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J u G

3 9. JAHRGANG

END

1 9 3 4 / N R. 4 4

(A. QU MUter:

LEBENDE SCHATTEN

ILLUSTRATIONEN VOM VERFASSER

Es war um das Jahr 6oo vor Christi Geburt, so erzählt PliniuS,
als Korinthia, die Tochter des Töpfers DibutadeS, zur Erfinderin der
Schattenkunst wurde.

Ihr Geliebter war am Abend zu ihr gekommen, um von ihr zu
scheiden; denn er sollte eine weite, gefahrvolle Reise antreten. Beim
Schein der Lampe waren sie beide allein, die Süße und Bangigkeit des
Abschieds genießend. Des Mädchens Herz lief fürchtend die Wege der
Zukunft voraus, es bangte, ihn zu verlieren, vielleicht auf ewig, sah den
Entschwundenen, der eben noch so blühend vor ihr stand, in ihrer Erinne-
rung verblassen und verwelken, ohne daß sie ein Mittel besaß, sein matt-
gewordeneS Bildnis wieder zum Leben anzufachen. Indern sie ihn so mit
Angst und Zärtlichkeit betrachtete, neigte er sein Haupt, die Lampe war
zwischen ihr und ihm, und es erschien an der weißen Wand des Gemaches
scharf und rein der Umriß seines Angesichts als Schatten. Die freund-
liche Senkung des Nackens, die krause Gestalt des üppigen HaareS, die
klare Stirn, die Wimper an der Stelle, wo das Auge unterm Brauen-
bogen ruhte, der freie Zug der Nase, der Mund, daö volle, fest gerundete
Kinn, wie in einem Zauberbild war alles festgehalten.

Bleib! rief sie, bleib in dieser Stellung, rege dich nicht! Lind während
er geduldig aushielt, umriß sie seinen Schatten mit geschicktem Finger.
Als aber der Jüngling geschieden war, füllte sie den Umriß mit dunkler
Farbe aus, daß er dem Schatten glich, der an derselben Stelle gelegen,
und sehte sich vor ihn, so oft sie die Sehnsucht bewegte. Und seltsam,
welches Leben kam aus der geschwärzten Fläche! DaS Bildnis hatte
keine eigentlichen Lippen, und dennoch schien eS zu atmen, ihm glänzten
keine Augensterne aus dem Saume lichter Wimpern, und dennoch blickte
es sanft und liebend herab. Der Hals, der Nacken redete von der ihm
eigentümlichen Bewegung. Alles aber, was ein auSgeführtes Bild so
streng, so kühl und so ernüchternd machen kann, die Fülle festgebannter
Einzelheiten, die die Phantasie in Fesseln schlägt, dies alles fehlte dem
glücklichen Bilde. Und dennoch war eS der Betrachterin, als schwöllen
auch aus ihm die frischen Wangen, als dringe auch auS ihm der klare
Blick, als wehte auch aus ihm ein Atem magischer Lebendigkeit hervor,
nur daß sie bei alledem die Seligkeit genoß, dies alles selbst dem Bild
entlockt zu haben. So war dem liebenden Mädchen das Schattenbildnis
an der Wand ein immer neuer Verkünder der Reize des Geliebten. Es
hatte dem Eigentümer den Schatten genommen, lind hatte einen Auszug
seiner Wirklichkeit, gleichsam die Formel seines Lebens behalten.

Denn dies ist das Geheimnis, das jeder Schatten in sich schließt: er ist
mit einem Körper auf Leben und Sterben verbunden. Ja, der Körper hat
ihn an sich genommen als den Bürgen seiner wahren Körperlichkeit. Wie
ein Diener herläust vor dem Wagen des Königs, und allen, die am Wege
stehen, zuruft: Habt acht, der da kommt, ist der König! so auch der
Schatten. Hier ist ein Körper, ruft er, habet acht! Und ebenso wie ein
jeder sogleich des Königs gewärtig ist, wenn er auch nur den Rufer er-
blickt, ebenso entsteht in unserem Bewußtsein das Bild des lebenden
Körpers, sobald nur der Schatten erscheint. Schatten und Körper ist
einö, so lautet die magische Formel, siehst du den Schatten, so ist der
Körper zugegen, siehst du den Körper, so birgt er den Schatten in sich.
Im Körperhaften aber erkennen wir die irdische Natur. Der Schatten,
so seltsam dies im Anfang klingen mag, ist uns der Bürge der irdischen
Natur, und alles, was schattenlos erscheint, erweckt in unS den Eindruck
erdenloser Dünne, und ein Grauen kommt uns an.

Auf diesen Empfindungen hat Chamisso seine seltsame Geschichte von
Peter Schlehinil, dein Mann ohne Schatten, aufgebaut und eine Welt
zu Lesern gewonnen. Jminer wieder wird uns diese Erzählung mit
magischem Zaiiber umspinnen, ioeil sie auf ein Urgeseh des Lebens deutet.

Wer den Schatten hat, der hat die Gegenivart des Körpers, dies ist
aiich die Forinel der Schattenkunst.

Korinthia hat viele Nachahmer gefunden, und viele mögen gewesen
sein, die lange vor ihr das gleiche taten, die auch den Dingen iind Men-
fchen ihre Schatten nahmen und auf der Fläche festhielten und mehr be-
hielten als einen bloßen Schatten. Denn dieser Bürge der Körperlichkeit,
er bürgt auch weiter, ioenn er voiii Körper weggenommen ist. Er gleicht
einem Verstoßenen, der überall, wohin er kommt, den Glanz seiner Heimat
verkündet. Dem ersten Worte, das der Schatten spricht, folgt die Illusion
des Körpers sogleich nach, und weil die Phantasie in ihm durch keine
Einzelheiten, keine groben Wirklichkeiten sestgebunden ist, so entfaltet sie
ein wunderbares Leben und entlockt dem finsteren Gebilde die reizendsten
Gestaltungen. Darum haben sich die Menschen immer wieder deS
Schattens bemächtigt und sich seinem Zauber hingegeben, und hieraus
ist die mannigfaltige Kunst des Schattenbildes entstanden. Die Chinesen
und Japaner haben seltsame Spiele aus Schatten gestaltet, in denen
Göller und Dämonen auf eine lvahrhaft packende Weise hervortreken,

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A. M. Miller: Lebende Schatten
A. M. Miller: Illustrationen zum Text "Lebende Schatten"
 
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