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J U

3 9. JAHRGANG

N D

1 9 3 4 / N R. 5 1

ERZÄHLUNG AUS DEM BIEDERMEIER VON GEORG SCHWARZ

Illustriert von R. Kriesch

Die glückliche Ehe des Herrn Kaufmanns Zerlveck im kleinen Land-
städtchen W. mürbe spät, alö Herr Zerweck bereits die Fünfzig über-
schritten hatte, durch die Geblirt eines Töchterchens gekrönt. DaS kleine
Seelenwesen, das sich gegen seine Verleiblichung so wenig wehrte wie sich
ein zierliches Bienchen ober ein zarter Sommerfalter gegen seine Gestalt-
werdung wehrt, hatte ein besonders zartes nnb schönes Körperchen nnb
zeigte vom Augenblick beS Geborenseins an eine so anfsallenbe nnb
reizende Lebhaftigkeit ber Sinne, wie sie bei Neugeborenen nur selten
vorkommt. Großmama Zerlveck, bie baS Kind als erste in ihre groß-
mütterlich-mütterlichen Arme anfnahm nnb damit im Zilniner nebenan
wiegend und summend ans nnb ab ging, erzählte mit freudigem Stolz,
wie lebhaft das Kind sofort an seiner neuartigen blmgebung teilgenom-
men habe, seine kleinen Augenlichter immer wieder fragend und neugierig
auf bie gemalten Ahnenbilder an der Wand richtend, lächelnd und
staunend, und wie eS damit zum Ausdruck gebracht habe, daß es mit
seiner neuen Art von Existenz zufrieden sei. Auch Herr Zerweck war
zufrieden. Seine Frau empfand einen stillen Stolz, diefeö reizende Kinb
geboren zu haben.

DaS kleine Wesen begann mit den ersten LebenStagen schon zu lallen,
bald konnte eS richtig lachen — und seine zunehmende Lebhaftigkeit
äußerte sich lustig genug in mühevoll-drolligen Versuchen, sich zappelnd
aufzurichten und über die Kissen zu klettern. Frau Zerlveck fand, das
Kind gleiche mit seinem zarten, geschmeidigen Leibchen und mit dem
Ausdruck seines GestchtchenS, den zusammengedrängten, schelmischen
Zügen einem Bienchen. Herr Zerweck fand den Vergleich passend, und
man erteilte dem Kinde den Kosenamen „Immeli", soviel wie Bien-
chen, obwohl es auf Lotte getauft war.

Immeli war ein bezauberndes Kind, eS batte blonde, seidendünne
Härchen und eine feine, fast durchsichtige Haut. Als eS nach elf Monaten
die ersten Gehversuche machte, wurde es von Großmama Zerweck an
den Händen in den großen HauSgarten geführt, wo weißgestrichene
Gartenmöbel unter schattigen Kastanienbäumen standen und spiegelnde
Buntglaskugeln in der Sonne funkelten. — Bald bedurfte Immell' der
großmütterlichen Stütze nicht mehr, sondern lehnte sich nur noch, wenn
es müde wurde und zu tamneln begann, an den stabilen Reifrock ber
Großmutter, der einein seitlichen Druck wohl standhielt.

Herrn Zerwecks Verwandtschaft, darunter ein Halbdutzend zärtlicher
Tanten, riß sich buchstäblich um daS Kind. Mit zunehmenden Jahren
büßte Immeli von seinem kindlichen Zauber nichts ein und gewann,
ohne es zu »vollen, die Zuneigung aller Menschen. Nachbarskinder
standen schon am frühen Morgen vor dem Zerlveckschen HauS und

riefen ihre Freundin Immeli heraus, um mit ihr im Garten zu spielen.

Erwachsene, Nachbarn und Stadtbewohner schauten mit besonderem
Wohlgefallen auf das Heranwachsende Mädchen und suchten sogar jede
Gelegenheit, um ihm etwas zu schenken oder sich ihm sonst wohlwollend
zu erweisen. Einer der eifrigsten Verehrer des Kindes loar der Glas-
maler Blümel, ein geschickter Künstler in seinem Fach, der eine kleine
Werkstätte in der Stadt rühmlich leitete. Dieser Herr Blümel inter-
essierte sich für alles Schöne, für schöne Menschen, Blumen, Pferde-
köpfe, Stoffe und Kostüme und wußte darüber interessant und groß-
artig zu reden. Einfache und nüchterne Naturen, wie eS ja viele in dem
kleinen Städtchen gab, hielten ihn für überspannt und nannten ihn
einen Großsprecher. Herr Zerweck, der ihn nur flüchtig kannte, beurteilte
ihn in seiner gerechten Art nicht so scharf, stand ihm aber doch etwas
fremd und ablehnend gegenüber.

Eines Tages erschien Herr Blümel im Zerweckschen HauS und erbat
sich kurzerhand daü hübsche Kind zu einer Porträtsitzung. Herr Zerweck
war verblüfft. „Aber, sind Sie nicht Glasmaler, Herr Blümel?" rief
er aus, „seit wann porträtieren Sie denn?" — Herr Blümel setzte sich
auf einen Stuhl und begann, geheimnisvoll flüsternd, von einer neuen
Methode des KonterfeienS zu reden, blieb aber bei so unklaren und
mysteriösen Andeutungen, daß Herr Zerlveck kein Vertrauen fasten
konnte.

„Porträts auf chemische oder technische Weise herzustellen!" rief Herr
Zerweck überlegen lachend auS, — „nehmen Sie mir's nicht übel, daS
halte ich für unmöglich, wenn auch Ihr gescheiter Franzose, dieser Herr
Daguerre, schon tausend Versuche gemacht haben sollte!"

Als nun der Glasmaler seine Bitte noch einmal und in dringlicherer
Form vorbrachte, Herrn Zerweck als einen Laien in solchen Sachen
bezeichnete, fühlte sich dieser verletzt und schnitt jeder sachlichen Verhand-
lung daS Wort ab mit der Bemerkung: „Für solche Verstlche von so
zweifelhafter, unklarer und vielleicht gefährlicher Art gebe ich mein Kind
nicht her!"

Herr Blümel erhob sich, griff nach seinem grauen Zylinderhut und
wollte gehen. Aber da eröffnete sich ihm mit der im Augenblick auf-
gehenden Tür — eine Hoffnung. Madame Zerlveck betrat daS Zimmer.
Herr Blümel wagte einen Fußfall und brachte seinen Wunsch noch
einmal vor, ohne sich um den Ebeherrn, der ihn unterbrechen wollte, zu
kümmern.

Frau Zerlveck hörte sich den Bittsteller ruhig an, nahm die Schmeiche-
leien über ihr schönes Kind mit lächelnder Abwehr auf — und richtete
zuletzt einen fragenden Blick auf ihren Gatten. Die Antlvort war in

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Register
Rudolf Kriesch (Kriz): Illustration zum Text "Das Daguerrotyp"
Georg Schwarz: Das Daguerrotyp
 
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