere Stunden. Unauf-
hörlich, halb beschwörend, halb drohend, lag ihnen Carlo damit in den
Ohren, sie müßten mit ihm nach Siena. Wer in Rom bleibe, beweise da-
mit, daß er ein trostloser Schmierer und für die Kunst verloren sei. Nur
ein Streber und zukünftiger Akademieprofessor könne nicht mit nach
Siena wollen . . .

Wirklich brachte es Carlo dazu, daß ihm außer Philipp noch drei auS
der Gesellschaft nach Siena folgten. Heß, der im Angesicht seines LavoirS
Marinebilder zu malen pflegte, dann Wittner und endlich der stille Rustel,
„der Fisch".

Ihr Aufenthalt in Siena glich einer Heimsuchung; durch die uner-
hörtesten Streiche und absonderlichsten Umtriebe brachten sie so viel
Lärm, Aufregung und Verwirrung in die sonst so ruhige Stadt, daß
man zu jener Zeit in Siena bei Tag und Nacht, zu Hause, auf den
Straßen, in Gast- und Kaffeehäusern fast von nichts anderem reden
hörte als von diesen deutschen Malern: questi maledetti pittori
tedeschi...

Philipp, dein Guten, wurde seine Aufgabe, den heiligen Donn'nikuS
naturgetreu, mit Sandalen, Habit, Kutte und Kapuze angetan, darzu-
stellen, nicht allzu schiver gemacht. Er brauchte nur dreimal Modell zu
stehen, denn Carlo ivar auch im Malen sehr energisch, arbeitete mff
faustdicken Pinseln und batte in drei Sitzungen den verdienten Heiligen
mit Glanz und Glorie auf die Leinwand gestrichen. Zwischen jeder dieser
Sitzungen lag freilich je eine Pause von acht bis zehn Tagen, in denen
sich Carlo nebst Anhang in den verschiedensten Osterien erholte und frische

Kräfte sammelte. Er nannte das „konzentriert arbeiten". Philipp tat
überhailpt nichts. Er redete sich darauf aus, daß er Carlo Modell stehen
müsse, daö sei furchtbar anstrengend. Die drei anderen waren schon
fleißiger; es verging katnn ein Tag, an dem nicht einer von ihnen er-
klärte, man müsse die Gelegenheit benützen und Kircheninterieurs malen.
Der stille Rustel hatte sich sogar eines Tages Malkasten und Feldstaffclei
in den Dom bringen lassen. Aber ivährend der Bub noch iiiit dem Auf-
stellen des „Schanzzeuges" beschäftigt war, hatte sich Rustel in eine
Kirchenbank gesetzt und war eingeschlafen. Als er aufivachte, war cs
Mittag vorbei und natürlich zn spät zum Malen. Solche Studien machte
er dann noch ein paarmal, ohne erst den Malkasteii mitzunehmen.

Daß Carlo trotzdeiii seinen DominikuS fertiggebracht hatte, erhöhte
womöglich noch sein Ansehen. Er fand, nachdem jetzt fast vier Wochen
seit der Ankunft in Siena vergangen waren, daß man wieder abreisen
könne. Alle lvaren einverstanden. Hier käme man so zu nichts. „Siena,
das Capna der Malerei", sagte Rustel, der entlveder in Apercus sprach
oder gar nicht.

Man konnte aber selbstverständlich nicht fort, ohne die Fertigstellung
des DominikuS und den bevorstehenden Abschied von Siena festlich zn
begehen. Die schöne Feier fand in Carlos Atelier statt, ivo der ernste
Heilige, noch von nassen Farben glänzend, in weißem Habit und schwarzer
Kapuzinerkutte dem Treiben zusah und die nnklösterlichen Gesänge des
Ouintetts anhören mußte. Durch das geöffnete Atelierfenster schallte der
Lärm weit hinaus in die stillen Gassen, wo hie iind da an Ecken und
HauStoren Bürger SienaS standen und über die ..pittori tede8cbi" jam-
merten. Hätten sie geahnt, daß dies der Abschiedslärni sei, sie hätten sich
gefreiit. Aber immerhin — sie sollten noch etwas erleben.

Philipp der Gute war Gegenstand großer Ovationen. Angeblich, iveil
er so wacker Modell gestanden hatte und etwas von dem Nimbus des
Heiligen auf ihn zurückstrahlte. In Wirklichkeit wollte man ihm möglichst
viel von dem schweren Valpolicella und dem Asti „eingeben". Noch vor
Mitternacht war dies soiveit geliingen, daß Philipp sich nicht mehr
rühren konnte, vom Stuhl aus den Boden rntschte und nur mehr die
Worte „Marietta" und „Stiefel" lallte. Damit wollte er vennutlich
sagen, Marietta, sein dienstbarer Geist, möge ihm die Stiefel auSziehen.

Trotzdem der Chor der Stiinmen sich um eine vermindert hatte, schallte
der Lärm noch toller in die Nacht hinaus. Die vier freuten sich innig dar-
über, daß eö ihnen mit Philipp so gut gelungen war. Deiii Beispiel
Carlos folgend, knieten sie alle rings uni Philipps Leiche nieder und sangen
daS Klagelied:

„Viel Schnaps und Kümmel hat er getrunken,

Bis daß er nicht mehr stehen kunnt.

Ilnd als er nicht mehr stehen kunnt,

Da kamen all die schwarzen Brüder,
l.lnd legten ihn inS kühle Grab . . ."

„Was fangen wir nun an mit ihm", sagte dann Carlo, „der blnglückS-
mann ivohnt fast eine halbe Stunde rveit?"

„Schlafen lassen", meinte Heß.

„Hier, aus dem Erdboden? Ich habe doch kein zweites Bett, nicht
einnial eine Decke .. ."

„Marietta! ... Stiefel. . ." stöhnte Philipp.

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Victor Erschen: Der heilige Dominikus
 
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