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Der Mann,der auszog.
die HVeihnaehisstiinmung zu juehm
(§s war einmal ein Mann, der hatte
sich nicht unterkriegen taffen wollen. Er
hatte die Zähne zusammengebissen und
gearbeitet und gekämpft tagaus, tagein,
manches Jahr hindurch. Er hatte die Arbeit allem
anderen vorangestellt, sich Freuden versagt, Freundschaften
einschlafen lassen, da er „nie Zeit
hatte", sie zu pflegen. Er hatte alles
beiseite geschoben bis auf den Ge-
danken: Ich will durchhalten, ich will
vorwärtskommen / ^nd wieder
einmal kam der Dezembertag, da er
am Morgen das Kalenderblatt auf
seinemSchreibtisch umblätterte, die 23 sah
und wie jedes Jahr zu sich sagte: Ich
weiß nicht, in diesem 4^.- Jahr habe
ich so gar keine Weihnachts- flimmung.
(§r dachte müde an die Geschenke, die morgen da sein
würden, den Baumkuchen von Tante Emma, wie jedes
Jahr, die Brieftasche von Peter und den unausbleiblichen
Kalender, den fein Neffe ihm schiüen würde. Aber
Weihnachtsstimmung wollte nicht kommen / Äa fing
er an, seine üblichen Weihnachtsgaben herzurichten,
nahm Geld aus seiner Kasse, Briefumschläge vom Schreib-
tisch und begann mit dem Silberstüü für den Haus-
meifler. Aber die Weihnachtssiimmung kam
trotzdem nicht. Da ließ er es sein und
ging hinaus in die Stadt, entschlossen,
die Weihnachtsstimmung zu
X
^ suchen / Äls er, wie seit
langer Zeit nicht mehr, ziellos
durch die Straßen ging, um-
geben von frohen Menschen, die mit Paketen beladen an
ihm vorüberströmten, da merkte er erst, wie allein und
freundelos er war, und so konnte er die Weihnachtsstimmung
nicht finden. Da wollte er wenigstens Pakete haben, wie
die anderen. Da aber merkte er, wie
er von Schaufenster zu Schaufenster
ging, daß er
- garnicht wußte,
rf/lf/1 ' was er schenken
sollte, so lose waren seine Be»
Ziehungen zu den Menschen
geworden / (Gerade als er
verzweifelt sich sagte: „Es gibt für mich keine Weihnachts-
flimmung mehr", da fand er sich vor einem großen Spiel-
warenladen und sah im Spiegel die leuchtenden Augen von
zwei Kindern, die all dieHerr-
lichkeiten betrachteten, Herr-
lichkeiten, die sie gewiß nicht
haben konnten. Da nahm er
die beiden Kinder bei der
Hand und ging in den
Laden hinein / Äie
strahlenden Augen über demMärchenreich von Eisenbahnen,
Puppen, Zinnsoldaten und Baukästen ließen ihn rasch die
Lieblingswünsche erkennen, und bald wußte er auch, was
die große Schwester sich wünschte, was Mutter brauchte,
und was Vater so gerne gehabt hätte / 4!nd als er die
beiden Kinder paketbeladen vor ihrer Haustür abgeseht
hatte, und der alte Taxichauffeur sagte: „Das nenn' ich mal
richtiggehende Weihnachten", da merkte er erst, daß er
nicht mehr zu suchen brauchte, sondern schon mitten darin
war in der verlorengeglaubten Weihnachtsstimmung.
E)a wußte er auch auf einmal, was er den Menschen,
die ihm geblieben waren,
schenken solle. Denn Weih-
nachtsstimmung macht hell-
sichtig. Sie kommt vom
Schenken (und Sichverschen-
ken) und nicht vom Geschenke
bekommen * * * *
Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend Bezug zu nehmen.
13
1935 / JUGEND Nr. 1
Der Mann,der auszog.
die HVeihnaehisstiinmung zu juehm
(§s war einmal ein Mann, der hatte
sich nicht unterkriegen taffen wollen. Er
hatte die Zähne zusammengebissen und
gearbeitet und gekämpft tagaus, tagein,
manches Jahr hindurch. Er hatte die Arbeit allem
anderen vorangestellt, sich Freuden versagt, Freundschaften
einschlafen lassen, da er „nie Zeit
hatte", sie zu pflegen. Er hatte alles
beiseite geschoben bis auf den Ge-
danken: Ich will durchhalten, ich will
vorwärtskommen / ^nd wieder
einmal kam der Dezembertag, da er
am Morgen das Kalenderblatt auf
seinemSchreibtisch umblätterte, die 23 sah
und wie jedes Jahr zu sich sagte: Ich
weiß nicht, in diesem 4^.- Jahr habe
ich so gar keine Weihnachts- flimmung.
(§r dachte müde an die Geschenke, die morgen da sein
würden, den Baumkuchen von Tante Emma, wie jedes
Jahr, die Brieftasche von Peter und den unausbleiblichen
Kalender, den fein Neffe ihm schiüen würde. Aber
Weihnachtsstimmung wollte nicht kommen / Äa fing
er an, seine üblichen Weihnachtsgaben herzurichten,
nahm Geld aus seiner Kasse, Briefumschläge vom Schreib-
tisch und begann mit dem Silberstüü für den Haus-
meifler. Aber die Weihnachtssiimmung kam
trotzdem nicht. Da ließ er es sein und
ging hinaus in die Stadt, entschlossen,
die Weihnachtsstimmung zu
X
^ suchen / Äls er, wie seit
langer Zeit nicht mehr, ziellos
durch die Straßen ging, um-
geben von frohen Menschen, die mit Paketen beladen an
ihm vorüberströmten, da merkte er erst, wie allein und
freundelos er war, und so konnte er die Weihnachtsstimmung
nicht finden. Da wollte er wenigstens Pakete haben, wie
die anderen. Da aber merkte er, wie
er von Schaufenster zu Schaufenster
ging, daß er
- garnicht wußte,
rf/lf/1 ' was er schenken
sollte, so lose waren seine Be»
Ziehungen zu den Menschen
geworden / (Gerade als er
verzweifelt sich sagte: „Es gibt für mich keine Weihnachts-
flimmung mehr", da fand er sich vor einem großen Spiel-
warenladen und sah im Spiegel die leuchtenden Augen von
zwei Kindern, die all dieHerr-
lichkeiten betrachteten, Herr-
lichkeiten, die sie gewiß nicht
haben konnten. Da nahm er
die beiden Kinder bei der
Hand und ging in den
Laden hinein / Äie
strahlenden Augen über demMärchenreich von Eisenbahnen,
Puppen, Zinnsoldaten und Baukästen ließen ihn rasch die
Lieblingswünsche erkennen, und bald wußte er auch, was
die große Schwester sich wünschte, was Mutter brauchte,
und was Vater so gerne gehabt hätte / 4!nd als er die
beiden Kinder paketbeladen vor ihrer Haustür abgeseht
hatte, und der alte Taxichauffeur sagte: „Das nenn' ich mal
richtiggehende Weihnachten", da merkte er erst, daß er
nicht mehr zu suchen brauchte, sondern schon mitten darin
war in der verlorengeglaubten Weihnachtsstimmung.
E)a wußte er auch auf einmal, was er den Menschen,
die ihm geblieben waren,
schenken solle. Denn Weih-
nachtsstimmung macht hell-
sichtig. Sie kommt vom
Schenken (und Sichverschen-
ken) und nicht vom Geschenke
bekommen * * * *
Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend Bezug zu nehmen.
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1935 / JUGEND Nr. 1