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Der Nachtwächter Karl Spitzweg t

Mixer Turnübungen mit einem Aluminium-
gefäß. Zwei Hände griffen nach einem Cock-
tail, stießen mit den Ellbogen an und erkannten
sich.

„Hallo, Smith", rief der eine, „auf Ihr
Wahl! Daö heißt auf meines: gratulieren Sie
mir, ich bin verliebt!"

"2$) gratuliere neiderfüllt", erwiderte George
$. Smith. Verliebt fein, heißt blind fein
wie Homer: vor lauter Sehen! Leider hindert

mich mein Beruf als Banknoten-Experte dar-
an. Mir laufen )o viel Falsifikate durch die
§lnger, daß ich auch den echtesten blauen Augen
mißtraue..."

„Reicht ich, S i e sind blind", unterbrach
Washington strahlend, „und zwar vor lauter
Vorsicht. Wie, um Himmels willen, wollen Sie
die Lüge erkennen, wenn nicht an der Wahr-
heit? Und, sehen Sie, Smith, ich liebe die
Wahrheit! — besonders, wenn f i e mir als
Schönheit entgegentritt — ah, da kommt sie

ja!... Darf ich Sie mit Miß Hopkins be-
kanntmachen?"

Eine Göttin mit elektrischen EiSaugen wan-
delte durch die diversen Goldzimmer deS Lokals.
Die beiden Gents sprangen von den Hockern
und führten Miß Jseult HopkinS an einen
Tisch. Sie war ein endgültig realisierter Traum
und sprach von einein Perlenkollier, das sie in
der 5. Avenue gesehen hatte. Sie hatte einen
Mund, um den mein jeden Bissen beneidete.
O, sie war unbeschreiblich anmutig.

Sie liebt ihn nicht, dachte der Experte, denn
er hatte festgesiellt, daß Miß Hopkins soeben
heimlich durch die Vase gähnte. Und hier
durchblitzte ihn, George F. Smith, der vielleicht
erste originelle Gedanke feines Lebens: Plötz-
lich wußte er, wie er fesisiellen konnte, ob
Washington Smith lediglich Blusen, oder auch
noch etwas anderes fabriziert hatte.

„Nun? ...", fragte Washington Smith, als
Miß Hopkins wieder gegangen war.

„Sie ist traumhaft schön, nur. . ."

„Aha, das berühmte ,Nur'! Smith, ich bin
ein Mann der Wahrheit — sagen Sie mir die
Ihre!"

„Äußerst ungern. Ich bin Banknoten-Ex-
perte. Eine Banknote erhält sich durch den
Glauben, daß sie Wert hat. Schönheit erhält
sich durch den Glauben, daß sie in Güte oder
Wahrheit, oder nennen Sie's, wie Sie wollen,
einwechselbar ist. Beides sind Scheine — Wert-
scheine! Solange ich Miß Hopkins nicht unter
die Lupe nehmen kann, bin ich von Berufs
wegen zum Zweifeln verpflichtet."

„O, aber das läßt sich ganz leicht machen",
rief Washington Smith nnt entschlossenein
Ausdruck. „Ein Glaube, der für feine Wahr-
heit Angst hat, ist keiner, ^zch behaupte, daß
Sie sich wieder mal irren, und daß diese Frau
bis ins Innerste e ch t ist, denn ein Engels-
antlitz kann nicht mit jeder Faser lügen! Prüfen
Sie Jseult Hopkins als Experte!"

„Das kann ich nur, insofern ich wirklich
Experte bin, das heißt als Banknotenfach-
mann."

„Nun also: erklären Sie eine Summe Gel-
des, die Miß Hopkins erhält, mit gan-

zen Autorität für falsch — und nehmen Sie
ihre seelische Reaktion unter die Lupe."

„Ja, aber . .. große Geldsuinmen, die hier
allein in Betracht kämen, schwirren nicht so
ohne weiteres in der Luft herum..."

„Ein Kinderspiel, ^gch händige Miß Hopkins
den«» Betrag für das Perlenkollier aus der
5. Avenue ein — und Sie weifen ihr als
Experte nach, daß die Scheine sämtlich ge-
fälscht sind."

„klnd nachher", meinte der Experte, „er-
klären wir dann das Ganze für einen Scherz,
haha!"

„Haha, ausgezeichnet!"

klnd Washington Smith schob dem Mixer
grinsend einen Fünfzig-Dollarschein als Be-
zahlung zu.

Als die beiden Mr. Smith das nächsiemal
mit Miß Hopkins zusammenkamen, harrte
ihrer eine Überraschung. Denn Miß HopkinS
trug daS Perlenkollier bereits um den schönen

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Carl Spitzweg: Der Nachtwächter
 
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