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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 39.1934, (Nr. 1-52)

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Nr. 52 (Ein recht frohes Weihnachtsfest)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6778#0822
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3 9. Jahrgang

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1 9 z 4 / N r. 5 2

Der Bildschnitzer

ERZÄHLUNG AUS DEM JAHRE 1 525 VON OTTO MITTLER

Der Dauer und Bildschnitzer Nicklas Oberlechner zu Thaur bei Hall
im tirolischen Jnntal steht in seiner Stube an der Schnitzbank, daneben
sein fünfjähriges Söhnchen Jörgel, das nnt dem blonden Lockenkopf
kaum spannenhoch den Werktisch überragt, obgleich der Vater sorglich
eine Kiste unter die stämmigen Beinchen gestellt hat. Eifrig rührt das
Kind in einer Reibschale, darin die Farbe für den Mantel der heiligen
Jungfrau und für den Turban des Negerkönigs Balthasar leuchtet, wie
rote Eschenbeeren im Herbst. NicklaS, der Vater, glättet die fertig
geschnitzten Krippenfiguren mit einem Stück Bimsstein, das er neulich
von einem reisenden Venediger Krämer für gute Kreuzer erstanden hat.
Dann stellt er sie alle in Reihe nach Rang und Ordnung: das Jesuökind-
lein in der Krippe, die heilige Gottesmutter, den Sankt Joseph mit Beil
und Säge, die Könige, die Hirten, die Ochslein, die Schäfchen, und —
nicht zu vergessen — das fromme Eselein, das als geduldige Hof- und
Staatskutsche seine gebenedeite Last bis in den Stall von Bethlehem
gebracht hat.

„Die Färb wird jetzt schon recht sein, Büble", sagt schmunzelnd der
Oberlechner zu seinem kleinen Gehilfen und prüft dabei auf dem Daumen-
nagel die neuen Pinsel aus Marderhaar. Dann langt er nach den Farb-
schalen und macht sich gleich an die weitere Arbeit. In diesen kurzen

Dezembertagen muß man daS Tageslicht uuSnützen
Talglicht wäre die feine Malerei unmöglich auSzufi

Eine andere Beleuchtung aber gab eS noch nicht ....

1525, jenes traurigen Jahres, in welchem die Rebellion der verhetzten
Bauern von den deutschen Fürsten in einem Meere von Blut erstickt
wurde, in Hessen, in Schwaben, in Franken, ini Elsaß und im Allgäu,
insonderheit aber auch ini Lande Tyrol, wo Michael GaiSmaier, der
Bauern-Kanzler, seinen kurzen Führertraum mit Marter und -bod zahl-
loser Anhänger bezahlte, während er selbst gehetzt und geächtet mit
knapper Not den Häschern des Erzherzogs Ferdinand entrann.

„Wohl dem, der in all solchem grausigen Geschehen noch ungekräukt
bei Weib und Kind sitzen darf!" Dankbaren Sinnes solches wieder ein-
mal bedenkend bleibt der Oberlechner weiter in seine Arbeit vertieft. Da
knirschen in dein festgetretenen und gefrorenen Schnee Schritte vorm
Hause. Gleich darauf stampfen benagelte Stiefel im Flur. Die Stuben-
tür wird aufgestoßen. Herein tritt ein hochgewachsener Mann, der so
vermummt ist im grauen Lodenmantel, daß man von ihm kaum mehr
sieht als den langen schwarzen Vollbart. Jetzt aber schlägt er die Kapuze
zurück vom hageren blassen Gesicht.

„Michel!" fährt der Oberlechner aus.

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Fritz Richter: Heilige Nacht
Otto Mittler: Der Bildschnitzer
 
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